Umstrittenes Großprojekt im Cûdî-Gebirge
In der kurdischen Provinz Şirnex (tr. Şırnak) plant die staatliche türkische Wasserbehörde (DSI) ein umfassendes Infrastrukturprojekt entlang der Nerduş-Schlucht bei Kasrik. Der Bau eines Staudamms mit Wasserkraftwerk, Bewässerungssystemen und zugehöriger Industrieanlagen bedroht nicht nur die Lebensgrundlagen von zwölf Dörfern, sondern auch eine ökologisch besonders wertvolle Region im Cûdî-Gebirge.
Das Projekt umfasst neben dem Staudamm und Kraftwerk auch den Bau von Materialabbaugebieten, einer Brech- und Waschanlage, einem Betonwerk, Lagerflächen sowie eines ausgedehnten Baustellenareals. All diese Maßnahmen werden im Umweltverträglichkeitsbericht, der inzwischen vom Ministerium für Umwelt und Klimawandel genehmigt wurde, als ein einziges Gesamtprojekt dargestellt. Die Baukosten belaufen sich demnach auf rund 2,75 Milliarden Türkische Lira (etwa 77 Millionen Euro); die Fertigstellung ist innerhalb von vier Jahren geplant. Vorgesehen ist der Einsatz von nur zehn Arbeitskräften im späteren Betrieb.

Zwölf Dörfer betroffen – eines liegt in archäologischem Schutzgebiet
Von den geplanten Maßnahmen betroffen sind Dörfer in den Kreisen Silopiya – unter anderem Xezayî, Aynvan und Giri Kundan – und Cizîr, darunter Behmor und Şax. Besonders heikel ist die Lage in Şax, das erst im Juni vergangenen Jahres vom türkischen Kulturministerium zum archäologischen Schutzgebiet ersten Grades erklärt wurde. Trotz der tiefgreifenden Auswirkungen wurde die Bevölkerung nicht ernsthaft beteiligt. Die gesetzlich vorgeschriebene Informationsveranstaltung wurde zwar abgehalten, jedoch von den Dorfbewohner:innen aus Protest boykottiert. Im offiziellen Bericht wurde dennoch vermerkt, die Öffentlichkeit sei beteiligt gewesen.
Natur und Landwirtschaft massiv bedroht
Die Nerduş-Schlucht und das umliegende Cûdî-Gebirge sind Heimat zahlreicher gefährdeter Tierarten wie Wildziegen, Luchsen, Braunbären und Stachelschweinen. Auch viele endemische Pflanzenarten sind hier beheimatet. Der Umweltbericht listet diese Arten zwar oberflächlich auf, die konkreten ökologischen Folgen wie die Rodung tausender Bäume, die Umleitung des Flusslaufs und die Zerstörung von Lebensräumen wurden jedoch kaum berücksichtigt.
Besonders kritisch sehen Fachleute die geplante Unterbrechung des natürlichen Wasserflusses. Diese könnte sich unmittelbar auf Grundwasservorkommen und bestehende Ackerflächen auswirken. Zwar wird in den offiziellen Unterlagen von einer Nutzung zu Bewässerungszwecken gesprochen – gleichzeitig könnten jedoch genau diese landwirtschaftlich genutzten Flächen durch den Stausee überflutet werden.
Projekt in militärischem Sperrgebiet
Das betroffene Gebiet liegt im militärischen Sperrbereich des Cûdî-Gebirges. Bereits in der Vergangenheit wurden Infrastrukturprojekte in solchen Regionen unter Sicherheitsargumenten durchgesetzt, was häufig zur Vertreibung der dort lebenden Bevölkerung führte. Beobachter:innen sehen deshalb auch im Nerduş-Projekt eine politische Komponente: die Kombination aus ökologischer Umgestaltung und militärischer Kontrolle könne zu einer dauerhaften Veränderung der demografischen Struktur führen.

Umweltgruppen schlagen Alarm
Ökologische Initiativen wie der Umweltverein Şirnex und Menschenrechtsorganisationen wie der IHD warnen seit Langem vor einer „Zerstörungspolitik durch Infrastruktur“. Vor allem in Gebieten wie Cûdî, Gabar oder Besta, die eine besondere Bedeutung im kollektiven Gedächtnis der kurdischen Bevölkerung haben, würden durch Staudammprojekte gezielt Landschaften verändert, Dörfer entvölkert und kulturelle Spuren ausgelöscht.
Der Protest gegen das Nerduş-Projekt richtet sich auch gegen das intransparente Vorgehen der Behörden: Anstelle echter Mitsprache werde die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen gestellt. Während die staatliche Seite von wirtschaftlichem Nutzen spricht, befürchten viele Menschen vor Ort den Verlust ihrer Lebensgrundlage – und eines unwiederbringlichen Natur- und Kulturerbes.