Französin wegen Versklavung von Ezidin angeklagt

Sie soll eine 16-jährige Ezidin versklavt und misshandelt haben: In Paris muss sich die Ex-Frau eines früheren Chefs der Auslandsoperationen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Völkermords verantworten.

Vorwurf Völkermord

Weil sie eine minderjährige Ezidin versklavt und misshandelt haben soll, muss sich die Ex-Frau eines ranghohen Terroristen der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Frankreich vor Gericht verantworten. Die IS-Rückkehrerin Sonia M. werde wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Völkermords angeklagt, hieß es in einem Bericht der APA vom Wochenende.

Die heute 25-jährige Ezidin war 16 Jahre alt, als sie aus ihrem Dorf im Şengal im Nordirak entführt und versklavt wurde. Einem am Samstag in der Tageszeitung „Le Parisien“ veröffentlichten Artikel zufolge hatte sie im Februar bei einer Anhörung im südkurdischen Hewlêr (Erbil) von täglichen Misshandlungen im Haushalt von M. und deren Ex-Mann Abdelnasser Benyoucef, dem Chef der IS-Auslandsoperationen, berichtet.

Vorwurf  der Vergewaltigung

Demnach wurde die Ezidin im Frühjahr 2015 über einen Monat lang von dem Paar im nordsyrischen Raqqa gefangen gehalten und durfte ohne die Erlaubnis von M. weder trinken, noch essen oder duschen. Weiter wirft die Ezidin M. vor, sie zweimal vergewaltigt zu haben und davon gewusst zu haben, dass deren Mann sie ebenfalls vergewaltigte. Bei einem Verhör im März habe M. jegliche Misshandlung der Ezidin allerdings bestritten und lediglich „eine einzige Vergewaltigung“ durch ihren damaligen Ehemann eingeräumt. Laut ihrer Aussage, die der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, verließ die Jugendliche „frei ihr Zimmer, aß, was sie wollte, ging auf die Toilette, wenn sie musste“. Den Vorwurf der Ezidin, M. habe eine zudem Waffe getragen, wies die 34-jährige IS-Rückkehrerin demnach ebenfalls zurück.

2014 ins Kalifat gereist

Sonia M. reiste 2014 im Alter von 25 Jahren ins sogenannte Kalifat der Dschihadisten. Ihr damaliger Mann Benyoucef, ein Franko-Algerier, mit dem sie zwei Kinder hatte, soll ihren Angaben zufolge im März 2016 an den Folgen einer Beinverletzung, die er sich bei Gefechten mit syrischen Regierungstruppen hinzugezogen hätte, gestorben sein. Nach seinem Tod heiratete M. einen anderen Dschihadisten. Mit ihm hielt sie dem IS bis zuletzt die Treue und ergab sich mit ihren inzwischen drei Kindern den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) in Baghuz, allerdings erst im März 2019, als die letzte Enklave des IS befreit wurde.

Aus Camp Hol in die Türkei geflohen

Von Baghuz aus kam M. in das Auffang- und Internierungslager Hol in der Nähe von Hesekê. Rund sechs Monate später gelang ihr die Flucht in die Türkei. Die Französin hatte wie hunderte weitere IS-Mitglieder auch das Sicherheitsvakuum genutzt, das im Zuge des türkischen Angriffskrieges im Oktober 2019 gegen Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) entstanden war. Über Idlib überquerte M. schließlich die Grenze und stellte sich im Dezember 2019 dem französischen Konsulat in Istanbul. Sie wurde nach Frankreich ausgewiesen und kurz darauf inhaftiert. Im September 2022 wurde sie auf Antrag der französischen Staatsanwaltschaft für Terrorismusbekämpfung (PNAT) zunächst als Komplizin angeklagt, nun auch als Täterin.

Genozid und Femizid

Seit fünftausend Jahren leben Ezidinnen und Eziden in Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris. Nicht erst mit dem Terror des IS in ihrem Hauptsiedlungsgebiet Şengal begann für die religiöse Minderheit mit vorchristlichen Wurzeln, die den Engel Pfau (Tawûsî Melek) verehrt, eine unglaubliche Kette von Verfolgung, sondern mit der Islamisierung des Nahen Ostens. Diese blutigen Anschläge auf ihr Volk bezeichnen die Ezid:innen als „Ferman“. Während der Begriff im osmanischen Sprachgebrauch für ein Dekret des Sultans steht, nahm das Wort in der Sprache des „Volkes des Engels“ die Bezeichnung für Verfolgungen und Pogrome an.

Mindestens 73 Verfolgungswellen

Es wird davon ausgegangen, dass die Ezid:innen seit dem zwölften Jahrhundert Opfer von mindestens 73 Verfolgungswellen wurden. Zuletzt am 3. August 2014, als der selbsternannte IS in der dezidierten Absicht in Şengal einfiel, die ezidische Kultur auszulöschen. Zehntausenden Ezidinnen und Eziden blieb nur die Flucht ins Gebirge. Doch nicht allen gelang sie rechtzeitig. Die Dschihadisten verübten Massenmorde an Männern, verschleppten Frauen und Kinder, um sie zu vergewaltigen, zu versklaven oder zu Kindersoldaten zu rekrutieren. Verschiedenen Schätzungen nach fielen bis zu 10.000 Menschen diesen Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, bis heute werden etwa 2.500 von ihnen vermisst. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Femizid dar.

Foto: August 2014: Ezidinnen und Eziden in Şengal flüchten vor dem IS ins Gebirge (c) MA/Abdurrahman Gök