Die Migrationsplattform Mesopotamiens hat auf einer Pressekonferenz in Amed (tr. Diyarbakir) über die zunehmende Abwanderung aus Kurdistan und der Türkei nach Europa informiert. In der Plattform haben sich mehrere zu Flucht und Migration arbeitende Vereinigungen zusammengeschlossen, darunter der Verein Göçiz-Der sowie Organisationen aus der kurdischen Serhed-Region und aus der Tiefebene Çukurova in der südlichen Türkei. An der Pressekonferenz nahmen auch Vertreter:innen der Parteien HEDEP und DBP und der Juristenvereinigung ÖHD teil.
Medya Alkan, Ko-Vorsitzende der Migrationsplattform Mesopotamiens, führte aus, dass die kurdische Bevölkerung schon lange von erzwungener Migration und Vertreibung betroffen ist und diese Politik negative Auswirkungen auf die kurdische Identität und Kultur hat. Für die Migrationsbewegungen gebe es politische und wirtschaftliche Gründe, treibender Faktor sei die staatliche Spezialkriegspolitik. Dazu gehöre etwa die 2016 eingeführte Praxis, demokratisch gewählte Kommunalpolitiker:innen durch staatliche Zwangsverwalter zu ersetzen, die Ausrufung von speziellen Sicherheitszonen in ländlichen Gebieten, die Wirtschaftskrise, die Förderung von Drogen und Prostitution und die Legitimierung von Gewalt gegen Frauen. „All das ist kontinuierlich und alltäglich geworden", betonte Medya Alkan.
Innerhalb von neun Monaten 50.000 Asylanträge in Europa
Laut den genannten Daten ist die Anzahl der Asylanträge von Menschen aus der Türkei in Europa, die 2016 bei 9.675 lag, in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 auf 51.415 gestiegen. Demnach beantragen durchschnittlich fast 6.000 Menschen jeden Monat in Europa Asyl. Im September 2023 waren die hauptsächlichen Herkunftsstaaten von Asylbewerber:innen in der EU plus Schweiz und Norwegen Syrien und die Türkei. Zirka 19.800 der rund 108.000 Asylanträge, die im September gestellt wurden (Erst- und Folgeanträge), kamen von Menschen syrischer Nationalität. Rund 11.500 Asylanträge wurden von Menschen aus der Türkei gestellt. Die Türkei hatte im September erstmals Afghanistan als zweitgrößtes Herkunftsland von Asylbewerber:innen in der EU abgelöst. Medya Alkan schätzt, dass 80 Prozent der Migrant:innen aus der Türkei Kurd:innen sind.
Kurdistan wird entvölkert
Medya Alkan sagte weiter: „Die Tatsache, dass Menschenhändlerbanden in Kurdistan und den türkischen Metropolen von Tag zu Tag zunehmen, dass sie Menschen für 7.000 oder 5.000 Euro nach Europa bringen, manchmal sogar mit Schulden, und dass sie diese Arbeit leicht und kontinuierlich erledigen, ist ein Thema, über das man nachdenken muss." Kurdistan werde durch diese bewusst betriebene Politik entvölkert und verliere sein kulturelles Gedächtnis, erklärte Alkan und sprach auch über die Schwierigkeiten, denen die Menschen während und nach der Flucht ausgesetzt sind.
Die Vertreibungspolitik verschärfe die Probleme des kurdischen Volkes, betonte Medya Alkan: „Wir sind nicht zur Migration und Vertreibung verurteilt. Im Gegenteil, es ist unsere grundlegende und humanitäre Aufgabe, unsere eigene Wirtschaft mit unserer eigenen Sprache, Kultur und Identität in unserem eigenen Land aufzubauen und für unsere Nachbarschaft, unsere Stadt, unsere Natur und unsere Zukunft zu kämpfen."