Im Europaparlament in Brüssel haben sich am Donnerstag Juristinnen und Juristen aus ganz Europa zur Lage der politischen Gefangenen ausgetauscht. Hauptthema in den zwei Panels der Konferenz mit dem Titel „Politische Gefangene: Isolation, Misshandlung und Folter“, die von den Organisationen ELDH (Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt), EDA (Europäische Demokratische Anwältinnen und Anwälte) und MAF-DAD (Verein für Demokratie und internationales Recht) unter der Schirmpatenschaft des EU-Abgeordneten Massimiliano Smeriglio ausgerichtet wurde, war die Lage der Gefangenen im Baskenland, in Katalonien und in Ungarn sowie in der Türkei – mit Augenmerk auf die Gefängnisinsel Imrali.
„Weil die Repression international kooperiert, müssen wir dringend ebenfalls länderübergreifende Strukturen aufbauen“, erläuterte Edre Olalia von der International Association of Democratic Lawyers (IADL) seine Erwartungen. Der Jurist, der auch Vorsitzender der National Union of People's Lawyers aus den Philippinen ist, erklärte, in seinem Land gebe es 786 politische Gefangene, von denen einige bereits seit 40 Jahren inhaftiert seien. Die internationale Gemeinschaft müsse sich für Untersuchungen gegen die Regierung einsetzen, da diese in ihren eigenen nationalen Initiativen und Untersuchungsprozessen für eine Verbesserung der Menschenrechtslage keine Fortschritte vorweisen könne und auch eine nachhaltige Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit bis heute nicht stattgefunden habe.
Gülşah Kurt, Expertin für internationales Strafrecht und Mitglied der Initiative Academics for Peace, wies auf einen rasanten Anstieg neuer Isolationsgefängnisse in der Türkei hin. Dabei seien diese Hafteinrichtungen Räume, in denen „universelle Prinzipien außer Kraft gesetzt und die Menschenwürde missachtet werden”. Politische Gefangene seien mit einem System konfrontiert, mit dem ein völlig neues Bestrafungsregime umgesetzt werde, jenseits der Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen. Als Vorbild gelte das Inselgefängnis Imrali, in dem Abdullah Öcalan seit seiner Verschleppung in die Türkei vor 25 Jahren festgehalten wird. „Imrali ist eine Rechtsinstitution, die als Prototyp für die tatsächlichen Macht- und Kontrollmethoden in der Türkei dient. Die Außerkraftsetzung des Rechts auf Hoffnung breitet sich von dort auf alle anderen Hafteinrichtungen aus. Das wird vom Europarat aber ignoriert”, kritisierte Kurt.
Weitere Redner:innen der Konferenz waren unter anderem die Juristin Aurora D'Agostino aus Italien, die vom Fall der italienischen Antifaschistin Ilaria Salis berichtete, die sich seit über einem Jahr in Ungarn in Haft befindet, weil sie auf einer rechtsextremen Kundgebung Demonstranten angegriffen haben soll; und Bego Atxa aus dem Baskenland, die mit Blick auf die ETA-Gefangenen von „Gefangenen ohne Rechte” sprach. 15 Jahre nach der letzten bewaffneten Aktion, 13 Jahre nach dem verkündeten Gewaltverzicht, sieben Jahre nach Bekanntgabe der Positionen ihrer Waffendepots und sechs Jahre seit ihrer Auflösung ist die ETA schon längst Geschichte. Dennoch säßen rund 80 frühere Mitglieder, tatsächlich oder mutmaßlich, noch immer hinter Gittern. Mit wenigen Ausnahmen verbüßten diese Gefangenen ihre Strafe bis auf den letzten Tag, obwohl die spanische Rechtsprechung Entlassungen nach zwei Drittel oder drei Viertel der Strafen vorsieht, und in Gefängnissen, die teilweise tausende Kilometer von ihrem Heimatort entfernt sind.
Öcalan-Verteidiger Mazlum Dinç aus Istanbul sowie Lena Charlotta Lagnander aus Schweden, die Teil der Internationalen Imrali-Delegation ist, legten ihren Schwerpunkt ebenfalls auf den PKK-Begründer, von dem es seit über drei Jahren kein Lebenszeichen mehr gibt. Lagnander bezeichnete Imrali als „staatliches Versuchslabor”, in dem Unterdrückungsmechanismen erst erprobt würden, bevor sie auf die kurdische Gesellschaft übertragen werden. „Als Imrali-Delegation haben wir mehrfach festgestellt, dass der Umgang des türkischen Staates mit Abdullah Öcalan als Gradmesser für den Umgang mit der kurdischen Bevölkerung gilt und sich die Isolation auf Imrali über verschiedene Kanäle auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Was können wir also tun gegen ein System, das die Demokratie aushöhlt? Wir müssen Druck ausüben, unter anderem auf das CPT. Als Antifolterkomitee des Europarates hat diese Institution eine Inspektion auf Imrali durchgeführt, den Bericht dazu auf Drängen der türkischen Regierung aber nicht veröffentlicht. Es braucht auch Druck auf die europäischen Länder und von ihnen wiederum auf die Türkei. Durch ihr Schweigen billigen sie das Unrecht des türkischen Staates. Die Isolation muss ein Ende haben. Nicht nur in der Türkei, sondern überall.“
Abschließende Feststellungen
In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde festgestellt:
- In ganz Europa und insbesondere in der Türkei werden Folterungen und Misshandlungen in den Gefängnissen von Tag zu Tag offensichtlicher. Beobachtungen deuten darauf hin, dass Isolationshaft als Normalvollzug praktiziert wird und willkürliche Verlegungen auch als Strafmechanismus gegen Angehörige der Gefangenen angewandt werden. Die Teilnehmenden der Konferenz betonen, dass Folter und Misshandlung in Gefängnissen ein grundlegendes Problem mit schwerwiegenden gesellschaftspolitischen Folgen darstellen.
- Die Situation im Baskenland, in Katalonien und in Ungarn, wie etwa das diskriminierende Strafvollzugsgesetz für politische Gefangene und die mangelnden hygienischen Bedingungen, waren einige der Themen, die auf der Konferenz diskutiert wurden. Obwohl aus Zeitgründen nicht darauf eingegangen werden konnte, ist bekannt, dass die Situation in Griechenland, insbesondere in Bezug auf Flüchtlinge, nicht anders ist als im Vereinigten Königreich und in Deutschland.
- Die Türkei, die zu den Ländern mit einer sehr hohen Zahl politischer Gefangener zählt, zeigt in vielerlei Hinsicht ein alarmierendes Bild. Durch das von der AKP und ihren Verbündeten errichtete autoritäre Regime hat sich die Justiz in ein grundlegendes Instrument der politischen Unterdrückung verwandelt. In der Türkei werden fast täglich neue administrative und juristische Methoden gegen politische Gefangene angewandt. Beispiele hierfür sind neue Gefängnismodelle, willkürliche und unangekündigte Verlegungen, die verweigerte Haftentlassung wegen vermeintlicher Disziplinarstrafen, der Entzug aller Arten von Rechten, der Zugang zur Gesundheitsversorgung und Kommunikationsverbote, um nur einige zu nennen. Folter und Misshandlung sind durch Instrumente wie Leibesvisitationen und Zählappelle, die in Gefängnissen weit verbreitet sind, zum Alltag geworden.
- Ein noch nie dagewesenes Beispiel für Isolation findet sich im Gefängnis auf der Insel Imrali. In den letzten drei Jahren gab es keine Nachricht von Abdullah Öcalan. Diese strenge Isolationspraxis, die für die kurdische Gesellschaft, die legalen und demokratischen Kräfte alarmierend ist, ist auch eine Dimension des massiven Angriffs gegen das kurdische Volk, einschließlich seiner Verleugnung und den Vernichtungsabsichten. Die Isolation und der Krieg gegen das kurdische Volk manifestieren sich als verschiedene Aspekte desselben politischen Ansatzes. Der Kampf gegen die Isolation, der systematisch im Kontext der Wahrung der Menschenwürde geführt werden sollte, stellt eine der wichtigsten Dynamiken des Kampfes für Frieden und Demokratie dar, insbesondere im Zusammenhang mit dem Imrali-Inselgefängnis.
Die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer haben in Anbetracht der oben genannten Erkenntnisse und der sich verschlechternden Situation in ganz Europa beschlossen, dass ein wirksamer, kollektiver rechtlicher und politischer Kampf gegen Isolation und Folter in Gefängnissen geführt werden muss.
In diesem Zusammenhang fordern wir vor allem die Mechanismen der Europäischen Union und des Europarates auf:
- eine aktivere Haltung einzunehmen und konkrete Schritte zu unternehmen, um die unmenschlichen Praktiken in türkischen Gefängnissen, das willkürliche Haftregime gegen politische Gefangene, auch im Imrali-Inselgefängnis, das zur ersten Adresse für Isolationsfolter geworden ist, zu beenden.
- die Haftbedingungen in Ungarn zu überwachen und die notwendigen Schritte zu ihrer Verbesserung zu unternehmen.
- konkret gegen diskriminierende Strafvollzugsregelungen und andere Gesetze im Baskenland, der Türkei und anderen Ländern einzuschreiten.
Darüber hinaus wird an das CPT appelliert, insbesondere im Hinblick auf das Gefängnis auf der Insel Imrali, seine Verantwortung bei der Überwachung und Bewältigung der sich verschärfenden Probleme in europäischen Gefängnissen effektiver wahrzunehmen.
Die Konferenzteilnehmer:innen haben in Vorträgen und Diskussionen ihre konkreten Ansichten und Vorschläge geäußert und beschlossen, in den folgenden Bereichen einen gemeinsamen Kampf zu führen:
1. Aufbau eines zunächst aus Teilnehmenden der Konferenz bestehenden und ausbaufähigen Netzwerks, um den gemeinsamen juristischen Kampf gegen Isolation und Folter systematisch und effektiv zu führen.
2. Die Notwendigkeit, eine umfassende und gut besuchte zweitägige Konferenz unter der Leitung von Anwält:innen und juristischen Organisationen, die an der Konferenz teilnehmen, zu organisieren, um die von Gefangenen erlebte Folter und Misshandlung in einem breiteren Kontext zu diskutieren. Eine solche Konferenz kann Diskussionen über Rechtsvorschriften und Praktiken in verschiedenen Ländern erleichtern und ein Umfeld schaffen, in dem auch subjektive Ansichten gehört werden können. Zur Vorbereitung dieser Konferenz wird eine Arbeitsgruppe gebildet.
3. Zur Unterstützung einer Petition, die im Januar 2024 von 1.330 Anwält:innen beim türkischen Justizministerium eingereicht wurde und in der die Beendigung der anhaltenden Isolation im Imrali-Inselgefängnis und die Gewährung von Anwaltsbesuchen gefordert wird, wird eine ähnliche Petition von europäischen Anwälten organisiert werden.
4. Alle Anwält:innen und Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die an der Konferenz teilgenommen haben, haben beschlossen, sich dafür einzusetzen, ihre jeweiligen Anwaltskammern und internationale Menschenrechts- und Zivilrechtsorganisationen für die Probleme der Gefängnisse zu sensibilisieren.