Am 15. Februar sind 23 Jahre vergangen, seit Abdullah Öcalan in einem völkerrechtswidrigen Piratenakt aus Kenia in die Türkei verschleppt wurde. Seitdem wird er im Inselgefängnis Imrali festgehalten – die meiste Zeit davon unter schweren Isolationshaftbedingungen. Die Vereinigung freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) nahm den bevorstehenden Jahrestag des „internationalen Komplotts“, wie die kurdische Gesellschaft die Entführung des PKK-Begründers bezeichnet, am Montag zum Anlass, vor dem Justizpalast in Amed (tr. Diyarbakır) eine öffentliche Erklärung abzugeben. Die zentrale Forderung des ÖHD an den türkischen Staat lautet, dass die Abschottung auf Imrali beendet wird. Betroffen von der Isolation auf der Insel im Marmarameer sind auch Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş, die 2015 im Zuge des Dialogs zwischen Öcalan und der Regierung in das Gefängnis verlegt wurden.
Imrali: Feindstrafrechtliches Sanktionsregime
Die Stellungnahme des ÖHD wurde von dem Rechtsanwalt Muhittin Muğuç verlesen. Der Jurist ging zunächst auf die auf Imrali jenseits der Grenzen des geltenden Rechts angewandten „Öcalan-Gesetze“ ein. Auf der Insel, die als militärisches Sperrgebiet gilt und über keine legae Infrastruktur verfügt, existiere kein Gefängnissystem, das auf rechtlichen Rahmenbedingungen basiert. Vielmehr stehe es für ein System, mit dem ein „feindstrafrechtliches Sanktionsregime“ umgesetzt werde. „Es ist ein System, das auf das Konzept von physischer, psychischer und politischer Vernichtung gründet. Und es betrifft längst nicht mehr nur Abdullah Öcalan und seine Mitgefangenen, sondern das ganze Land. Es ist ähnlich wie die Nekrose der Bürgerinnen und Bürger. Der Wundbrand breitet sich von Imrali aus auf die gesamte Gesellschaft aus.“
Von Beginn an im Widerspruch zu bestehendem Recht
Laut Muğuç sei das Imrali-System von Beginn an etwas, das sich außerhalb des Rechts beziehungsweise im Widerspruch zu bestehendem Recht befinde. Der Versuch der Regierung, dieses diskriminierende Vollzugsregime durch verschiedene gesetzliche Regelungen zu legalisieren, habe als Maßnahme mit normativem Charakter eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung und Umsetzung der nationalen Gesetze und zu einem irrationalen Rechtsverständnis geführt. „Dadurch hat das Imrali-System unmittelbare Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens“, sagte Muğuç. Die Existenz Imralis als eine Art „Ausnahmezustandsregime“ stelle die Basis der Entwicklungen in der heutigen Türkei dar: Eingeschränkte bis teils nicht mehr existente Grundrechte, Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit und politischen Freiheiten. Als gravierendstes Beispiel nannte Muğuç die unmenschlichen und entwürdigenden Haftbedingungen von politischen Gefangenen.
Letzter Kontakt vor elf Monaten
Mit Blick auf die inzwischen wieder seit elf Monaten andauernden Kontaktsperre, mit der die Imrali-Gefangenen belegt werden, erklärte Muğuç, es sei nicht länger hinnehmbar, dass ihnen grundlegendste Rechte vorenthalten werden. „Der verweigerte Kontakt Öcalans und seiner Mitgefangenen zu ihrer Außenwelt verstößt gewiss gegen nationale und internationale Gesetze, kann darüber hinaus auch nicht als moralisch und gewissenhaftes Handeln bezeichnet werden.“ Dass die Isolationspolitik von Teilen der Gesellschaft und vor allem der Politik Rückendeckung erhält, liege in vielerlei Hinsicht an der „ideologischen Kriegswaffe aus chauvinistischer Meinungsmache und Hetze“ der Staatsführung. Die anhaltende Isolation von Abdullah Öcalan rücke aber eine politische Lösung der kurdischen Frage und damit einhergehende Konflikte in die Ferne und verursache darüber hinaus weitere Krisen, die das Land in einen einzigen Krisenherd verwandelten.
Isolation beenden - Für eine Atmosphäre des Friedens
„Um eine Atmosphäre des Friedens entstehen zu lassen, unternahm Abdullah Öcalan aus der Haft heraus zahlreiche Initiativen“, führte Muğuç weiter aus. „Doch jedes Mal wurden seine Bemühungen vom Staat untergraben. Es ist eine Notwendigkeit des gesellschaftlichen Interesses, Bedingungen für Öcalan zu schaffen, die erforderlich sind, damit er seine Bemühungen und Wünsche erfüllen und seine Rechte ausüben kann. Die Imrali-Praxis hat den sozialen Frieden zerstört. Als ÖHD fordern wir, Abdullah Öcalan nicht länger seiner Rechte zu berauben und Kontakt zu ihm zu ermöglichen. Dies würde den ersten Schritt hin zu einem Ende der aktuellen sozialen Krise darstellen.“ Die Kundgebung endete mit einem Appell an zuständige Institutionen, ihrer „verfassungsmäßigen Verantwortung“ hinsichtlich der Aufhebung der Isolation nachzukommen.