Über die ökologischen Ursachen für das Entstehen von Covid-19 als auch anderen Pandemien wird nicht nur in Mainstream-Medien, sondern auch in der linken Öffentlichkeit wenig kommuniziert und diskutiert. Der Fokus der allgemeinen Diskussion liegt auf der Prävention und Einschränkung der Covid-19-Pandemie, dem überlasteten Gesundheitssystem und den von den Regierungen auferlegten drastischen Eingriffen in die Grundrechte. Dies ist natürlich richtig, aber die Diskussion über die Auslöser weitgehend auszulassen, ist ein Problem und bedeutet die Nichtbeachtung der Hintergründe.
Zwar gab es in der Menschheitsgeschichte schon immer Momente und Entwicklungen, als tierische Mikroben zu menschlichen Krankheitserregern mutierten und Millionen Menschen das Leben kosteteten. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt die Zahl der Pandemien spürbar zu, obwohl gleichzeitig die gesundheitliche Versorgung auf globaler Ebene immer besser wird. Hier sei nur HIV, SARS, Zika (Amerika), Nipah (Süd- und Südostasien), Schweinepest (Afrika) und Ebola (Zentral- und Westafrika) erwähnt.
Der Grund für die Zunahme der Pandemien liegt vor allem in der ökologischen Zerstörung unseres Planeten Erde. Das praktisch in allen Staaten gültige politsch-ökonomische Modell der kapitalistischen Moderne treibt von Jahr zu Jahr immer mehr Investitionen und Projekte in den Bereichen Energie, Bergbau, Infrastruktur und Landwirtschaft voran. Der Drang zu immer mehr Profit und Wachstum beschleunigt die ökologische Zerstörung und damit auch die Klimakrise, woran die vielen Beteuerungen, neuen und vermeintlich besseren Standards und Gesetze der Herrschenden faktisch nichts ändern. Dazu gehört in erster Linie die Abholzung bzw. das Niederbrennen von Wäldern, der Aufstau oder die Austrocknung von Flüssen, die Zerstörung von Feuchtgebieten und anderen ökologisch wichtigen Gebieten auf dem Land und im Meer. Die Klimakrise beschleunigt diesen Prozess in einer Weise, die das Ökosystem Erde aus seiner Bahn wirft.
Urbanisierung fördert Entstehung von Krankheitserregern
Ökologische Zerstörung bedeutet in erster Linie die Zerstörung von Lebensräumen für viele Millionen von Pflanzen- und Tierarten, also der Biodiversität. Sofern letztere nicht ausgerottet werden, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich in die reduzierten und oft voneinander separierten Lebensräume zurückzuziehen. Damit erhöht sich auch durch die zunehmende Urbanisierung die Wahrscheinlichkeit, dass sie in engen Kontakt zu Menschen kommen. Bei genauerer Betrachtung überleben die Generalisten eher als Spezialisten unter den Tieren und diese passen sich oft recht gut an. So können Mikroben, die für Tiere kein Problem sind, zu Menschen gelangen und sich in tödliche Krankheitserregern verwandeln. Nach dem Center for Disease Control and Prevention (CDC) [1] in den USA stammen Dreiviertel der neuen, Menschen betreffende Krankheitserreger von Tieren, während historisch gesehen rund Zweidrittel tierischen Ursprungs [2] sind.
Ein gutes Beispiel ist das durch Fledermäuse „übertragene“ Ebola-Virus. Eine Studie [3] von 2017 zeigt, dass Ausbrüche des Virus häufiger in solchen Gebieten Afrikas vorkamen, in denen kurz zuvor große Waldflächen gerodet worden waren.
Auch bei Krankheiten, die von Mücken übertragen werden, wurde ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Epidemien und Abholzung (offene Flächen können Vermehrung bewirken) festgestellt.[4] Hierbei ist es gut möglich, dass Mücken erst Tiere wie Vögel infizieren, bevor diese zu Menschen gelangen.
Eine weitere Gefahr der Übertragung von Erregern auf die Menschen kann durch Zecken erfolgen. Und zwar durch den Verlust von Tierarten wie der Opossums (Beutelratte), welche die Zahl der Zecken unter Kontrolle halten, wie dies in Nordamerika belegt ist.[5]
Industrielle Landwirtschaft Ursache für Pandemien
Eine weniger beachtete Gefahr ist die industrielle Fischerei vor den Küsten Afrikas, Südamerikas und Asiens, welche ökologisch als auch sozial katastrophale Folgen hat. Wenn vom Fischfang lebende Gemeinschaften nichts mehr fischen können, verarmen sie und fangen immer mehr wilde Tiere auf dem Land zum Verzehr und Verkauf. Der zunehmende Wildtierverkauf – vor allem im globalen Süden – ist vor allem eine Folge der zunehmenden Ausbeutung und Verarmung von Millionen von Menschen durch Zerstörung ihrer Lebensräume. Wie durch die sich ausbreitende industrielle Fischerei führt die sich auf den Urwald ausdehnende industrielle Produktion von Schwein, Geflügel und Ähnlichem zu mehr Druck auf die Erzeuger von Wildnahrungsmitteln, die weiter in die Wälder vordringen, um dort nach den Ursprungspopulationen zu suchen.[6] Während im kleinen Maßstab bis vor kurzem Wildtiere gefangen und verkauft wurden, kommt jetzt die Nachfrage von den Märkten hinzu. So wird weltweit und auch in China, wo der Ursprung von Covid-19 angenommen wird, Wildnahrung zunehmend zu einem formellen Wirtschaftssektor.
Die industrielle Landwirtschaft und insbesondere die Massentierhaltung sind ein ganz besonderer Grund für die immer häufiger auftretenden Pandemien. Durch Züchtung genetischer Monokulturen von Nutztieren werden alle eventuell vorhandenen Immunschranken beseitigt, die die Übertragung verlangsamen könnten. Eine große Tierpopulation und -dichte fördert hohe Übertragungsraten.[7] Es kann beispielsweise sein, dass wildlebende Vögel Grippeviren in Geflügelmastbetriebe bringen, wo sie mutieren und sehr viel gefährlicher als in freier Wildbahn werden. Erinnern wir uns daran, dass um die Gefahr der Vogelgrippeviren zu minimieren, 2006 in Deutschland millionenfach Geflügel gekeult wurde.
1100 neuartige Viren identifiziert
Die Berge von Ausscheidungen, die das Nutzvieh produziert, bieten Mikroben tierischen Ursprungs weitere Gelegenheiten, Menschen zu infizieren. Dieses Problem von zu vielen Exkrementen, die nicht auf den Landwirtschaftsflächen als Dünger eingesetzt werden können, nimmt in der Bundesrepublik seit Ende der 2000er Jahre mit der Verbreitung von immer mehr und größeren Schweinemastanlagen zu.
Die Ausweitung der industriellen Landwirtschaft durch Großkapital in bis dato natürlichen Landschaften wie tropischen Regenwäldern oder Mangrovenwäldern als auch in die letzten von Kleinbauern bewirtschafteten Flächen erhöht auch das Risiko für immer mehr Menschen, mit Viren infiziert zu werden.[8]
Die Wissenschaftler*innen vom 2009 initiierten (und von der US-Regierung finanzierten) Programm Predict haben 1100 neuartige Viren in einem frühen Stadium identifiziert, deren Entstehung mit anthropogenen Eingriffen zusammenhängt. Zu diesen Viren zählen auch bislang unbekannte Stämme des Coronavirus, die ebenfalls dem Sars-Virus ähneln.[9]
Diese aktuelle Untersuchung zeigt, wie sehr die Gefahr von neuen regionalen oder globalen Pandemien durch Viren gewachsen ist.
Ob 2020 oder erst 2021 die Covid-19-Pandemie weitgehend eingedämmt und mit einer Impfung für die menschliche Gesellschaft ungefährlich gemacht wird, ist noch unklar. Aber solange die ökologische Zerstörung des Planeten Erde und die Vertiefung der Klimakrise weitergehen, wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu ähnlichen oder gar gefährlicheren regionalen oder globalen Pandemien kommen.
Politisch-ökonomisches System führt zur Katastrophe
Nun stellt sich die große Frage, was gegen den Ausbruch von Pandemien langfristig getan werden sollte. Aus dem Geschilderten lassen sich viele Forderungen ableiten. Die konkreten „ökologischen Forderungen“ im Zusammenhang mit Pandemien sind:
- Stopp der Zerstörung der natürlichen Gebiete und Artenvielfalt und womöglich ihre Renaturierung.
- Kurzfristig die Einschränkung der Jagd von Wildtieren und ein Stopp des internationalen Handels.
- Kurzfristig eine erhebliche Einschränkung der Massenfischerei auf globaler Ebene.
- Einschränkung und schließlich Verbot der industriellen Massentierhaltung und stattdessen Förderung von kleiner und „ökologischer“ Tierhaltung bei gleichzeitiger starker Reduzierung des Fleischverbrauchs.
- Schrittweise, systematische und sozialisierte Umstellung der gesamten Landwirtschaft auf ökologische Methoden und dabei nur kleine und mittlere Farmer*innen fördern, hierzu auch Agro-Ökologie in Betracht ziehen.
- Zu diesen Forderungen muss auch die Klimagerechtigkeit mitgedacht werden, weil die Klimakrise das Artensterben fördert und Millionen (Milliarden) Menschen ihre Lebensverhältnisse entzieht.
- Ausstieg aus dem bestehenden kapitalistischen Modell der industriellen Produktion, um sich von fossilen Energieträgern zu verabschieden und gleichzeitig die erhebliche Reduzierung des Verbrauchs von Energie und Material (Rohstoffen) zu bewirken.
- Damit diese Forderungen umgesetzt werden können, muss die politische Seite bedacht werden. Dies bedeutet im Endeffekt die Entwicklung einer direktdemokratischen, ökologischen, genderbefreiten und solidarischen Gesellschaft.
Diese Forderungen sind nicht neu und werden seit Jahrzehnten von sozialen/ökologischen Bewegungen, indigenen Gemeinschaften, Aktivist*innen und Nichtregierungsorganisationen gestellt. Sie resultieren daraus, dass das vorhandene politisch-ökonomische System für die menschlichen Gesellschaften und die Natur als Ganzes unwiederbringlich zu einer Katastrophe führt. Die Covid-19-Pandemie lehrt uns einmal mehr, aber von einer neuen Perspektive, dass ein Überleben für alle mit diesem politsch-ökonomischen System – der kapitalistischen Moderne – nicht möglich sein kann. Daher sollte die aktuelle Krise dringend dazu genutzt werden, diese Forderungen in aktualisierter und noch stärkerer Form an die breite Gesellschaft heranzutragen, um ein größeres kritisches Bewusstsein zu schaffen und um politische Entscheidungen auf nationaler und internationaler Ebene im Sinne einer radikalen sozial-ökologischen Transformation zu bewirken.
[1] https://www.cdc.gov/
[2] Sonia Shah, „Woher kommt das Coronavirus?“, Le Monde Diplomatique, 12.3.2020
[3] „Recent loss of closed forests is associated with Ebola virus disease outbreak“, Olivera et al. 2017, October 2017
[4] Katarina Zimmer, „Deforestation tied to changes in disease dynamics“, The Scientist, New York, 29.1.2019
[5] „Lyme and other tickborne diseases increasing“, Center for Disease Control and Prevention, 22.4.2019
[6] Yaak Pabst im Interview mit dem Evolutionsbiologen Rob Wallace, Corona Times, VOL. I., 30.3. 2020
[7] Yaak Pabst im Interview mit dem Evolutionsbiologen Rob Wallace, Corona Times, VOL. I., 30.3. 2020
[8] Rob Wallace, Alex Liebman, Luis Fernando Chaves and Rodrick Wallace „Covid-19 and Circuits of Capital“, The Monthly Review, 1.4.2020
[9] „Pandemic preventation program ending after 10 years“, AVMA
*Ercan Ayboğa ist Aktivist der Ökologiebewegung Mesopotamien