Am 12. Oktober vor 531 Jahren begann die Kolonisierung des Kontinents Abya Yala durch die europäischen Kolonisatoren. Ein Meilenstein in der Geschichte der kapitalistischen Moderne und ihrer Zerstörungskraft: Unzählige Menschen, ihr gesellschaftlicher Zusammenhalt, ihre Sprachen, Kulturen, ihr historisches Erbe und ihre Lebensweisen sind seitdem unterworfen, ausgebeutet und vernichtet worden. Bis heute setzt sich die Kolonisierung durch das kapitalistische Patriarchat fort. In Mexiko zeigen sich die aktuellen Angriffe vor allem anhand mehrerer großer Infrastrukturprojekte.
Krieg des kapitalistischen Narco-Staates
In einer Ende September vom Congreso Nacional Indigena (CNI) veröffentlichten Erklärung heißt es dazu: „Gemeinsam mit der Nationalversammlung für Wasser und Leben erklären wir, dass der Krieg, mit dem wir uns als Völker, Gemeinden, Nachbarschaften, Stämme und Nationen auf dem gesamten nationalen Territorium konfrontiert sehen, von Andrés Manuel López Obrador, dem ‚Obersten Chef der Streitkräfte‘ und Chef der Bundesexekutive, entwickelt und systematisiert wurde, um die Interessen des Großkapitals und des Drogenstaates zu garantieren. Darüber hinaus wird das ganze Land militarisiert, um zu garantieren, dass Megaprojekte wie der Maya-Zug, der Interozeanische Korridor, das Morelos Comprehensive Project und der Santa Lucía International Airport durchgesetzt werden können, die auf Kolonialismus, Patriarchat, Homogenisierung, Auferlegung, Hass und Angst beruhen und darauf abzielen unser Territorium zu kontrollieren und zu reorganisieren. Deshalb prangern wir an, dass das organisierte Verbrechen und paramilitärische Gruppen systematisch mit den Streitkräften, der Nationalgarde und der Staats- und Gemeindepolizei zusammenarbeiten, so dass wir sie nicht länger als unterschiedliche Einheiten verstehen können, sondern als abhängige Teile, Muskel und Bänder des bewaffneten Arms des kapitalistischen Narco-Staates.“
Aktionen des Netzes der Rebellion in acht deutschen Städten
Eine Zuspitzung der Gewalt gegen Mensch und Natur ist über Chiapas und Mexiko hinaus zu beobachten. Die massiven Luftangriffe der Türkei seit dem 5. Oktober auf die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien und der Konflikt zwischen der palästinensischen Hamas und dem israelischen Militär seit dem vergangenen Wochenende machen dies einmal mehr deutlich. Überall treiben patriarchale, kapitalistische und nationalstaatliche Interessen die Menschen in das Verderben. Doch auch der Widerstand reorganisiert sich.
In Deutschland fanden Aktionen in Berlin, Frankfurt am Main, Leipzig, Münster, Köln, Jena, Hamburg und Hannover statt, die verschiedene Gruppen und Initiativen gemeinsam mit dem Netz der Rebellion organisierten. Auch Women Defend Rojava und die Initiative Demokratischer Konförderalismus hatten zu Aktionen aufgerufen.
In Jena wurde zuerst per Flyer in der Innenstadt auf den antikolonialen Aktionstag aufmerksam gemacht. Im Anschluss gab es einen gemeinsamen Vortrag von Gruppe „Tren Maya stoppen!“ und Women Defend Rojava. Zu Beginn des Vortrages wurde auf die aktuelle Lage in Mexiko und das Zug-Großprojekt „Tren Maya“ eingegangen. Danach wurde über die aktuelle Lage in Rojava und dem derzeit massiv stattfindenden türkischen Angriffskrieg berichtet. Am Ende der Veranstaltung wurde verdeutlicht, wie wichtig ein internationalistischer Kampf ist, der die Probleme weltweit analysiert und an allen Orten gegen das kapitalistische System kämpft. Zum Abschluss wurde ein gemeinsames Foto in Solidarität mit Menschen, die weltweit von (Neo)kolonialismus betroffen sind und tagtäglich dagegen kämpfen, aufgenommen.
„Kurdistan ist eine Kolonie“
In Hannover fand anlässlich des Aktionstages gegen Neokolonialismus am Nachmittag eine Kundgebung statt, auf der verschiedene internationalistische Gruppen und Organisierungen wie Ventana al Sur, Women Defend Rojava, Initiative Demokratischer Konföderalismus (IDK) und die lokale Waldbesetzung sprachen. Das Kollektiv Voz de las Desapareciodos („Stimme der Verschleppten“) und Técnicas rudas narrativas y memorials de la desaparicion en México machten eine Performance mit Bildern und Live-Musik. Abgerundet wurde der Tag mit einem widerständigen Liederabend in der lokalen Waldbesetzung Leinemasch.
In den Redebeiträgen der Kampagne Women Defend Rojava wurde die Errungenschaften der Frauenrevolution in Rojava vorgestellt und die Verbindung zwischen Kämpfen an verschiedenen Orten deutlich, ebenso wie die Verstrickung des deutschen Staates in die Kolonisierung und Vernichtungspolitik des türkischen Staates. Dabei wurde auch die Rolle von Abdullah Öcalan betont, der mit seinem Satz „Kurdistan ist eine Kolonie“ den Widerstand in Kurdistan neu entfacht hat. Die Auseinandersetzung mit Abdullah Öcalan und Subcomandante Marcos, ebenso wie mit Sakine Cansız und Comandanta Ramona eröffneten wichtige Perspektiven, um über gesellschaftliche Organisierung, anti-herrschaftliche Analysen und widerständige Persönlichkeiten in den Austausch zu kommen.
Den Widerstand säen und das Leben verteidigen
Obwohl in Rojava aktuell die Hälfte der Bevölkerung durch die aktuellen Angriffe der Türkei ohne Strom ist, hat auch die Frauenbewegung Kongra Star aus Nord- und Ostsyrien ein Statement anlässlich des Tages des indigenen Widerstandes veröffentlicht. Darin prangert sie die hegemoniale Unterdrückungspolitik an, die bis heute unter den Kolonialstaaten anhält. „Jetzt mehr denn je kämpfen wir gemeinsam gegen den Tod, der uns vom globalen patriarchalen Kapitalismus aufgezwungen wird“, ist in dem Statement zu lesen. Die Frauenbewegung betont die Bedeutung des organisierten Widerstandes, der die Hoffnung auf eine andere Welt bewahrt und verwirklicht. Darin sei die Bewusstseinsbildung von großer Bedeutung. Außerdem spricht Kongra Star ihre starke Verbundenheit mit allen Frauen aus, die eine besondere Rolle in der Selbstorganisierung und im Kampf einnehmen. Nur durch Widerstand sei in Zukunft Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit für aller Völker zu verwirklichen.
„Koloniale Verherrlichung vom Sockel holen“: Kolumbus-Statue an der Hamburger Kornhausbrücke © „Tren Maya Stoppen!“
Die Keimlinge pflegen und die Quellen der Hoffnung verteidigen
Die kurdische Frauenbewegung zeigt damit einmal mehr, dass sie trotz des anhaltenden Kriegszustandes dazu fähig ist, über die eigenen Verhältnisse hinaus, wichtige globalen Ereignisse zu erkennen und Chancen für einen geeinten internationalistischen Kampf zu nutzt. Beharrlich wird daran gearbeitet engere und stabilere Verbindung zu knüpfen und den demokratischen Weltfrauenkonföderalismus aufzubauen. Neben Rojava zählen die Selbstverwaltungsstrukturen in Chiapas zu den strahlkräftigsten Beispielen gelebter Utopie. Die Zapatista inspirieren seit ihrem bewaffneten Aufstand am 1. Januar 1994 weltweit Kräfte, die sich als „links und unten“ verstehen. Diese Begeisterung war auch am Aktionstag zu spüren, der Menschen an vielen Orten Deutschlands zusammen und auf die Straße gebracht hat. Auch wenn immer wieder zu spüren ist, dass die Organisierung in Europa nicht die gleiche Qualität hat, besteht die Hoffnung, dass die Samen, die aus Chiapas und Kurdistan gesät wurden, reiche Früchte tragen. In der nächsten Zeit wird es erst mal darauf ankommen, die Keimlinge gut zu pflegen und gleichzeitig die Quellen unserer Hoffnung zu verteidigen.