Arbeiten am Ilısu-Staudamm noch nicht abgeschlossen
Interview mit Ercan Ayboga über Meldungen, dass mit dem Aufstau des Tigris am Ilısu-Staudammprojekt begonnen wurde.
Interview mit Ercan Ayboga über Meldungen, dass mit dem Aufstau des Tigris am Ilısu-Staudammprojekt begonnen wurde.
Mehrere Medien berichteten, dass am letzten Samstag mit der Aufstauung des Tigris am Ilısu-Staudamm begonnen wurde. ANF sprach mit Ercan Ayboga, Mitglied der Ökologiebewegung Mesopotamien und der Initiative zur Rettung von Hasankeyf, über den Stand des umweltzerstörenden Großprojekts. „Wenn wir die Erklärung der DSI genau durchlesen, soll der Aufstau mit dem Schließen des dritten Tunnels beginnen. Theoretisch könnte dies in sechs Monaten der Fall sein. Die Erklärung, dass mit dem Aufstau begonnen wurde, ist vielmehr als Propaganda zu verstehen. Auch angesichts der anstehenden Wahlen in der Türkei. Vor allem dient sie dazu, den Widerstand gegen den Ilısu-Staudamm zu brechen“, so Ayboga.
Stimmt es, dass der Bau des Ilısu-Staudamms soweit abgeschlossen ist und mit dem Beginn der Aufstauung des Wasser begonnen wurde?
Das stimmt so nicht. Die Staatliche Wasserbehörde (DSI) hat mitgeteilt, dass einer der drei Umleitungstunnel (während des Baus wird der Tigris so um die Baustelle geleitet) geschlossen wurde. Nun würde dieser Tunnel gefüllt, was in drei Monaten abgeschlossen werden soll. Der Tigris hat seit Jahren so wenig Durchfluss, dass eigentlich nie die drei Tunnel gleichzeitig genutzt wurden. Es wurde immer und wird auch jetzt nur ein Tunnel genutzt. Somit findet kein Aufstau statt. Wenn wir die Erklärung der DSI genau durchlesen, soll der Aufstau mit dem Schließen des dritten Tunnels beginnen. Theoretisch könnte dies in sechs Monaten der Fall sein.
Die Erklärung, dass mit dem Aufstau begonnen wurde, ist vielmehr als Propaganda zu verstehen. Auch angesichts der anstehenden Wahlen in der Türkei. Vor allem dient sie dazu, den Widerstand gegen den Ilısu-Staudamm zu brechen.
Ist die Bevölkerung des Tigristals schon restlos umgesiedelt worden?
Bis heute wurde nur das Dorf Ilısu umgesiedelt, was bereits 2010 passiert ist. 198 Dörfer und Hasankeyf (kurdisch: Heskîf) sind nach wie vor normal bevölkert. Der Prozess der Entschädigungen ist noch nicht abgeschlossen. Hunderte Klagen gegen die Zwantsentschädigungen laufen noch, weil viele diese nicht akzeptiert werden.
In der Nähe von Hasankeyf wird die neue große Brücke über den Tigris gebaut. Die Arbeiter*innen haben uns mitgeteilt, dass es noch ein Jahr bis zur Beendigung dauern würde. Dies allein zeigt, dass frühestens erst nächstes Jahr aufgestaut werden kann. Was passieren kann, dass in den nächsten Wochen oder Monaten einige Meter im Staubecken aufgestaut werden und dies als der Beginn dargestellt wird.
Ist nicht auch schon mit der Räumung von Hasankeyf begonnen worden?
Bisher sind keine Bewohner*innen von Hasankeyf nach Neu-Hasankeyf, was zwei Kilometer nördlich ausserhalb des geplanten Stausees gebaut wird, umgesiedelt worden. Die Infrastruktur und die öffentlichen Gebäude von Neu-Hasankeyf sind errichtet worden, aber noch nicht die Wohnquartiere. Es leben nur einige Beamte in Neu-Hasankeyf.
In Hasankeyf laufen die Arbeiten zur „Versetzung" von sechs weiteren Monumenten nach Neu-Hasankeyf. Mit diesen Arbeiten soll bis Ende des Jahren abgeschlossen werden. Wir gehen von einer Verspätung aus.
Momentan werden in Neu-Hasankeyf rund tausend Wohnungen für die Bewohner*innen von Hasankeyf gebaut. Immer wieder wird der Termin des Bauabschlusses neu verkündet. Jetzt heißt es, dass Ende August 710 Wohnungen fertig stehen. Dann sollen auch die Geschäfte nach Neu-Hasankeyf umziehen.
Am 22. März 2018 gab es einen Protest der Geschäftsinhaber von Hasankeyf, weil sie frühzeitig nach Neu-Hasankeyf umziehen sollten. Die Polizei griff mit Wassserwerfern an, was ein Novum für Hasankeyf darstellte. Denn bisher gab es in der Geschichte dieses Ortes nie einen solch großen Polizeieinsatz.
Die Bevölkerung ist mehr denn je sauer auf den Staat, weil die zurzeit gebauten Wohnungen eine schlechte Qualität besitzen. Sie haben sie sich vor Ort angeschaut und untersucht. Hinzukommt, dass die meisten Anträge der Bewohner*innen von Hasankeyf auf eine Wohnung in Neu-Hasankeyf unter fadenscheidigen Gründen abgelehnt wurden. Die umliegenden Dörfer wollen auch nach Neu-Hasankeyf, doch ist dies bisher ebenfalls abgelehnt worden. Dies alles zeigt, dass das Ilısu-Staudammprojekt die sozialen Spannungen erhöhen wird.
Welche Auswirkungen hat das Ilısu- Staudammprojekt auf die Wasserversorgung im Irak?
Der Ilısu-Staudamm würde bei Fertigstellung und Abschluss des Aufstaus dramatische Folgen haben. Der Tigris liefert Wasser für die Landwirtschaft. Ohne das Wasser des Tigris gibt es so gut wie keine Möglichkeit, Landwirtschaft im Irak zu betreiben. Wenn Ilısu und anschließende Talsperren- und Bewässerungsprojekte in Nordkurdistan durch die Türkei abgeschlossen würden, wird der Irak bis zu 45 Prozent weniger Wasser zur Verfügung haben. Das wäre dramatisch, da auch vom Euphrat kaum noch Wasser im Irak wegen den bestehenden Talsperren in Nordkurdistan und Syrien ankommt.
Der Tigris ist auch elementar für die Trinkwasserversorgung der größten Städte im Irak: Bagdad, Mosul und Basra. Grundwasser kann im Irak dafür nicht herhalten.
Leider ist die Reaktion der irakischen Regierung gegenüber dem Ilısu-Projekt schwach. Zusammen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen im Irak fordern wir seit Jahren, dass die irakische Regierung im Interesse ihrer Bevölkerung handelt.