Bei dem türkischen Drohnenangriff auf ein Fahrzeug in Qamişlo in der Nacht zum Freitag ist ein Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten (YPG) ums Leben gekommen. Wie der kurdische Verband mitteilt, handelt es sich bei dem Gefallenen um Baran Nisêbîn. Der Kämpfer, der mit bürgerlichem Namen Mehmet Sarı hieß, stammte gebürtig aus Nisêbîn (tr. Nusaybin) in der Provinz Mêrdîn (Mardin) und hatte sich 2014 im Rahmen der Mobilmachung zur Verteidigung der Revolution von Rojava gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) den YPG angeschlossen.
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Codename: Baran Nisêbîn
Vor- und Nachname: Mehmet Sarı
Geburtsort: Nisêbîn
Namen der Eltern: Şerife – Mehmet Emin
Todestag und -ort: 14. April 2023 / Qamişlo
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Ein Leben zwischen Serxet und Binxet
Baran Nisêbîn ist den YPG zufolge in einem familiären Umfeld aufgewachsen, in dem der kurdische Widerstand tief verwurzelt ist. Der Ort, an dem er starb, liegt gegenüber seinem Geburtsort: Qamişlo und Nisêbîn, früher eine einzige Region, sind ein kleines Abbild des geteilten Kurdistans. Hier wird die Realität von Binxet und Serxet besonders deutlich. Binxet, also „unter der Linie“, wird verwendet, um kurdische Gebiete in Syrien nahe der türkischen Grenze zu bezeichnen. Die auf türkischem Staatsgebiet liegenden kurdischen Gebiete in unmittelbarer Nähe zur Grenze Syriens werden als Serxet bezeichnet, was „über der Linie“ bedeutet. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Anfang der 1920er Jahre das französische Mandatsgebiet des heutigen Syrien vom Osmanischen Reich abgeteilt. Die Grenze zur heutigen Türkei verläuft in diesem Bereich entlang der Bahnlinie. Damit wurden Qamişlo und Nisêbîn getrennt.
In Kobanê, Minbic, Raqqa und Deir ez-Zor gegen den IS gekämpft
Nachdem Baran Nisêbîn dem Aufruf zur Mobilisierung für Rojava folgte, ging er nach Kobanê. Der Sieg der Stadt im Januar 2015 gilt als erste, aber vor allem entscheidende Niederlage des IS. Später kämpfte er auch in Manbidsch (ku. Minbic), Raqqa und Deir ez-Zor gegen die Dschihadistenmiliz und beteiligte sich an Befreiungsoffensiven der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Die YPG bilden das Rückgrat des multiethnischen Bündnisses, das die Hauptlast im Kampf gegen den IS getragen hat und auch weiterhin trägt. Sie beschreiben Baran Nisêbîn als „selbstlosen Kämpfer, der mit Mut und Liebe für das Leben“ seinen Platz in der Rojava-Revolution eingenommen habe und für Werte einstand, die er für unveräußerlich ansah: Frauenbefreiung, Pluralismus, direkte Demokratie, Selbstverwaltung, eine egalitäre Gesellschaft. „Angesichts des Verlusts von unserem Freund und Weggefährten sprechen wir als YPG der Familie von Baran Nisêbîn, unserem Volk von Mêrdîn sowie der gesamten kurdischen Öffentlichkeit unser Mitgefühl aus. Unsere Verbundenheit gilt ihm und dem Weg all unserer Gefallener. Wir versprechen, die Ideale der Gefallenen zu verwirklichen und ihre Fahne des Sieges im Ziel zu hissen.“
Mindestens elf Drohnenangriffe seit Jahresbeginn
Der NATO-Staat Türkei setzt seit Jahren Drohnen zur extralegalen Tötung von „Feinden“ in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien ein. Die Angriffe richten sich gezielt gegen Vertreterinnen und Vertreter der Selbstverwaltungsstrukturen, Mitglieder von Kampfverbänden sowie die Zivilbevölkerung. Nach Informationen des Rojava Information Center (RIC) handelte es sich bei dem Luftschlag auf das Fahrzeug von Baran Nisêbîn um den elften völkerrechtswidrigen Drohnenangriff der Türkei seit Jahresbeginn. Im vergangenen Jahr verübte die Türkei mindestens 130 Drohnenangriffe gegen Nord- und Ostsyrien. Dabei kamen 87 Menschen ums Leben, 151 weitere wurden verletzt.