Zum 23. Jahrestag der Verschleppung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan aus der griechischen Botschaft in Nairobi in die Türkei erklärt Ibrahim Bilmez als einer seiner Rechtsanwälte im ANF-Gespräch, dass die internationalen Mächte, die vom Ausbleiben einer Lösung der kurdischen Frage profitieren, mit ganzer Kraft am Komplott teilgenommen haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und das Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT) seien dafür verantwortlich, dass die Isolation auf Imrali ein totalitäres Niveau erreicht habe.
Bilmez erklärt zur Odyssee Abdullah Öcalans durch Europa seit Oktober 1998 bis zu seiner Verschleppung am 15. Februar 1999: „Leider zogen all diese Kräfte [die internationalen Mächte, USA und EU-Staaten] an einem Strang, als es um Abdullah Öcalan und die kurdische Frage ging. Alle Türen wurden Öcalan und der kurdischen Frage in Europa verschlossen. Sogar der Luftraum wurde gesperrt, um seinen Überflug zu verhindern. Abdullah Öcalan wurde zur unerwünschten Person erklärt. Das Hauptziel bei seinem Aufbruch nach Europa war die Überzeugung, dass es in Europa einfacher sein würde, die kurdische Frage mit demokratischen und friedlichen Mitteln zu lösen. Deshalb hatte er sich für Europa entschieden. Heute, 23 Jahre später, wissen wir sehr genau, wie das Komplott in Form der Isolationspolitik weitergeht. Es ist nicht möglich, die derzeit bestehende Isolation zu akzeptieren. So wie Abdullah Öcalan trotz aller Hindernisse seine demokratisch-friedliche Haltung beibehielt, verfolgte er diese Position auch während und nach dem 15. Februar und seiner 23-jährigen Gefangenschaft auf Imrali beharrlich und aufrecht.“
„Die aktuelle Lage lässt sich juristisch nicht fassen“
Bilmez ordnet die Maßnahmen auf Imrali juristisch ein: „Es gibt dort nichts, was durch die Verfassung, durch das Gesetz, durch ein Dekret oder ein Protokoll erklärt werden kann. Wir hören nichts mehr von Abdullah Öcalan und unseren drei weiteren Mandanten in Imrali. Obwohl wir alle Wege nutzen und jede Woche Besuchsanträge als Rechtsbeistand, Bevollmächtigte und für Familienangehörige stellen, erhalten wir keine Nachricht. Unsere Mandanten können auch von ihrem Recht auf Telefongespräche keinen Gebrauch machen. So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Ein Staat, der sich die Rechtsstaatlichkeit in seine Verfassung schreibt und sich selbst als Rechtsstaat betrachtet, der sagt, er sei an das Gesetz gebunden, kann die vollkommen illegale Isolation, die jeder rechtlichen Grundlage entbehrt, nicht fortsetzen. Es ist nicht möglich, diese Praxis juristisch zu fassen. Abdullah Öcalan und unsere anderen Mandanten werden als Geiseln gehalten.“
„Ein Ergebnis der Herangehensweise an die kurdische Frage“
Die Situation auf Imrali spiegele die Herangehensweise an die kurdische Frage wider, das hätten die vergangenen 23 Jahre gezeigt, erklärt Bilmez: „Wenn auf Imrali die Isolation verschärft wird, weiß das kurdische Volk, dass man weit von einer Lösung der kurdischen Frage entfernt ist. Die aktuelle Situation bedeutet, dass der Staat keine Lösung der kurdischen Frage auf der Tagesordnung hat, sondern allein auf Sicherheitspolitik setzt. Das drückt sich in Operationen gegen die kurdische Zivilgesellschaft, die Verhaftung von Kurdinnen und Kurden und den grenzüberschreitenden Operationen gegen die Guerilla aus. Das kurdische Volk weiß das. Es handelt sich um Methoden, die seit 40 Jahren immer wieder versucht werden und mit denen es nicht möglich war, die Frage zu lösen. Daher wirkt sich diese Isolation tatsächlich sehr negativ auf die Politik in der Türkei aus. Die Türkei steht aufgrund der ausbleibenden Lösung der kurdischen Frage unter ständiger Spannung und ist äußerst polarisiert. Die kurdische Bevölkerung fühlt sich wegen dieser Politik der Isolation und Lösungslosigkeit vom System ausgegrenzt. Diese Politik muss so schnell wie möglich eingestellt werden. Um eine Normalisierung der Politik herbeizuführen und sicherer in die Zukunft blicken zu können, müssen diese Maßnahmen beendet werden.“
„Die Isolation hat das schlimmste Niveau erreicht“
Zur Suche nach Recht fügt Bilmez an: „Wir haben seit 23 Jahren kein positives Ergebnis vor irgendeinem Gericht erzielen können. Wenn es um Abdullah Öcalan geht, gibt es so etwas wie eine Justiz nicht. Dann, nachdem wir das nationale Recht ausgeschöpft hatten, wandten wir uns an internationale Rechtsinstitutionen wie den EGMR oder das CPT. Heute können wir sagen, die Isolation hat ihren bisher schlimmsten Stand erreicht. Dafür sind der EGMR und das CPT mitverantwortlich. Das CPT hat Imrali schon einmal besucht. Nach diesen Besuchen wurden Berichte erstellt, aber die in den Berichten genannten Missstände wurden nicht beseitigt. Das CPT unternahm nicht die notwendigen Anstrengungen, die Türkei dazu zu bringen, die aus dem Bericht entstehenden Verpflichtungen zu erfüllen. Wenn es genug Anstrengungen gegeben hätte, wäre die Türkei gezwungen gewesen, Schritte zu unternehmen, und die Isolation befände sich nicht auf dem aktuellen Niveau. Daher leisten diese Kräfte ihren Beitrag bei der Fortsetzung und Vertiefung der Isolation.“