Ata: Der Kampf gegen türkische Chemiewaffen geht weiter

Ein Jahr lang hat der kurdische Aktivist Xoşnav Ata die OPCW in Den Haag zum Handeln gegen den Chemiewaffeneinsatz durch die Türkei aufgefordert. Dass diese Forderung ungehört verhallt, ist ein Zeichen für den weltweiten Niedergang der Demokratie.

Xoşnav Ata hat ein Jahr lang mit einem Bild seiner Nichte vor dem Gebäude der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) in Den Haag Gerechtigkeit eingefordert. Der in Deutschland lebende Kurde protestierte mit seiner Aktion gegen die türkischen Chemiewaffenangriffe in Kurdistan und die Untätigkeit der OPCW, die bisher keine Anstalten gemacht hat, die Vorwürfe zu untersuchen und den Einsatz verbotener Kampfmittel zu verhindern.

„Der türkische Staat hat meine Nichte mit chemischen Waffen getötet. Warum gibt es keine Untersuchung der OPCW?“ stand auf dem Schild, das Ata dabei in den Händen hielt. Gemeint ist die Guerillakämpferin Binevş Agal (Gülperin Ata), die im Mai 2022 durch den Einsatz von Chemiewaffen in der Zap-Region in Südkurdistan ums Leben gekommen ist. Eine weitere Nichte von Ata kam im Dezember 2021 in Dersim ums Leben.

Heute hat Ata seine Mahnwache beendet und die Fortsetzung seines Kampfes für Gerechtigkeit mit anderen Methoden angekündigt. Das teilte Ata auf einer Kundgebung vor dem OPCW-Gebäude mit. Der kurdische Aktivist wurde von zahlreichen Menschen unterstützt, darunter auch Zübeyir Aydar vom Nationalkongress Kurdistan (KNK) und Abdulkarim Omar, Europavertreter der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES).

Ata wies in einer Erklärung darauf hin, dass Kurd:innen nach Auffassung der OPCW nicht das Recht auf Schutz vor Chemiewaffen haben, weil sie über keinen eigenen Staat verfügen. Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft zu den Kriegsverbrechen der Türkei sei ein Zeichen für den weltweiten Niedergang der Demokratie.

„Heute ist der 359. Tag, seit ich meine Mahnwache vor der OPCW begonnen habe. Die OPCW ist die internationale Organisation für das Verbot von Chemiewaffen und hat ihren Sitz in Den Haag. Es handelt sich also um eine Organisation, die für jedes europäische Land und für alle Länder der Welt von Bedeutung ist. Seit dem 5. August letzten Jahres stehe ich jeden Wochentag dort, um die Öffentlichkeit auf den Einsatz illegaler und verbotener Chemiewaffen durch die türkische Armee aufmerksam zu machen. Seit vielen Jahren werden Bilder und Videos von den chemisch verbrannten Leichen und erstickenden Menschen veröffentlicht, die von den Kriegsverbrechen des türkischen Militärs zeugen. Meine eigenen Nichten, zwei junge kurdische Frauen, wurden durch diese vom türkischen Militär eingesetzten chemischen Waffen ermordet. Ihre toten Körper sind Teil des Beweismaterials“, erklärte Xoşnav Ata und führte weiter aus:

„Es gibt Berge von glaubwürdigen Beweisen, die die OPCW zwingen, eine Untersuchung durchzuführen, darunter Hunderte von Augenzeugen und Tausende von Beweisstücken. Darüber hinaus hat auch die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Nichtregierungsorganisation International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) die Idee einer umfassenden Untersuchung auf der Grundlage ihrer eigenen Berichte und Erkenntnisse befürwortet.

Die OPCW behauptet jedoch, sie könne den Einsatz von Chemiewaffen nur auf Antrag eines UN-Mitgliedstaates untersuchen. Damit wird im Wesentlichen gesagt, dass über 40 Millionen Kurdinnen und Kurden kein Recht auf Schutz vor chemischen Waffen haben, da sie keinen Staat haben. Was denken Sie darüber?

Ich kündige heute nach einem Jahr an, dass ich meine Mahnwache hiermit beenden werde. Das ist nicht als Ende meiner Bemühungen gedacht. Ich habe diese Entscheidung getroffen, nachdem ich das wahre Gesicht der OPCW kennengelernt habe und mir klar geworden ist, dass ihr Schweigen nicht nur das Recht des kurdischen Volkes auf Schutz vor chemischen Waffen verletzt, sondern auch die Werte und Errungenschaften der europäischen Völker missachtet. Ich übergebe hiermit die Aufgabe an Sie.

Denn die Art und Weise, wie die OPCW den Einsatz illegaler chemischer Waffen durch einen Staat behandelt und ignoriert, kündigt eine gefährliche Realität an, in der die Werte, die Europa und die Vereinten Nationen zu schützen vorgeben, nicht angewandt werden. Wenn Kurden heute zu Tode vergast werden können, dann wird diese Doppelmoral der OPCW auch die Bürgerinnen und Bürger der Welt treffen. Erinnern wir uns an die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs, als giftige Gase über den Schützengräben schwebten und europäische Städte auslöschten.

Hätte die OPCW auf die Rufe nach einer Untersuchung gehört und ihre Pflicht getan, dann wären meine Nichten und alle anderen Opfer noch am Leben. Das Schweigen der OPCW, der Vertreter der Europäischen Union und der Vereinten Nationen, ist ein Zeichen für den Niedergang der Demokratie und die Zukunft des Friedens.

Es liegt auch an Ihnen, die Schwere dieses Schweigens zu erkennen und die Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Länder in Ihrem eigenen Interesse zur Rede zu stellen. Sie können den Fall durch die Vertreter Ihres Staates vor die UNO bringen. Was die Kurdinnen und Kurden betrifft, so bedeutet das Schweigen der OPCW und der UNO, dass ihnen das Existenzrecht verweigert wird. Dass die OPCW eine Untersuchung mit einer Ausrede verweigert, die die Vereinten Nationen als Schuldige belastet, zeigt, dass es keinen anderen Weg gibt, den Chemikalienterror zu beenden, als das öffentliche Bewusstsein.

Saddam Hussein hat in den 1980er Jahren die Kurdinnen und Kurden von Helebce vergast, und in diesem Fall hat die Gerechtigkeit Jahrzehnte gebraucht. Es bleibt zu hoffen, dass die verantwortlichen Institutionen und Parteien, die vorgeben, Demokratie und westliche Werte zu vertreten, sich diesmal nicht zu Komplizen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit machen, das der türkische Staat in diesem 21. Jahrhundert begeht.“