Im bayrischen Verfassungsschutzbericht 2023 werden erneut Namen zahlreicher kurdischer Organisationen, die in Deutschland laut dem Vereinsrecht einen rechtlichen Status besitzen, im Zusammenhang mit sogenannten Sicherheitsfragen aufgelistet. Seit 1993 wiederholt der deutsche Staat durch seine vermeintlichen Verfassungsschützer die gleiche Routine und stellt die kurdische Community und ihren Widerstand gegen die Unterdrückung und für die Selbstbestimmung als ein potentielles Verbrechen dar. Die kurdische Gesellschaft und ihr Kampf um Selbstbestimmung sind jedoch einer der größten Verfolgungs- und Vernichtungspolitik ihrer Geschichte ausgesetzt. Aufgrund dieser brutalen Verfolgung und Repression mussten Teile der kurdischen Gesellschaft ihre Heimat verlassen und nach Europa, insbesondere nach Deutschland, fliehen. Auch hier hat die kurdische Community ihren Kampf um Anerkennung ihrer Kultur und Sprache fortgesetzt und sich auf der Grundlage ihrer eigenen Werte und Ideen organisiert. Auf der Grundlage der Gesetze und Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland (BRD) hat sie angefangen, sich zu organisieren. Der Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes von 2023 besteht immer noch auf der alten klassischen leugnenden und restriktiven Politik. Die Auflistung kurdischer Institutionen und Organisationen im Verfassungsschutzbericht Bayerns weist auf eine Parallelität zu der Herangehensweise des türkischen Staates unter dem autokratischen Erdoğan-Regime hin und reduziert die kurdische Frage auf ein reines Sicherheitsproblem.
Täter-Opfer-Umkehr zugunsten Machtinteressen
Diese Art von Politik charakterisiert sich durch eine Positionierung auf Seiten der Machtinhaber und führt vor dem Hintergrund geopolitischer Machtinteressen zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Ursachen eines Konfliktes, der aufgrund machtpolitischer Interessen entstanden ist und Millionen von Menschen aus der kurdischen Community gewaltsam zur Flucht getrieben hat, werden geleugnet beziehungsweise nicht erwähnt. Wer hingegen diese Ursachen mit einem demokratischen Protest zur Sprache bringt, wird als Sicherheitsproblem und als gefährlich dargestellt.
Kon-Med als Gefährdung für die Sicherheit?
Allein die Tatsache, dass Namen von Organisationen, wie Kon-Med (Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans e.V.), Medya Volkshaus e.V. Nürnberg, Kurdisches Gesellschaftszentrum München e.V. und die Kampagne Defend Kurdistan genannt werden, die mehrere Zehntausend Menschen vertreten, ist eine pauschale Diskriminierung der in Deutschland lebenden kurdischen Gesellschaft und der solidarischen Menschen. Kon-Med als Gefährdung für die Sicherheit in den Verfassungsschutzbericht aufzunehmen ist ohnehin der erste Schritt der Diffamierung. Mit diesem Ziel werden demokratische Rechte wie Organisations-, Presse- und Meinungsfreiheit als „gefährlich“ dargestellt. Politisches Ziel der Aufnahme von eingetragen kurdischen Vereinen in den Verfassungsschutzbericht ist klar: Ein negatives Bild soll geschaffen werden und der Diffamierung soll als Konsequenz die Isolation und Repression folgen. Ebenso dient diese Praxis dazu, die Kurdistan-Solidarität als extremistisch zu diffamieren mit dem Ziel, Kurd:innen zu isolieren. Nichtkurdische Menschen und Organisationen sollen dadurch daran gehindert werden, sich mit den berechtigten Forderungen der Kurd:innen zu solidarisieren.
Diskreditierung und Diffamierung des positiven Bildes von Kurd:innen
Dieses Szenario ist uns allerdings leider schon seit dem „PKK-Verbot“ von 1993 bekannt. Offensichtlich ist das Ziel der Aufnahme von kurdischen sowie solidarischen nichtkurdischen Organisationen in den Verfassungsschutzbericht die Diskreditierung und Diffamierung des positiven Bildes der Kurd:innen in Deutschland. Die kurdische Bewegung hat, insbesondere durch den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat und ihrer Perspektive, die durch Frauenbefreiung, Ökologie und Basisdemokratie gekennzeichnet ist, gezeigt, dass sie sich für die Demokratisierung des gesamten Nahen Ostens einsetzt. Deutschland möchte allerdings vor allem aufgrund ihrer geopolitischen Interessenlage diese Realität nicht anerkennen.
Kein einziges Beispiel für gewalttätige Haltung im bayerischen Verfassungsschutzbericht
Alle Aktionen, die in Bayern von Mitgliedsorganisationen von Kon-Med organisiert worden sind, wurden nach geltendem Recht angemeldet. Ziel dieser Aktionen war es, die brutalen und rechtswidrigen Angriffe des türkischen Regimes unter Erdoğan an die Öffentlichkeit zu bringen, um den Weg für eine politische Lösung der kurdischen Frage zu ebnen.
Die kurdische Community und ihre Institutionen haben weder ein Problem mit dem deutschen Staat, seinen Gesetzen und seiner Verfassung noch mit der deutschen Gesellschaft und anderen in Deutschland lebenden Gesellschaften. Der Verfassungsschutz hat in seinem eigenen Bericht nicht einmal ein Beispiel für irgendeine gewalttätige Haltung der Kurd:innen vorbringen können. Stattdessen setzt er seine Strategie der Kriminalisierung durch die Ausübung verfassungsmäßiger Rechte fort. Agiert die kurdische Community außerhalb des deutschen Grundgesetzes? Oder werden bei der Anwendung des deutschen Grundgesetzes die hier lebenden Kurd:innen ausgeschlossen?
Eine Lösung der kurdischen Frage würde dem Demokratisierungsprozess in der Türkei den Weg ebnen, was auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland sein sollte, denn eine stabile und demokratische Türkei mit der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der kurdischen Gesellschaft würde auch im Interesse der BRD sein. Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung nicht an die Seite des autokratischen Erdoğan-Regimes stellen würde, sondern sich vielmehr für einen nachhaltigen Frieden in dieser Region engagieren würde.
Auf die Ursachen kurdischer Fluchtgeschichte eingehen
Es ist das Recht der Kurd:innen in Bayern, aber auch im gesamten Land, die Öffentlichkeit auf die brutalen Menschenrechtsverletzungen der Türkei aufmerksam zu machen. Denn diese Politik Erdoğans wird von der Bundesrepublik durch Waffenverkäufe und diplomatische Rückendeckung unterstützt. Erdoğan ist bemüht, den antikurdischen Krieg auf die kurdischen Gebiete in Syrien und im Irak auszudehnen, um diese zu besetzen. Die Folge ist die Zunahme kurdischer Geflüchteter. Allein letztes Jahr wurden über 60.000 Asylanträge von Menschen aus der Türkei in der Bundesrepublik gestellt, 52.000 von ihnen waren Kurd:innen. Die bereinigte Schutzquote hingegen für Kurd:innen betrug 6,3 Prozent, während sie für Türk:innen bei 64,6 Prozent lag und das obwohl den deutschen Behörden bekannt ist, dass Kurd:innen in der Türkei systematisch verfolgt und brutalen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Auch hier wird der antikurdische Rassismus der deutschen Bürokratie deutlich.
Sowohl dem bayrischen als auch dem gesamtdeutschen Verfassungsschutz ist zu raten, auf die Ursachen der nach Deutschland kurdischen Geflüchteten einzugehen. Spätestens dann wird ersichtlich, wer alles an der Misere dieses unterdrückten und entrechteten Volkes beteiligt ist.
Ein weiterer Punkt des Verfassungsberichtes betrifft den Antisemitismus und die Feindseligkeit gegenüber der jüdischen Gesellschaft. Die kurdische Gesellschaft hat niemals Feindseligkeiten gegenüber der jüdischen Gesellschaft geäußert. Im Gegenteil, die kurdische Gesellschaft sieht in der Tragödie der jüdischen Gesellschaft ihre eigene Tragödie und das eigene Massaker widergespiegelt. Der Verfassungsschutz bezeichnet absichtlich die kurdische Gesellschaft, ihre Institutionen und Politik als antisemitisch, um die kurdische Gesellschaft in Deutschland aufgrund der Sensibilität dieser Thematik in der BRD zu isolieren. Die aktuellen Konflikte zwischen Palästina und Israel sind inakzeptabel. Weder die terroristischen Handlungen der Hamas noch die Kriegspolitik der israelischen Regierung und ihrer Sicherheitskräfte gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung sind zu akzeptieren. Warum wird die Kritik daran als antisemitischer Ansatz betrachtet? Israel als Staat zur Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aufzufordern, ist kein antisemitischer Akt. Im Gegenteil, indem der Verfassungsschutz dies als „Antisemitismus" bezeichnet und entwertet, schwächt er ihre Wirkung.
PKK nicht Ursache, sondern Folge der Unterdrückung
Die PKK, die seit 1993 als rotes Tuch in der deutschen Politik gilt, ist nicht die Ursache, sondern die Folge der brutalen Unterdrückungspolitik gegen das kurdische Volk. Die Brutalität der türkischen Armee im osmanischen Reich gegen die Kurd:innen war auch Gegenstand der Memoiren des deutschen Feldmarschalls und Militärberaters des türkischen Sultans, Helmut von Moltke, der bereits 1838 über das türkische Gemetzel an Kurden berichtete. Die PKK ist aus der Notwendigkeit entstanden, dieses Volk vor weiterem Gemetzel zu schützen. Genau wie damals liefert die Bundesrepublik heute Waffen an den neuen Sultan Erdoğan. Sie gibt ihm unter dem Vorwand der NATO-Partnerschaft politische und diplomatische Rückendeckung und beschwert sich dann über kurdische Geflüchtete, die wegen des Krieges in die BRD geflohen sind. Wenn man davon spricht, Fluchtursachen zu bekämpfen, so sollte man die Fluchtverursacher dazu motivieren, ihre aggressive und völkerrechtswidrige Kriegspolitik zu beenden und sich auf Seiten der Menschenrechte zu positionieren.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Es ist das grundlegende Recht der Völker, eine ablehnende Haltung gegenüber faschistischer und verleugnender Politik einzunehmen, was die von Faschismus geplagten Gesellschaften Europas sehr gut wissen sollten. Wir rufen daher die deutsche Regierung dazu auf, ihre Politik der Kriminalisierung gegenüber der kurdischen Community zu beenden. Wir fordern sie auf, ihre eigenen Möglichkeiten und Ressourcen für die Entwicklung einer verhandlungsorientierten und friedensstiftenden Politik einzusetzen. Dann wird auch das Zitat aus Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes, das im Vorwort des Verfassungsschutzberichts zitiert wird, seine Erfüllung finden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Die Stellungnahme ist der Webseite von KON-MED entnommen
Titelfoto: Demo zum Welt-Kobanê-Tag (c) Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung Stuttgart (OTKM)