„In der Türkei herrscht derzeit ein de facto Ausnahmezustand vor. Vorsitzende politischer Parteien, Abgeordnete, Bürgermeister, Journalisten und Intellektuelle sitzen in Haft. Vor diesem Hintergrund ist jedes diplomatische Gespräch, das mit dem Erdoğan-Regime geführt wird und bei dem diese Umstände unerwähnt bleiben, ein Schlag in das Gesicht der Völker der Türkei“, erklären Politikerinnen und Politiker der Vertretung der Demokratischen Partei der Völker in Deutschland zu dem in dieser Woche stattfindenden Staatsbesuch Erdoğans in Deutschland. Weiter heißt es in der Botschaft zum Besuch Erdoğans:
Wie öffentlich bereits breit diskutiert wird, wird sich der türkische Staatspräsident zu einem offiziellen Besuch in Deutschland einfinden. Dieser Besuch, der für viel Zündstoff und Kritik sorgt, findet auf Grundlage einer Einladung statt. Denn nach den Wahlen vom 24. Juni in der Türkei hatte der deutsche Staatspräsident Steinmeier seinen neugewählten Amtskollegen nach Deutschland geladen. Der gewählte Zeitpunkt für den Antritt der Reise hingegen hat in direkter Weise mit der wirtschaftlichen Krise in der Türkei und politischen Legitimitätsverlust Erdoğans im In- und Ausland zu tun. Dass die Bundesregierung inmitten einer solch turbulenten Phase mit ihrer Haltung die Botschaft verlauten lässt, dass sie hinter Erdoğan steht, ist mindestens als bedenklich zu werten.
Während die Bundesregierung der Türkei bei ihrer politischen und wirtschaftlichen Krise beiseite springen will, verschließt sie die Augen vor den eigentlichen Ursachen dieser Probleme. Sie sieht nicht, oder will nicht sehen, dass die kriegsbefürwortende Politik der Regierung Erdoğans die in und außerhalb der Türkei maßgeblich verantwortlich für den Status quo im Land ist.
Der aktuellste Beweis hierfür ist die Politik Erdoğans im nordsyrischen Efrîn und in Idlib. Hier kommt außerdem eine andere Seite der Erdoğanschen Politik zu Geltung: Sein islamistischer Charakter. Denn im Norden Syriens tritt Erdoğan als Stellvertreter verschiedener dschihadistischer Organisationen auf. Bei den Verhandlungen um Idlib hat er es noch nicht einmal für nötig gehalten, dies zu verheimlichen. Dass mit Hilfe dieser Dschihadisten Millionen Menschen in der Region zur Flucht gezwungen wurden, nützt Erdoğan wiederum auf einer anderen Ebene: Er kann sie als Erpressungsinstrument gegen die Länder der EU zu Felde führen. Es ist an der Zeit, dass die EU und allen voran die Bundesregierung auf diese schmutzigen Spielchen Erdoğans nicht mehr weiter eingehen.
In der Türkei herrscht derzeit ein de facto Ausnahmezustand vor. Vorsitzende politischer Parteien, Abgeordnete, Bürgermeister, Journalisten und Intellektuelle sitzen in Haft. Vor diesem Hintergrund ist jedes diplomatische Gespräch, das mit dem Erdoğan-Regime geführt wird und bei dem diese Umstände unerwähnt bleiben, ein Schlag in das Gesicht der Völker der Türkei. Wir rufen deshalb dazu auf, dass sie nicht bloße wirtschaftliche Interessen beim Umgang mit Erdoğan zu ihrem Gradmesser machen sollten. Es sollten die universellen Menschenrechte sein, die den Inhalt der Gespräche und des Umgangs miteinander bestimmen.
Erdoğan verkauft seine persönlichen Interessen als das Interesse der gesamten Türkei. Die Bundesregierung sollte sich dieser Farce bewusst sein und entsprechend handeln. Andernfalls wird auch die Bundesregierung mitverantwortlich dafür sein, wenn die Faschisierung der Türkei weiter voranschreitet.
Und Erdoğan ist in seiner Außenpolitik vor allem eines, er ist pragmatisch. So greift er jedes Mal, wenn er in eine Ecke gedrängt wird, verzweifelt nach einem neuen Strohhalm. Mal nähert er sich den USA an. Dann verkracht er es sich mit Washington und kann im nächsten Moment auf Seiten Russlands Stellung beziehen. Nun erfordert seine Notlage eine Annäherung an die EU. Doch in wenigen Wochen kann sich der Wind schon wieder in eine andere Richtung drehen.
Aktuell ist Erdoğan jedenfalls hinter wirtschaftlichen Deals her, bei denen der von ihm angestrebte Faschismus nicht Thema der Debatte ist. Sollte sich Deutschland hierauf einlassen, wird das nicht bloß Erdoğan neue Luft zum Atmen geben. Es käme auch einem Verrat an den europäischen Werten der Freiheit, der Menschenrechte und des Friedens gleich.
Vor diesem Hintergrund wünschen wir uns, dass die Bundesregierung bei jedem Gespräch mit Erdoğan den Blick nicht vom Unrecht und den schweren Menschenrechtsverbrechen abwendet, für die das Regime des türkischen Staatspräsidenten verantwortlich ist. Die Fragen von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit sollen und dürfen zu keinem Zeitpunkt vom Verhandlungstisch fallen.
Herr Ahmet Yildirim, Abgeordneter von 2015 – 2018
Frau Besime Konca, Abgeordnete von 2015 – 2018
Herr Burhan Kocaman, Ko-Bürgermeister von Karakocan seit 2014
Frau Dilek Öcalan, Abgeordnete von 2015 - 2018
Herr Faysal Sarıyıldız, Abgeordneter von 2011 – 2018
Frau Filiz Koçali, Exekutivausschuss in der Partei 2011 – 2016
Herr Hatip Dicle, ehemaliger Abgeordneter
Herr Hasip Kaplan, Abgeordneter von 2007 – 2011
Herr Hassan Basri Fırat, Ko-Bürgermeister von Hınıs 2014 – ...
Herr Hüseyin Günes, Ko-Bürgermeister von Varto von 2014 – ...
Frau Leyla Birlik, Abgeordnete von 2015 – 2018
Frau Leyla Imret, Ko-Bürgermeisterin von Cizre von 2014 – ...
Herr Lezgin Botan, Abgeordneter von 2011 – 2018
Frau Nursel Aydoğan, Abgeordnete von 2011 – 2018
Herr Orhan Şansal, Ko-Bürgermeister von Suruç von 2014 – ...
Frau Sibel Yiğitalp, Abgeordnete von 2015 – 2018
Herr Sinan Önal, Diplomatische Angelegenheiten 2007 – 2018
Frau Tuba Hezer, Abgeordnete von 2015 – 2018
Herr Ziya Pir, Abgeordneter von 2015 – 2018