Heute, in diesen letzten Wochen des Jahres 2023, ist die „westliche" oder „eurozentrische" Kolonialität nach wie vor eine globale Realität, die vielen Völkern, ländlichen und städtischen Gesellschaften, ethnischen Gruppen, Gemeinschaften und Menschen des globalen Südens aufgezwungen wird und die sich in der Enteignung und Ausbeutung ihrer Territorien manifestiert. Diese Formen der Unterdrückung beruhen auf Unwissenheit und dem Glauben, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die Welt zu verstehen, und den damit einhergehenden Versuchen, das westliche Paradigma zu universalisieren und zu naturalisieren.
Man muss nicht lange zurückblicken, um zu erkennen, dass der westliche Kolonialismus, der verschiedenen Völkern in verschiedenen Regionen aufgezwungen wird, eine Konstante ist, die seit 500 Jahren nicht aufgehört hat. Der Kolonialismus muss auch nicht aus anderen Gegenden oder nur von denjenigen kommen, die die Macht des globalen Kapitals innehaben, er kommt auch aus dem Kreis derer, die unter kolonialer Hegemonie erzogen wurden.
Und das Anáhuac-Tal, in deren Ebene Mexiko-Stadt liegt, ist dabei keine Ausnahme. Es ist eine Region, die weiterhin der modernen westlichen Kolonialität unterworfen ist, deren Ziel es ist, dem westlichen kulturellen Imaginären zu Dominanz zu verhelfen, es durchzusetzen und in verschiedenen Bereichen des Alltags zu formen, wie etwa der Arbeit, dem Wissen, dem Markt, der Idee der Rasse oder den Räumen, die wir bewohnen.
Die Räumung von Territorien oder Räumen der Begegnung und des Zusammentreffens in Mexiko-Stadt ist weder ein isoliertes Ereignis noch eine isolierte Aktion, die nichts mit den Plänen zur generellen „territorialen Neuordnung” zu tun hat, die seit Jahrzehnten durchgeführt werden und sich aufgrund des kolonisierenden Kapitalismus in einer solchen Monsterstadt jeden Tag wiederholen und verstärken.
Es handelt sich auch nicht um ein isoliertes Ereignis, das nichts mit dem modernen Kolonialismus zu tun hat, der Menschen in ganz Lateinamerika unterdrückt und in den Großstädten immer unersättlicher wird. Die Zersplitterung der städtischen Gesellschaften ist ein weiteres Instrument, um das kollektive Leben zu entfremden und das Imaginäre eines kolonialen Konzepts aufzuzwingen, das die strukturelle Unterdrückung von Ureinwohner:innen, Stadtvierteln, marginalisierten Gemeinschaften oder sozialen Sektoren mit geringen wirtschaftlichen Ressourcen begünstigt.
Die Gentrifizierung zielt auf den Bruch des kollektiven und organisierten Lebens ab, um es mit Privateigentum zu überlagern, mit dem wirtschaftlicher Profit für die Erzeugung von Wirtschaftskapital erzielt werden kann. Die Gentrifizierung ist ein weiteres Megaprojekt der territorialen Enteignung, das selten erwähnt wird und oft Teil anderer Megaprojekte ist, die die Umwelt ausbeuten und zerstören, da die großen transnationalen Unternehmen in den Großstädten angesiedelt sind und von dort aus die territoriale Enteignung in ländlichen Gebieten und Naturschutzgebieten planen.
Deshalb ist die Besetzung eines Grundstücks, eines Gebäudes, eines verlassenen Bauwerks in der Stadt eine Möglichkeit des Widerstands und der Verteidigung unseres Territoriums durch Organisation und den Austausch von Ideen, Wissen und Kämpfen.
Das Privateigentum zu respektieren bedeutet, die Konflikte um den Zugang zu Wohnraum zum Schweigen zu bringen und unsichtbar zu machen. Es bedeutet, die Bedingungen der Unterdrückung zu akzeptieren, die von denjenigen ausgeübt werden, die über materielle und symbolische Macht verfügen. Einen Raum zu besetzen bedeutet, das Privateigentum und den Kapitalismus, der uns unterdrückt, anzufechten und zu bekämpfen.
Die Casa Okupa Chiapaz wurde vor zwei Jahren aus Solidarität mit den zapatistischen Gemeinden gegründet, als die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) die Gewalt anprangerte, der sie durch paramilitärische Gruppen und Kartelle ausgesetzt war. In diesen zwei Jahren war die Casa Okupa Chiapaz ein wichtiger Raum für das Kollektiv im Zentrum der Monsterstadt, in einem Stadtviertel, in dem die Ausbeutung des Territoriums durch große Finanz- und Geschäftskomplexe, räuberischen Tourismus und Wohnsiedlungen vorherrscht, deren Hauptziel die Immobilienspekulation zur Bereicherung nationaler und internationaler Wirtschaftsführer ist. In der Casa Okupa Chiapaz wurde eine Vielzahl von Aktivitäten verwaltet und durchgeführt, u.a. kollektive und genossenschaftliche Treffen, Versammlungen, Workshops, ein medizinischer Garten und eine Gemeinschaftskantine.
Die Otomí-Gemeinschaft hingegen, die zwar einen anderen Ursprung hat, aber in dasselbe Netzwerk antikapitalistischer Kämpfe eingebunden ist, entstand vor vier Jahrzehnten aus einer ursprünglich aus dem Bundesstaat Querétaro stammenden ñäñho-Gemeinschaft, sich ob der katastrophalen Situation dort im Roma-Viertel von Mexiko-Stadt niederließ und später ein Grundstück im selben Viertel besetzte, indem sie zunächst ihre eigenen Häuser baute. Im Laufe der Jahre organisierten sie sich selbst, indem sie eine zivile Vereinigung, die Coordinación Indígena Otomí, gründeten, die die Kredite beim Institut für Wohnungswesen für den Bau von Behelfsunterkünften und später für den Bau eines Wohnkomplexes zum Bewohnen verwaltete, der nach dem Erdbeben vom 19. September 2017 in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies führte dazu, dass sie ihre Häuser aufgrund der strukturellen Risiken des Baus aufgeben mussten und gezwungen waren, die öffentliche Straße zu nutzen.
Nachdem die Regierung nicht auf die Forderungen der Otomi-Gemeinschaft nach dem Wiederaufbau ihrer Häuser einging, wurden sie von der öffentlichen Straße vertrieben. Die in Mexiko-Stadt lebende Otomi-Gemeinschaft besetzte am 12. Oktober 2020 und am 13. August 2021 das Gebäude des Nationalen Instituts für Indigene Völker (INPI) und benannte es in Casa de los Pueblos Samir Flores Soberanes um. Besetzt am Tag des indigenen Widerstands und benannt nach dem 2019 ermordeten Umweltschützer und Menschenrechtsvereidiger Samir Flores ist die Casa de los Pueblos wie andere besetzte Räume in Mexiko-Stadt ein Ort der Begegnung und der Organisation, an dem verschiedene Aktivitäten entwickelt werden, die mit Ernährung, Kultur, Bildung, Autonomie, Gesundheit, Arbeit und Widerstand gegen die Enteignung von Land verbunden sind.
Kurze Zeit nach der Räumung der Casa Okupa Chiapaz wurde versucht, auch die Casa de los Pueblos zu räumen. Anstatt Grundrechte wie das Recht auf würdigen Wohnraum umzusetzen und sich an ihre Versprechen gegenüber der Otomí-Gemeinschaft zu halten, reagierte die Regierung von Mexiko-Stadt mit Gewalt. Bei dem Räumungsversuch durch mehr als 500 Polizeieinsatzkräfte sowie bewaffneten Personen auf Motorrädern kam es zu Schüssen und es wurden zehn Menschen verletzt, darunter ältere Menschen, Frauen und Minderjährige. Die Gemeinde wehrte sich und schlug den Angriff zurück, so dass es der Polizei bisher nicht gelungen ist, in den Ort einzudringen. Die Blockade der Avenida Mexico-Coyoacan vor der Casa de los Pueblos dauert mit der Forderung nach einem Dialogtisch weiter an.
Sowohl die Räumung der Casa Okupa Chiapaz als auch die versuchte Räumung der Casa de los Pueblos Samir Flores Soberanes sind Akte der Repression gegen die Organisation des Volkes und des Kollektivs, in dem Menschen mit unterschiedlichen Idealen, Gedanken und Gefühlen zusammenkommen und sich selbst verwalten können, um eine andere Welt zu schaffen, die nicht mit dem System und seinen kapitalistischen Interessen übereinstimmt. Aber vor allem, um unser Territorium und unser Recht auf ein Leben in Würde zurückzuerobern. Weder Menschen ohne Haus, noch Häuser ohne Menschen!
Weitere Informationen, auch über Unterstützungsmöglichkeiten in Deutschland, finden sich im Netz der Rebellion.