Tuberkuloseausbruch im IS-Gefängnis Sina in Hesekê

Der Wiesbadener Arzt Michael Wilk berichtet aus Hesekê von einem Tuberkuloseausbruch im Sina-Gefängnis, in dem Tausende IS-Mitglieder interniert sind. Die Autonomieverwaltung Nordostsyriens wird mit dem Problem allein gelassen.

Meterhohe Mauern, NATO-Draht, Wachtürme, im Innern des festungsartigen Geländes mehrstöckige fabrikähnliche Gebäude, bewaffnete Posten allerorten. Das Sina-Gefängnis in Hesekê ist schwer gesichert - aus gutem Grund. Mitte Januar dieses Jahres war der Knast schwer umkämpft, der IS („Islamischer Staat“) wagte einen Aufstand und einen Befreiungsversuch. Mitglieder der Dschihadisten-Miliz, die zwar weitgehend militärisch zerschlagen wurde, aber noch über zahlreiche Schläferzellen in der Region verfügt, hatten einen Angriff von außen organisiert, der zum Massenausbruch und zu fast zweiwöchigen heftigen Kämpfen führte. Das aus allen Bevölkerungsgruppen Nordostsyriens bestehende Militärbündnis QSD (Demokratische Kräfte Syriens, engl. Syrian Demokratic Forces, SDF) musste mit US-amerikanischer Luftunterstützung die im Gefängnis verschanzten IS-Anhänger, die mit erbeuteten Waffen kämpften, niederringen und die in die Umgebung entkommenen IS´ler festsetzen. Insgesamt 373 Menschen, davon 268 IS-Terroristen, 98 Kämpfer:innen und sieben Zivilisten kamen laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) ums Leben.

Wie viele IS-Anhänger in Sina einsitzen, ist nicht bekannt. Berichtet wurde mir von 4200, die genaue Zahl kann höher oder niedriger liegen, sie wird aus Sicherheitsgründen nicht genau benannt. Die Inhaftierten gelten als fanatisch und brandgefährlich, auch führende Köpfe des IS sind in Sina interniert. In einem von den Erwachsenen separierten Block des weitläufigen Areals werden etwa 700 Minderjährige unter 18 Jahren festgehalten.

Nun plagt ein anderes gefährliches Problem die Verantwortlichen des Gefängnisses. Bei Hunderten der Inhaftierten wurde Tuberkulose diagnostiziert, bei vielen weiteren besteht der Verdacht. Auch die Jugendlichen sind massiv betroffen. Der Kurdische Rote Halbmond (Heyva Sor a Kurd) wurde um Unterstützung bei der Behandlung gebeten.

Schon die Diagnostik der Erkrankung ist nicht einfach, die Behandlung zudem komplex und langwierig. Sie dauert in der Regel mindestens ein halbes Jahr. In dieser Zeit müssen bis zu vier Antibiotika eingenommen werden, die Gefahr von Nebenwirkungen ist erheblich. Die Separierung von Betroffenen und Verdachtsfällen ist notwendig. Das Auftreten von Tuberkulose ist bei auf engem Raum lebenden Menschen, mit zudem geschwächter Konstitution, ein Klassiker.

Sowohl die Revolte der IS-Terroristen als auch die im Gefängnis grassierende Erkrankung stehen beispielhaft für die Misere im Umgang mit dem IS-Problem. Nach der militärischen Zerschlagung der Terrorstruktur, bei der vor allem die kurdischen Verbände der QSD eine hohe Anzahl von Toten (geschätzt über 10.000) und Verletzten (vermutlich über 22.000) zu verzeichnen hatten, schien die Gefahr für die internationale Koalition vorerst gebannt. Sie zog sich weitgehend aus der Verantwortung. Die Bewachung und Versorgung der Gefangenen erfolgt zu Lasten der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens. Ebenso wie die letztlich seit Jahren unhaltbaren Zustände im Lager Hol, das mit Zehntausenden Frauen und Kindern des IS eine wahre Brutstätte der islamistischen Ideologie mit immer wieder auftretenden Morden und Gewaltausbrüchen darstellt.

Die Rückführung des großen Anteils von ausländischen Terrorist:innen in ihre Herkunftsländer sowie die Einrichtung internationaler Gerichte stehen auf der langen Liste der unerledigten Aufgaben der sogenannten Staatengemeinschaft. Auch die internationale Anerkennung der Selbstverwaltung Rojavas sowie die respektvolle Würdigung des großen Einsatzes der Kämpfer:innen wäre notwendig, ebenso wie Hilfe zum Wiederaufbau der Region. Die politische Realität zeugt jedoch vom genauen Gegenteil. Europa und die USA schweigen zur aggressiven Politik des Erdogan-Regimes, das mittels islamistischer Hilfstruppen wiederholt in das Gebiet Nordostsyriens einmarschiert ist und die geschundene Region aufs Neue mit Krieg, Invasionen und Gewalt überzieht.