Am Mittwoch sind in Genf erstmals die Mitglieder des vom UN-Sonderbeauftragten für Syrien Geir Pedersen ins Leben gerufenen Komitees zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung für Syrien zusammengekommen. Pedersen sprach bei der Eröffnung von einem „historischen Moment“ und einem „neuen Kapitel für Syrien“. Auf Drängen der Türkei saß eine Partei nicht am Tisch: Die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens. Diese hat anlässlich des Welt-Kobanê-Tags am 1. November eine Stellungnahme abgegeben, in der die Autonomiebehörde auch darauf hinweist, kein Ergebnis der Genfer Zusammenkunft zu akzeptieren, solange die Selbstverwaltung aus den Gesprächen ausgeschlossen bleibt.
In der Erklärung spricht die nordostsyrische Autonomieverwaltung zunächst den 30 Ländern, die den Widerstand von Kobanê unterstützten, ihren Dank aus. „Der Welt-Kobanê-Tag war ein Tag der Solidarität mit dem historischen Widerstand in der Stadt Kobanê, in der der IS besiegt wurde. Dieser Sieg trug maßgeblich dazu bei, dass der Terror auch in den anderen Regionen Syriens beseitigt werden konnte.“ Die Selbstverwaltung weist zudem auf die Unterstützung der türkischen Regierung für die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) hin: „So wie heute unterstützte die faschistische Regierung unter Erdogan auch im Widerstand von Kobanê den IS und spielte eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Miliz in Syrien, Irak und dem Rest der Welt. Tausende Menschen, darunter Frauen und Kinder, wurden vom IS brutal massakriert und auf Sklavenmärkten verkauft. Zahlreiche kurdische Kämpferinnen und Kämpfer opferten ihr Leben, um die Menschheit angesichts dieses Terrors zu verteidigen.“
Nun stehe das kurdische Volk erneut einem Massaker gegenüber, da die Sicherheit, Demokratie und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften in Nord- und Ostsyrien wieder im Visier des türkischen Staates sind, erklärt die Selbstverwaltung. Die vermeintlichen Sicherheitsbedenken mit dem Ziel, eine Pufferzone im Grenzstreifen zwischen der Türkei und Syrien zu schaffen, hätten sich als eine „große Lüge“ erwiesen. Es gehe der Türkei nicht um Frieden, sondern um die Vernichtung von Rojava. Die Tatsache, dass der IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi, „der gefährlichste Terrorist, der die ganze Welt bedrohte”, in der von der Türkei kontrollierten Region Idlib und der IS-Sprecher Abu Hassan al-Muhajir in der türkischen Besatzungszone Dscharablus getötet wurden, sprächen für sich.
„Die Demokratischen Kräfte Syriens und ihre Komponenten YPG und YPJ haben im Kampf gegen den Terrorismus mehr als 11.000 Kämpferinnen und Kämpfer verloren. Über 20.000 ihrer Angehörigen wurden verletzt. Die Welt ist den Kurden und anderen Gemeinschaften in den selbstverwalteten Gebieten Nord- und Ostsyriens, die im Namen der ganzen Welt für Frieden und Sicherheit gekämpft und all dieses große Opfer gebracht haben, etwas schuldig. Die internationale Gemeinschaft sollte ihrer moralischen Verpflichtung nachkommen, die Kurden und die anderen Gemeinschaften vor den Massakern und ethnischen Säuberungen zu schützen, die die türkische Armee und ihre dschihadistischen Verbündeten in der Selbstverwaltungszone verüben”, fordert die Autonomieverwaltung.
Zu den Genfer Gesprächen heißt es in dem Statement: „Der UN-Sonderbeauftragten für Syrien Geir Pedersen sagte, dass die Syrienkrise durch das Verfassungskomitee und die Genfer Konferenz gelöst wird. In diesem Zusammenhang möchten wir Herrn Pedersen nach den Kriterien fragen, die bei der Auswahl der Teilnehmer des Komitees und bei den Genfer Gesprächen angewandt wurden. Ist es fair, die Kurden auszuschließen, die gegen den Terrorismus gekämpft und große Opfer gebracht haben, und alle radikalen, von der Türkei unterstützten Gruppen einzuladen, die mit der Al-Nusra-Front, Ahrar al-Sham und anderen extremistischen Gruppen verbunden sind?
Der Ausschluss der Selbstverwaltung aus dem Verfassungskomitee für Syrien bedeutet nichts anderes, als den Willen von fünf Millionen Menschen zu missachten. Wir fordern Herrn Pedersen auf, die Vertreter Nord- und Ostsyriens miteinzubeziehen, da das kurdische Volk keine Ergebnisse akzeptieren oder sich zu diesen verpflichten wird, solange es aus dem Komitee ausgeschlossen bleibt. Solange die Repräsentanten der Selbstverwaltung in diesen Prozess nicht miteinbezogen werden, wird sich der Konflikt weiter verschärfen. Wir werden nicht in der Lage sein, an der Lösung von Problemen mitzuwirken, die auftreten können.”
Abschließend ruft die autonome Selbstverwaltung zur Teilnahme an Aktivitäten am „World Resistance Day“ für Rojava am 2. November auf. „Wir glauben an unsere Stärke und werden die Errungenschaften bewahren, die wir während unseres Kampfes für Demokratie und Freiheit erreicht haben. Weder Baghdadi noch Erdogan oder andere Kräfte können den Willen des kurdischen Volkes brechen. Wir werden den Widerstand fortsetzen, um in Würde und Freiheit zu leben.”