Bisher nur wenige Visa für Erdbebenopfer erteilt
Praktisch keine Erdbebenopfer können bisher von der angeblich erleichterten Visavergaberegelung Gebrauch machen. Dies bestätigt die bisherige Erteilung von nur 96 Visa.
Praktisch keine Erdbebenopfer können bisher von der angeblich erleichterten Visavergaberegelung Gebrauch machen. Dies bestätigt die bisherige Erteilung von nur 96 Visa.
Mehr als 1,6 Millionen Menschen sind durch die Erdbebenkatastrophe vom 6. Februar allein in der Türkei obdachlos geworden. Unzählige Kinder wurden zu Waisen. Viele der Betroffenen haben Angehörige in Deutschland, die ihnen zumindest eine kurzfristige Erholung und etwaige medizinische Versorgung leisten möchten. Doch trotz aller vollmundigen Ankündigungen legt die Bundesregierung ihnen immer neue Steine in den Weg. Während die Situation für Menschen in der Türkei prekär ist, ist sie für syrische Staatsangehörige de facto aussichtslos. Bisher wurden nur 96 Visa im Rahmen des beschleunigten Verfahrens an Menschen mit türkischem Pass erteilt, teilte das Auswärtige Amt auf ZDF-Anfrage mit. Diese gelten für 90 Tage. Weitere 15 Visa gelten zwar dauerhaft, diese wurden aber vor allem im Rahmen der Familienzusammenführung vergeben. Die meisten davon gingen laut Auswärtigem Amt an syrische Staatsangehörige.
Geringe Zahl liegt an Vergabepraxis
Die von der Bundesregierung angekündigte erleichterte Visa-Vergabe für Erdbebenopfer ist alles andere als unbürokratisch. Gut gemeint, aber nicht praxistauglich - so bewertet die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO) die neue Visa-Regelung. Zehn Dokumente müssen vom Erdbeben betroffene Menschen vorlegen, wenn sie für drei Monate zu Verwandten nach Deutschland reisen wollen. Aber wie realistisch ist es, dass jemand noch seinen Reisepass, ein biometrisches Foto, seine Krankenversicherung, einen Wohnsitznachweis, einen Verwandtschaftsnachweis und weitere Dokumente besitzt, wenn sein Zuhause in Trümmern liegt? Über einen teuren Pass verfügen ohnehin die Wenigsten im verarmt gehaltenen Südosten der Türkei beziehungsweise in Nordkurdistan, geschweige denn in Rojava und Syrien. Hinzu kommt, dass viele der Anlaufstellen für Visa-Formalitäten ebenfalls bei den Erdbeben eingestürzt sind.
Pass ist für viele unerfüllbare Voraussetzung
Doch die Passnummer ist die Voraussetzung, um überhaupt nur eine Verpflichtungserklärung als Angehöriger ausfüllen zu können. Und als sei das der Hindernisse nicht genug, dürfen nur Angehörige ersten und zweiten Grades von dem beschleunigten Verfahren Gebrauch machen. Das bedeutet, das eine Schwester einer hier lebenden Person zwar ein Visum erhalten könnte, aber ihre minderjährigen Kinder oder ihr Ehemann nicht. Wie soll so ein Heilungsprozess einsetzen? Weiterhin wird eine Krankenversicherung vorausgesetzt. Wenn die Bundesregierung explizit von einem Aufenthalt zur medizinischen Versorgung spricht, dann aber den Angehörigen die Kosten aufbürdet, ist das einfach nur zynisch. Arme Familien fallen ohnehin schon durch das Raster, da sie für ihre Angehörigen in Kurdistan keine Verpflichtungserklärung abgegeben dürfen. Sie selbst müssen ausreichend wohlhabend sein, denn Dritte dürfen nicht bürgen.
Unbürokratische Visavergabe statt kosmetische Erleichterungen
Nun haben Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) weitere Erleichterungen angekündigt. Eine wirklich sinnvolle Erleichterung wäre jedoch, das Visaverfahren auszusetzen oder direkt bei der Einreise Visa zu vergeben, wie es für deutsche Staatsangehörige in unzähligen Ländern Usus ist. Doch es steht zu befürchten, dass dies nicht im geplanten Erleichterungspaket beinhaltet ist und es wieder um einige kosmetische Veränderungen geht, um die öffentliche Entrüstung über die Vergabepraxis zu beschwichtigen.
Foto: Ein durch das Erdbeben obdachlos gewordener Mann in Gurgum (tr. Maraş) schläft auf dem Mittelstreifen einer Kreuzung | Mezopotamya Ajansı (MA)