Die Großmutter von Brahim Mihemed Brahim kam mit den Deportationszügen während des Genozids an den Armeniern von 1915 mit ihrem kleinen Kind an der Hand in Nordsyrien an. Er selbst stammt aus Til Temir und sagt, dass sich die Geschichte mit der türkischen Invasion in Nordostsyrien wiederholt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat bei seinem Treffen mit US-Präsident Donald Trump am vergangenen Mittwoch den im US-Repräsentantenhaus verabschiedeten Gesetzentwurf zum armenischen Genozid als Geschichtsverfälschung bezeichnet. Erdoğan hat in Washington sogar behauptet, dass es besondere Bemühungen für die „Chaldäer, Eziden und Christen“ gebe: „Wir bringen ihnen Nahrungsmittel, Kleidung, Medizin und so weiter.“
Im völligen Widerspruch zu dieser Aussage greift der türkische Staat seit Tagen mit Unterstützung dschihadistischer Hilfstruppen, die aus Organisationen wie al-Qaida, IS und al-Nusra rekrutiert wurden, die Dörfer um Til Temir mit überwiegend christlicher Bevölkerung an.
Erdoğan folgt den Spuren seiner Vorfahren
Die Vorfahren von Brahim Mihemed Brahim sind während des armenischen Genozids aus Kilikien ausgewandert. Kilikien ist eine antike Landschaft im Südosten Kleinasiens, die ungefähr dem östlichen Teil der heutigen türkischen Mittelmeerregion entspricht. Brahim wird jetzt durch die türkische Invasion aus seiner Heimatstadt Til Temir vertrieben. Seine Geschichte steht beispielhaft für die gegen die Menschen der Region gerichtete Politik des türkischen Staates.
Brahim sagt, dass Erdoğan den Spuren seiner Vorfahren folgt. Die Familie hat viele Angehörige beim armenischen Genozid verloren. Brahims Großmutter traf während der Deportation nach Deir ez-Zor in Serêkaniyê (Ras al-Ain) auf eine arabische Familie. „Der Name meiner Großmutter war Sara. Sie kam mit ihrem kleinen Sohn an der Hand nach Serêkaniyê. Sie waren auf der Flucht vor dem Massaker. Hier traf sie auf eine arabische Großfamilie, die sich meiner Großeltern annahm. Die beiden wurden Moslems, mein Großvater bekam den Namen Abdullah“, berichtet Brahim.
Anatolien war ein buntes Mosaik
Der türkische Staat baut auf dem Erbe der vernichteten Völker der Region auf, sagt Brahim: „Laut den Erzählungen meiner Großeltern war Anatolien früher sehr bunt. Es war wie ein Mosaik, sagten sie. Aber der türkische Staat hat alle der Reihe nach vernichtet und das tut er auch heute noch. Heute heißt es beim IS, dass man ins Paradies kommt, wenn man einen Kurden tötet. Diese Denkweise hat eine lange Geschichte. Zur Zeit der Osmanen wurde man mit dem Paradies belohnt, wenn man einen Armenier ermordete. Erst wurden die Armenier vernichtet, dann kamen die Kurden an die Reihe. Auch die Araber wurden bei den Osmanen vernichtet, weil kein Bedarf mehr nach ihnen bestand. Heute wiederholt sich die Geschichte. Erdoğan vernichtet alle, die ihm nicht passen und die sich nicht nach ihm richten. Das können Kurden sein, Araber, Assyrer oder Armenier, für ihn macht das keinen Unterschied. Wer ihm nicht gehorcht, wird vernichtet.“
Die ganze Welt schweigt
Brahim sagt, dass die ganze Welt zur Invasion der Türkei in Nordostsyrien schweigt: „Die Besatzung findet vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt, viele Staaten finden das sogar gut. Alle EU-Länder und allen voran Deutschland haben dafür Unterstützung geleistet.“
Brahim weist auf eine Wiederholung des Szenarios von Iskenderun hin. Das Gebiet um die Stadt Iskenderun, die heutige türkische Provinz Hatay, hat bis 1938 zum französischen Mandatsgebiet Syrien gehört. „Erdoğan will das Gleiche tun wie seine Vorfahren. So wie Iskenderun soll jetzt auch dieses Gebiet besetzt werden. Erdoğan ist ein Enkel mittelasiatischer Diebe und setzt deren Weg fort“, so Brahim Mihemed Brahim.