Offener Brief an das CPT für Abdullah Öcalan

Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens fordern in einem Brief an das CPT Aufklärung über die Situation Abdullah Öcalans. Kontakt zu ihm könne den Geist der Versöhnung wiederbeleben, der für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage notwendig sei.

Imrali-Isolation

Der wirkmächtigste politische Gefangene der Gegenwart ist sicherlich Abdullah Öcalan. Seit mehr als 25 Jahren wird der Begründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) inzwischen in Geiselhaft des türkischen Staates gehalten, unter Abschottung von seiner Außenwelt. Den letzten Anwaltsbesuch erhielt der auf der Gefängnisinsel Imrali festgehaltene Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung 2019, letztmaliger Familienbesuch kam 2020 zustande. Ein Jahr später wurde bedingt durch eine internationale Protestwelle gegen die Isolation ein Telefongespräch zwischen Abdullah Öcalan und seinem Bruder ermöglicht, das allerdings nach wenigen Minuten aus unbekannten Gründen unterbrochen wurde. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von Öcalan.

Die kurdische Gesellschaft ist in Sorge um Öcalan. Sie betrachtet die Isolation auf Imrali als Hauptgrund für das Ausbleiben einer gerechten Lösung der Kurdistan-Frage und der Aufrechterhaltung des Krieges. Mit der Kampagne „Freiheit für Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ setzen sich Kurdinnen und Kurden und Unterstützende seit Oktober weltweit dafür ein, dass sofortiger Zugang zu dem 75-Jährigen gestattet wird und er unter Bedingungen freikommt, die ihm die Teilnahme an einem lösungsorientieren Dialog ermöglichen. In einem offenen Brief haben sich nun zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens und der Politik an das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) gewandt. Sie fordern dringlich eine Klärung der Lage Öcalans und die Entsendung einer Delegation nach Imrali. Wir veröffentlichen den Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Dr. Mitchell,

als Mitglieder eines Zusammenschlusses von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Parteien, Friedens- und Menschenrechtsorganisationen,  Aktivisten,  Akademikern, Professoren, Juristen und Journalisten wenden wir uns mit einem dringenden Appell an Sie.

Seit 38 Monaten wird der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan, der von Millionen von Kurdinnen und Kurden als ihr legitimer politischer Vertreter angesehen wird, vom türkischen Staat in einer extremen Form von Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali festgehalten. Die Türkei hat Herrn Öcalan in dieser menschenrechtswidrigen und unmenschlichen Isolation „verschwinden lassen“, so als ob er gar nicht mehr existiert.

Ihm wird seit mittlerweile über drei Jahren jeglicher Kontakt zur Außenwelt, einschließlich seiner Anwälte und seiner Familie, verweigert. Über den gesamten Zeitraum hinweg hat die Türkei versucht, die Insel Imrali buchstäblich in einen „schwimmenden Sarg“ zu verwandeln. Herr Öcalan, der heute 75 Jahre alt ist, wird seit 25 Jahren einer Isolationsfolter ausgesetzt, wobei in den letzten drei Jahren keine Informationen über seinen Gesundheitszustand nach außen gedrungen sind. Derzeit kann nicht einmal sein Aufenthaltsort bestätigt werden. Dabei berührt sein Gesundheitszustand viele Kurdinnen und Kurden zutiefst.

Deshalb bitten wir Sie, das CPT, tätig zu werden. Als CPT haben Sie das Recht sowie die Verantwortung, sämtliche Haftanstalten der Vertragsstaaten der Konvention zu besuchen, also auch die Türkei. Dies eröffnet Ihnen die Chance, Ihr Expertenteam nach Imrali zu entsenden, wobei die türkische Regierung verpflichtet ist, Ihnen uneingeschränkten Zugang zu gewähren. Sie haben die Möglichkeit, das Gefängnis zu besuchen, in dem Herr Öcalan inhaftiert ist, und es muss Ihnen erlaubt sein, ihn persönlich zu treffen, damit er frei mit Ihnen kommunizieren kann.

Wir ersuchen Sie, das CPT, gemäß Artikel 3 der Satzung des Europarates zu handeln, der besagt: „Jedes Mitglied des Europarates erkennt den Grundsatz vom Vorrange des Rechts und den Grundsatz an, wonach jeder, der seiner Jurisdiktion unterliegt, der Menschenrechte und Grundfreiheiten teilhaftig werden soll.“ Herr Öcalan ist Bürger eines Mitgliedsstaates des Europarates, der ihm seit zweieinhalb Jahrzehnten seine Menschenrechte verweigert und ihm seit drei Jahren das Recht verwehrt, seine Anwälte zu treffen und mit seiner Familie zu kommunizieren.

Wir bitten Sie eindringlich, unverzüglich eine Delegation nach Imrali zu entsenden, um mit Herrn Öcalan zu sprechen und sich über sein Wohlergehen zu informieren. Es wäre äußerst wünschenswert, wenn Sie darauf drängen könnten, dass die Türkei Herrn Öcalan endlich das grundlegende Recht gewährt, seine Familie und seine Anwälte zu treffen. Ein solches Vorgehen ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Türkei ihren Verpflichtungen als Mitglied des Europarates in vollem Umfang nachkommt. Dies würde dazu beitragen, ein drängendes Menschenrechtsproblem zu lösen und den Sorgen von Millionen von Kurdinnen und Kurden gerecht zu werden. Es könnte auch den Geist der Versöhnung wiederbeleben, der für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei notwendig ist.

Wir hoffen sehr, dass Sie dieser Bitte nachkommen.

Hochachtungsvoll

die Unterzeichnenden

  1. Prof. Dr. Alex Demirovic, Goethe-Universität Frankfurt am Main
  2. Andrej Hunko, MdB, Bündnis Sahra Wagenknecht
  3. Anja Flach, Ethnologin und Autorin
  4. Anja Popp, Rechtanwältin
  5. Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V.                                   
  6. Anna Magdalena Busl, Rechtsanwältin                
  7. Barbara Majd Amin, Sprecherin für die Gruppen der Friedenskoordination Berlin
  8. Bernd Hahnfeld, Richter im Ruhestand
  9. Cansu Özdemir, Fraktion DIE LINKE Hamburg
  10. Carolin Kaufmann, Rechsanwältin
  11. Prof. Dr. Cengiz Barskanmaz, Hochschule Fulda
  12. Christa Blum, Ärztin, Mitglied der Ärztlichen Friedensorganisation IPPNW
  13. Prof. Dr. Christine Graebsch, Fachhochschule Dortmund
  14. Christine Lüth, Rechtsanwältin
  15. Dr. med. Christoph Dembowski, Mitglied der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW
  16. Christoph Klug, Dipl. Psychologe
  17. Prof. Dr. Daniel Bendix, Theologische Hochschule Friedensau
  18. Dr. Dr. Dario Azzellini , Politikwissenschaftler und Soziologe
  19. Dieter Kaltenhäuser, Bündnis Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinenser
  20. Elisabeth Kaltenhäuser, Bündnis Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinenser
  21. Erika Wieland, Psychologische Psychotherapeutin
  22. Erkan Pehlivan, Journalist
  23. Ernst Ludwid Iskenius, Arzt, Mitglied der Ärztlichen Friedensorganisation IPPNW
  24. Fabian Scheidler, Publizist
  25. Prof. Dr. Frank Deppe, Politikwissenschaftler
  26. Prof. Dr. Frieder Otto Wolf, Freie Universität Berlin
  27. Friedrich Roeingh, Journalist
  28. Friedrich Vetter, Pfarrer i.R.
  29. Gabi Zimmer, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, Die LINKE
  30. Gerd Schumann, Autor
  31. Gerhard Baisch, Rechtsanwalt, Bremen
  32. Prof. a.D. Dr. med. Gerhard Trabert, Verein Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
  33. Dr. med. Gisela Penteker, Mitglied der Ärztlichen Friedensorganisation IPPNW
  34. Gökay Akbulut, MdB, Die Linke 
  35. Prof. Dr. Gregor Büchel, Fachhochschule Köln
  36. Dr. Gregor Gysi, MdB, Die Linke 
  37. Gudrun Weckmann-Lautsch, Rechtsanwältin
  38. Harald Klinke, Rechtsanwalt
  39. Hartmut Plötz, Ökonom
  40. Dr. Helmuth Markov, vormals Abgeordneter/ Landesminister
  41. Holdger Platta, Humanistische Union
  42. Isaac Gonzales, Vorsitzender von Wir sind da e.V.
  43. Joachim Schaller, Rechtsanwalt 
  44. Johannes Krug, Theologe und Vikar, Evangelische Kirche Hessen und Nassau
  45. Johannes Patett, Rechtsanwalt
  46. Jörq Heuer, Kulturarbeiter*in, Aktivist*in
  47. Dr. Judith Dellheim, Ökonomin 
  48. Jutta Kausch-Henken, Sprecherin für die Gruppen der Friedenskoordination Berlin
  49. Prof. Dr. Karin Kulow, Nahostwissenschaftlerin und Konfliktforscherin
  50. Kerem Schamberger, Kommunikationswissenschaftler und Autor 
  51. Konstantin Wecker, Liedermacher, Autor und Komponist
  52. Laura Freiin von Wimmerserg, Moderatorin der Berliner Friedenskoordination
  53. Prof. Dr. jur. Lothar Zechlin 
  54. Dr. Lukas Theune, Rechtsanwalt, Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. (RAV)
  55. Marion Böker, Direktorin/Gründerin, Beratung für Menschenrechte & Genderfragen
  56. Marit Vahjen, Mitglied Menschenrechtsgruppe Türkei der IPPNW  
  57. Markus Lautenschlager, Pfarrer
  58. Matthias Jochheim,  IPPNW Frankfurt/M
  59. Prof. Dr. Michael Brie, Philosoph und Sozialwissenschaftler
  60. Michael Bouteiller, Bürgermeister Lübeck a.D.
  61. Michael Schubert, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
  62. Dr. Michael Wilk, Notarzt, Psychotherapeut 
  63. Milan Martín, Rechtsanwalt
  64. Miriam Frieding, Rechtsanwältin
  65. Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Politikwissenschaftler und Friedensforscher
  66. Monty Schädel, ehemaliger politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
  67. Dr. Muriel Gonzalez Athenas, Historikerin Universität Innsbruck
  68. Dr. Nikolaus Brauns, Historiker und Journalist
  69. Nina Treu, Politikwissenschaftlerin und freie Autorin
  70. Prof. em. Dr. Norman Paech, Universität Hamburg
  71. Prof. Dr. habil. Peter Herrman, Wissenschaftler am Human Rights Center, Juristische Fakultät der Central South University, Changsha, VR China
  72. Prof. Peter Ott, Merz Akademie Stuttgart
  73. Dr. phil. Dr. rer. med. Peter Ullrich, Senior Researcher, Technische Universität Berlin
  74. Peter Vonnahme, Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i. R.
  75. Phil Butland, leitende Redakteur, theleftberlin.com
  76. Dr. Philipp Zehmisch, Universität Heidelberg
  77. Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist
  78. Reinhard Hauff, Pfarrer
  79. Rita Belter, Rechtsanwältin
  80. Dr. Robert Krieg, Filmemacher und Publizist
  81. Roland Meister, Rechtsanwalt
  82. Dr. Rolf Gössner, Jurist / Publizist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte
  83. Rudolf Bürgel, Präsidium Landesausschuss Die Linke Baden-Württemberg
  84. Prof. Dr. Rudi Schmidt, Universität Jena             
  85. Dr. Stefan Meretz, Mitglied des Commons-Instituts
  86. Stephan Kuhn, Rechtsanwalt
  87. Susanne Ferschl, MdB Die Linke im Bundestag
  88. Thomas Kilpper, Künstler, Berlin und Professor Kunst Universität in Bergen
  89. Tim Engels, Rechtsanwalt
  90. Dr. Torsten Bewernitz, Hochschule Darmstadt, Redaktion „express“ 
  91. Prof. Dr. Udo Mayer, Universität Hamburg
  92. Prof. Dr. Udo Steinbach, Politikwissenschaftler
  93. Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein, Ehrenvorstandsmitglied der Ärztlichen Friedensorganisation IPPNW
  94. Ulrich Tilgner, Journalist und Sachbuchautor im Ruhestand 
  95. Prof. Dr. em. Urs Marti-Brander, Universität Zürich
  96. Ute Wellstein, Fachärztin für Arbeitsmedizin, Mitglied der Ärztlichen Friedensorganisation IPPNW
  97. Uwe Friesel, Schriftsteller
  98. Prof. Dr. Werner Ruf, Politikwissenschaftler und Friedensforscher
  99. Dr. jur. Wolfgang Bittner, Schriftsteller und Publizist
  100. Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang-Fritz Haug, Berliner Institut für kritische Theorie