Mit dem Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 2011 begannen die USA in Syrien, „moderate” Rebellengruppen zu unterstützen. Als mit diesen Gruppen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt werden konnten, verbündeten sich die USA 2014 während dem Kampf um Kobanê mit den Kurden, um in Syrien weiter Präsenz zu zeigen. Die US-Unterstützung für die Rebellen, die unter dem Etikett der sogenannten „syrischen Opposition” agieren, setzt sich jedoch auf unterschiedliche Weise fort. Jetzt wird mittels dieser Gruppen einer neuer Plan ausgearbeitet.
Nach dem militärischen Sieg über den „Islamischen Staat“ (IS) durch die von den YPG/YPJ geführten Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und der wiederhergestellten Stabilität in Nordostsyrien boten die USA unversehens der Türkei und ihrer vom IS und radikal-salafistischen Milizen aus dem Lager der Jabhat Fatah al-Sham (ehemals Al-Nusra-Front) rekrutierten „Syrischen Nationalarmee“ (SNA, arabisch: Jaish al-Watani) die Grundlage, Rojava zu besetzen.
Wurde Milizen kurdisches Siedlungsgebiet zugesichert?
Was wollen die USA in der Region? Diese Frage beschäftigt nach wie vor viele. Allgemein bekannt ist, dass sich die USA nie von diesen „moderaten” Gruppen abwandten und weiterhin unterstützen. Nun scheint es so, dass den unter der Schirmherrschaft der Türkei fungierenden Gruppen die kurdischen Gebiete in Nord- und Ostsyrien als „gelobtes Land“ zugesichert wurden.
Äußerungen von Trump
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vor der UN-Vollversammlung Ende September ganz offen über seine Agenda und gab Einblick in seine Pläne, mit einem 32 Kilometer tief in syrisches Landesinnere reichenden „Sicherheitskorridor“ Rojava zu besetzen. Die Worte seines US-amerikanischen Amtskollegen Donald Trump, „Wir haben das Öl gesichert. Den Kurden wurde sicheres Geleit gewährt“, deuten darauf hin, dass beide Seiten im gleichen Winkel stehen.
Radikalen Gruppen Zugeständnisse machen?
Andererseits soll das US-Außenministerium den Verantwortlichen in Nord- und Ostsyrien nahegelegt haben, Kompromisse mit den von der Türkei unterstützten Gruppen einzugehen, meldeten US-amerikanische Medien. Mittlerweile ist die US-Truppenstärke in der Region höher als zum Zeitpunkt der sogenannten „Rückzugsentscheidung“ und dem darauffolgenden Einmarsch von syrischen und russischen Truppen.
Rückkehr zur MOC-Strategie?
2013 wurden in der zweiten Jahreshälfte unter Federführung der USA zwei geheime „Military Operation Center“ (MOC) gegründet. Diese Kommandozentren (das MOC hat seinen Hauptsitz in Jordaniens Hauptstadt Amman, ein Schwestern-Operationszentrum befindet sich in der Türkei und ist unter dem türkischen Kürzel MOM bekannt), in denen Sicherheitsbeamte und Militärs aus den Golfstaaten, der Türkei, Jordanien und den USA arbeiten, koordinierten die Aktivitäten der sogenannten Rebellengruppen bzw. der „syrischen Opposition“. Dazu gehörte auch die Verteilung von Waffen an ausgewählte Milizen auf dem Land- und Luftweg.
Viele der vom MOC ausgebildeten und mit Waffen ausgestatteten Söldner-Trupps beteiligen sich aktuell unter dem Etikett der „Syrischen Nationalarmee“ an der Invasion in Rojava.
Dass die USA Gruppen aus dem Umfeld von al-Qaida, al-Nusra, dem IS und den Muslimbrüdern den Weg zurück ins Feld ebnen, wird als ein Versuch interpretiert, zur anfänglichen MOC-Strategie zurückzukehren.
Erhoffter Sturz des Regimes
Die MOC-koordinierten Gruppen wurden nicht nur von den USA, der Türkei, Saudi-Arabien, Jordanien und Katar unterstützt - auch EU-Länder haben sich in einem breiten Ansatz auf politischer, diplomatischer, finanzieller und militärischer Ebene am Aufbau dieser Söldner-Trupps beteiligt. Die Erwartungen waren hoch: Die Gruppen sollten vom Norden und Süden nach Damaskus marschieren und das Regime stürzen.
Auch wenn diese radikal-islamistischen Gruppierungen scheiterten und sich an den Rand ihres existenziellen Daseins bewegten, haben die USA ihre schützende Hand nie weggezogen. Sogar dann nicht, als diese Trupps nach und nach beseitigt wurden und sich in Idlib unter den Schutzschirm der Türkei begaben. Jetzt ermöglicht Washington die Besetzung Nord- und Ostsyriens und überlässt Rojava den Dschihadisten.
Vom Westen unterstützte Terrorgruppen besetzen Rojava
Eine Großzahl der Söldner-Fraktionen, die sich zur SNA zusammengeschlossen haben und vom MOC ausgebildet und ausgerüstet wurden, gehörten zuvor der auch in den USA als terroristisch eingestuften Al-Nusra-Front an. Bei einigen handelt es sich um:
Liwa al-Mu’tasim/Mutasim-Brigade: Diese Gruppe mit Sitz in Mare nördlich von Aleppo erhielt ihre Waffen und Training durch die USA. Sie besitzt M-16-Gewehre, leichte Maschinengewehre vom Typ M249, M240-Maschinengewehre, Mörser der Typen M120 (Soltam K6), M224 und M252, M2-Browning-Maschinenegewehre und gepanzerte Fahrzeuge und hat schätzungsweise 1500 bis 2000 Mitglieder. Im Sommer 2017 tauchten Fotos auf die zeigten, dass die Miliz vom Pentagon ausgebildet wird. Liwa al-Mu’tasim nimmt an der Besetzung von Efrîn teil.
Firqat al-Shamalia / Norddivision: Die Gruppe wurde 2012 von Mohammed Khaled Fares al-Bayoush, einem ehemaligen Oberstleutnant der syrischen Luftwaffe, in Kafr Nabl im Gouvernement Idlib gegründet. Zuvor nannte sie sich Liwa Fursan al-Haqq. Die Gruppe wurde von den USA und Saudi-Arabien mit BGM-71 TOW-Raketen ausgestattet und erhielte direkte Unterstützung vom CIA. Im Sommer 2015 trat formierte sie sich unter dem Dach von Jaish al-Fatah, ein Jahr später gründete sie gemeinsam mit der 13. Division und Liwa al-Shughur die „Freie Armee Idlibs“. Die Gruppe beteiligte sich an den Angriffen auf Şêx Meqsûd, ein von Kurden bewohnter Stadtteil im Norden von Aleppo, und der Invasion von Efrîn.
Jaish al-Islam: Wurde 2011 in Ost-Ghouta gegründet und wurde von Beginn an vom MOC koordiniert. Der Kommandant dieser Struktur war der Salafist Zahran Alloush. Diese von Saudi-Arabien unterstützte Gruppe verwendete bei den Angriffen auf Şêx Meqsûd Chlorgas. Nachdem Zahran Alloush getötet wurde, übernahm sein Bruder Mohammed Alloush seinen Platz. Die Gruppe nahm an den Treffen in Riad und Astana teil, und nachdem sie Ghouta verlassen hatte, errichtete sie ihre Stützpunkte zusammen mit Faylaq al-Rahman in al-Bab und Efrîn.
Sultan-Murad-Brigade: Die Gruppe ist ein Zusammenschluss verschiedener islamistischer turkmenischer Gruppen. Auch die faschistischen Grauen Wölfe unterstützen diese von Erdoğan als „Brüder“ bezeichneten Turkmenen. Offiziell wurde sie Anfang 2013 gegründet und war zunächst hauptsächlich in der Region um Aleppo aktiv. Bis 2016 soll die Gruppe 1600 Mitglieder gehabt haben, Mitte 2017 schloss sie sich mit anderen Söldner-Trupps zur TFSA (Freie Syrische Armee-Türkei) zusammen. Das MOM stellt der Sultan-Murad-Brigade neben Artillerie- und Luftunterstützung auch finanzielle Mittel bereit und übernimmt die militärische Ausbildung der Gruppe. Internationale Organisationen werfen der Gruppe systematische Kriegsverbrechen vor. In einem Bericht der Vereinten Nationen heißt es, dass sich die Fraktion am Angriff auf Şêx Meqsûd mit 83 toten Zivilisten (darunter 30 Kinder) beteiligt hat. In dem UN-Bericht sind auch Fälle von illegaler Inhaftierung und Folterung von Kriegsgefangenen, Plünderung und Zwangsumsiedlung in Efrîn dokumentiert. Ein Großteil der Miliz besteht aus ehemaligen IS-Dschihadisten.
Faylaq al-Sham/Sham-Legion: Das Bündnis ist eine Allianz aus 19 sunnitisch-islamistischer Dschihadistenmilizen, die im März 2014 während des syrischen Bürgerkriegs gegründet wurde und von Saudi-Arabien finanziert wird. Die der Muslimbruderschaft nahestehende Allianz war in Aleppo, Homs, Damaskus und Idlib aktiv und erhielt über ihre verschiedenen Komponenten Unterstützung vom MOC und MOM. Das Bündnis hat sich zudem an den Angriffen auf Efrîn und Şêx Meqsûd beteiligt.
51. Brigade: Wurde im September 2015 gegründet. Als sich die Gruppe der SNA anschloss, wurde Mohammed Deri Gruppenleiter. Die Gruppe nahm an den Treffen in Genf und an der Besatzung von Efrîn teil.