Direkt nach dem verheerenden Erdbeben in Nordkurdistan, Rojava, der Türkei und Syrien mit bisher über 50.000 erfassten Todesopfern und Millionen Obdachlosen hat die türkische Armee selbstverwaltete Teile des Erdbebengebiets in Rojava mit schwerer Artillerie beschossen und mit Drohnen angegriffen. Angesichts dieser permanenten und immer wieder tödlichen Angriffe auf die Zivilbevölkerung, unter ihnen auch Erdbebenopfer, fragte die Linksparteiabgeordnete Cornelia Möhring die Bundesregierung, welche Konsequenzen sie aus der während des Erdbebens fortgesetzten Bombardierung der nordsyrischen Grenzregion durch die Türkei ziehe und für welche Maßnahmen zum Schutz der internationalen Hilfslieferungen vor Angriffen des türkischen Militärs sich die Bundesregierung einsetze.
Bundesregierung ruft „alle Akteure“ zu Einstellung der Kampfhandlungen auf
Die Bundesregierung ließ die Frage wie folgt beantworten: „Hinsichtlich der Medienberichte über Beschuss von Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG durch das türkische Militär sowie über Beschuss von Oppositionsgebieten durch das Assad-Regime in Nordwestsyrien in den Tagen nach dem verheerenden Erdbeben ruft die Bundesregierung alle Akteure vor Ort auf, angesichts der katastrophalen Auswirkungen des Bebens alle Kampfhandlungen einzustellen, die Waffen ruhen zu lassen, internationale Hilfslieferungen ungehindert passieren zu lassen und alle verfügbaren Ressourcen für die Bergung und Versorgung der Opfer zu mobilisieren.“
Bundesregierung lässt Hintertüre offen
Mit der Formulierung „alle Akteure“ lässt sich die Bundesregierung eine argumentative Hintertür offen und entschärft die Forderung nach Einstellung der Kampfhandlungen drastisch, da sie so dem türkischen Narrativ, dass die Angriffe eine Reaktion auf angebliche Angriffe der Volksverteidigungseinheiten (YPG) seien, nicht widerspricht. Gleichzeitig negiert sie so implizit die Waffenruhe der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), zu denen auch die YPG und die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gehören, die ebenfalls Akteure in der Region sind, und stellt sie auf eine Stufe mit den türkischen Aggressoren, die willkürlich Zivilist:innen beschießen und unzählige Menschen vertreiben. Gleichzeitig wird der an sich völkerrechtswidrige und kriegsverbrecherische Charakter der türkischen Invasion, der selbst von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages festgestellt wurde, mit keiner Silbe erwähnt.
Andauernde Kriegsverbrechen
Erst an Samstag wurden in Kobanê erneut zwei Zivilisten teilweise schwer von der türkischen Armee verletzt und Wohngebäude schwer beschädigt. Am 12. Februar wurde ein QSD-Angehöriger, der gleichzeitig zum Diplomatie-Komitee der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) gehörte, in Kobanê bei einem türkischen Drohnenangriff getötet. Am 16. Februar wurde ein 16 Jahre alter Jugendlicher im Dorf Boban im Westen des Kantons durch die Kugel aus der Waffe eines türkischen Grenzsoldaten verletzt. Zuvor war ein 70-jähriger Erdbebenüberlebender bei einem türkischen Angriff auf Tel Rifat getötet worden.
Selbstverwaltung: „Bundesregierung muss auf die Türkei einwirken“
Khaled Davrisch, Repräsentant der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland, misst der Erklärung der Bundesregierung dennoch Bedeutung bei: „Es ist wichtig, dass die Bundesregierung die Türkei zu einer Waffenruhe auffordert. Von der Selbstverwaltung ging nie eine Gefahr für die Türkei aus. Die Bundesregierung muss nun auf die Türkei einwirken, dass sie den Krieg beendet. Sie könnte zum Beispiel Gespräche zwischen der Türkei und der Selbstverwaltung vermitteln.“