Während die Empörung in Dersim gegen die Erteilung von Lizenzen für die Ziegenjagd noch immer nicht abgeklungen ist, findet in der benachbarten Provinz Çewlîg (türk. Bingöl) unter großem Protest zahlreicher Organisationen bereits ein staatlich organisiertes Massaker an den Tieren statt. Insgesamt fünfzig Föderationen, Vereine und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse aus der Region, darunter auch die Rechtsanwaltskammer Çewlîg, fordern in einem an das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie die unterstellten Behörden für Umwelt- und Naturschutz gerichteten offenen Brief, alle erteilten Jagdlizenzen einzuziehen und ein Verbot der Jagdausübung zu erteilen. Aktuell sind drei Bergziegen noch zum Abschuss freigegeben, wie die Kommandantur der Militärpolizei verlautbaren ließ. Mehrere Tiere wurden bereits getötet.
Bergziegen gelten im alevitischen Glauben als heilig. Zudem sind sie vom Aussterben bedroht. In Çewlîg kommen sie vor allem im Landkreis Gêxî (Kiğı) und anderen bergigen Regionen vor, die vom Fluss Perî (Feenwasser) passiert werden. Dort beobachtete jüngst auch ein Umweltaktivist den Abschuss eines dieser Tiere mit ihrem imposanten Gehörn. Daraufhin wurde zwar die Militärpolizei verständigt, die allerdings wies lediglich darauf hin, dass alles „mit rechten Dingen“ zugehe. Die Zivilgesellschaft in der nordkurdischen Provinz läuft aber schon länger Sturm gegen diese unsinnigen, selbstherrlichen Verbrechen an lebenden Wesen.
Ziegenmassaker im Sommer verhindert
Im Juli musste das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft einen Ausschreibungstermin für die Jagd von jeweils sieben Gämsen und Wildziegen in Çewlîg nach heftigen Protesten von Tierschutzorganisationen und den Bewohnerinnen und Bewohnern der Provinz zurücknehmen. Zeitgleich hatte auch die Bevölkerung in Dersim einen Lizenzwiderruf für ein Ziegenmassaker erwirken können. Unmut und vor allem Trauer bei den Alevitinnen und Aleviten Çewlîgs rufen aber auch die Staudämme hervor, die das Feenwasser Perî an mehreren Stellen aufstauen. Durch die Talsperren und Dämme sind die Routen etlicher Tierarten versperrt, vor allem an der Kiğı-Talsperre werden immer häufiger zappelnde Wildtiere im Todeskampf beobachtet und verenden qualvoll.
Das Perî-Tal denen, die darin leben
Die Wildziegen in Dersim und Çewlîg haben bereits mehrere gezielte Ausrottungsversuche durch den Menschen überstanden. „Es sollte nicht vergessen werden, dass das Ende der Natur das Ende von uns allen und allen Lebewesen bedeutet. Die Ökologie unserer Region ist bereits irreversibel geschädigt worden. Lassen wir wenigsten diejenigen, die dennoch am Leben geblieben sind, weiterleben. Nur um ein paar Groschen aus dem sogenannten ‚Jagdtourismus‘ zu verdienen, dass Personen, die sich als vermeintliche Sportler bezeichnen, ihre blutigen Hände an Schießpulver setzen können. Das für uns heilige Perî-Tal denen, die darin leben – den Tieren und damit wahren Besitzern“, heißt es in dem Appell aus Çewlîg, der von dutzenden Kulturvereinen unterzeichnet wurde. Die vollständige Liste ist hier zu finden.