Straßburg: Europarat muss sich für ein Ende der Isolation einsetzen

Das mehrtägige Sit-in in Straßburg konnte wegen fehlender Erlaubnis nicht stattfinden, stattdessen gab es eine laute Kundgebung vor dem Europarat. Mit dabei waren auch französische und irische Unterstützer.

Kampf gegen Isolation

„Mit der totalen Isolation gegen Abdullah Öcalan wird versucht, das kurdische Volk seines politischen Willens zu berauben. Es ist offensichtlich, dass der türkische Staat eine genozidäre Politik verfolgt und damit den Weg zu Demokratie, Menschenrecht und Freiheit versperrt. Wir protestieren dagegen, dass Europa diesen menschenverachteten Umgang mit Kurdinnen und Kurden toleriert und fordern alle Gremien auf, ihrer Verantwortung gegenüber den Menschenrechten nachzukommen. Der Europarat muss seiner Rolle endlich gerecht werden und Kontakt zwischen Abdullah Öcalan und seiner Außenwelt erwirken.“ Das waren Worte von Zübeyde Zümrüt, der Ko-Vorsitzenden des Dachverbands kurdischer Vereine in Europa (KCDK-E), die am Montag bei einer Protestveranstaltung im Straßburger Europaviertel zu hören waren.

Für ein Ende des Krieges und die Lösung der Kurdistan-Frage: Öcalan freilassen

Mit der Forderung „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ sollte dort eigentlich ein mehrtägiges Sit-in stattfinden, als Teil einer gleichnamigen Kampagne, die seit Oktober dafür geführt wird, dass Öcalan sich mit seinem Rechtsbeistand und Familienangehörigen treffen darf und schließlich unter Bedingungen freigelassen wird, die es ihm ermöglichen, eine Rolle bei der Suche nach einer gerechten und demokratischen politischen Lösung für die Kurdistan-Frage in der Türkei zu spielen. Der Theoretiker und Anführer der kurdischen Freiheitsbewegung befindet sich seit 25 Jahren als politische Geisel des türkischen Staates auf der Gefängnisinsel Imrali – die meiste Zeit davon unter Bedingungen der totalen Isolation. 


Vorwurf: CPT ignoriert Folter auf Imrali

Unter den Teilnehmenden der Aktion waren neben Kurdinnen und Kurden aus Frankreich auch Menschen aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Der Ort war mit Bedacht gewählt – schließlich beherbergt das Europaviertel das EU-Parlament, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), den Europarat und das Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT). Letzteres überwacht die Einhaltung der Europäischen Antifolterkonvention durch die Mitgliedsländer des Europarats, etwa durch Besuche in Gefängnissen, Polizeistationen und anderen Orten, an denen Menschen festgehalten werden. Zum Aufgabenbereich des CPT gehört auch die Überwachung der Haftbedingungen Öcalans und die Sicherstellung, dass diese nicht menschenunwürdig sind. Der KCDK-E und andere kurdische Verbände werfen dem Gremium allerdings vor, dass es die Situation auf Imrali ignoriere und sich damit eine schwere Verletzung seiner Aufsichtspflicht zur Verhütung von Folter auf Imrali zu Schulden kommen lasse. So hatte sich im Februar eine Delegation des CPT in der Türkei aufgehalten und einige Haftanstalten besucht, Imrali jedoch ausgespart und auch keine Begründung dafür geliefert, weshalb eine Inspektion in dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem neben Öcalan noch drei weitere kurdische Gefangene festgehalten werden, nicht erfolgt ist.

Imrali: Jenseits von Recht und Menschlichkeit praktiziertes Foltersystem

Das für fünf Tage anberaumte Sit-in konnte wegen einer zurückgezogenen Behördenerlaubnis nicht wie geplant stattfinden, deshalb wurde eine Kundgebung veranstaltet. Zahlreiche Persönlichkeiten aus der kurdischen Politik und Zivilgesellschaft beteiligten sich, darunter der Ko-Vorsitzende des Volksrates in Straßburg, Fikret Çelik, die Aktivistin Kezban Doğan von der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E), der aus Ankara angereiste DEM-Abgeordnete Ömer Öcalan, der zugleich ein Neffe des PKK-Begründers Abdullah Öcalan ist und die Politikerin Zeynep Murad vom Nationalkongress Kurdistan (KNK). In ihren Reden forderten sie, dass sich der Europarat für die Gefangenen auf Imrali einsetzen müsse und das dort „jenseits von Recht und Menschlichkeit praktizierte Foltersystem“ beende. Die absolute Isolation auf Imrali betreffe die gesamte Gesellschaft. Wenn sie wegfällt, werde auch der Druck auf die Gesellschaft nachlassen, lautete der breite Konsens.

Irischer Abgeordneter: Der Staat hat Angst vor Öcalan

Unterstützung für den Protest gab es aber auch von internationalen Namen: Mitglieder des Jugendverbands der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) verlasen eine „Botschaft der Solidarität mit dem Kampf des kurdischen Volkes“. Mit den Worten, dass „die Verfolgung des kurdischen Volkes ein Ergebnis des Kapitalismus ist“, betonten sie die Notwendigkeit des kommunistischen Kampfes gegen Imperialismus und Ausbeutung und erklärten, dass die Lösung in der Arbeiterklasse liege.

Thomas Pringle, der Abgeordneter des irischen Parlaments ist und seit jeher als Unterstützer des kurdischen Befreiungskampfes gilt, wies auf Parallelen der Widerstände in Irland und Kurdistan hin. „Das Vorgehen des türkischen Staates gegenüber Abdullah Öcalan und allen anderen politischen Gefangenen zeigt die Furcht vor ihnen. Es ist ein würdevoller Widerstand, den diese Menschen hinter Gittern führen, und verdient den Respekt von uns allen.“ Gleiches gelte auch im Hinblick auf den Kampf für die kurdische Sache, der in Europa ausgetragen wird. „Es ist der Kampf von uns allen.“ Seine Rede beendete Pringle mit der Forderung nach Freiheit für Öcalan und der Parole “Bijî Serok Apo”.

Der französische Parlamentarier Emmanuel Fernandes von der linken Partei La France insoumise bezeichnete die Haftbedingungen Öcalans als „verwerflich“ und unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Türkei setze sich beharrlich Menschenrechte hinweg, das dürfe nicht länger geduldet werden. „Abdullah Öcalan muss so schnell wie möglich freigelassen werden“, das müsse der Europarat durchsetzen, sagte Fernandes. Er selbst wolle die Situation von Öcalan sowie des früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş im EU-Parlament ein weiteres Mal zur Sprache bringen. Fernandes kritisierte zudem die Auslieferung dreier kurdischer Aktivisten an die Türkei. „Die Abschiebung dieser jungen Geflüchteten geschah nicht in meinem Namen, nicht im Namen meiner Partei, nicht im Namen der französischen Linken. Das ist eine Schande. Wir stehen unseren kurdischen Freundinnen und Freunden bei und werden ihren Widerstand weiter unterstützen. Wir fordern die Freiheit für Abdullah Öcalan und die der politischen Gefangenen.“

Musik von Diyar Dersimî und Kawa Ûrmiye

Das Bühnenprogramm fand im Wechsel mit politischen Reden und künstlerischen Beiträgen statt. Für Musik sorgten Diyar Dersimî und Kawa Ûrmiye. Letzterer hatte auch die Moderation der Veranstaltung übernommen. Ûrmiye kündigte an, dass die Proteste gegen die Ignoranz Europas gegenüber der Situation von Öcalan weitergehen würden: „Erst wenn das Unrecht am kurdischen Repräsentanten beseitigt und er frei ist, werden wir von der Straße weichen.“