Die deutsche Bundesregierung unterstützt Nichtregierungsorganisationen im Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien finanziell bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Das geht aus der Antwort von Staatssekretärin Antje Leendertse auf eine schriftliche Frage von Helin Evrim Sommer (DIE LINKE) hervor. Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag begrüßt diese Unterstützung, kritisiert jedoch, das die Selbstverwaltung und der Kurdische Rote Halbmond von dem Hilfsprogramm ausgeschlossen sind. Sie fordert eine politische Zusammenarbeit mit der nordostsyrischen Selbstverwaltung und eine Abkehr vom Erdogan-Regime der Türkei.
Helin Evrim Sommer hatte nachgefragt, welche COVID-19-spezifischen Maßnahmen im Gesundheitsbereich durch die Bundesregierung in der selbstverwalteten „Demokratischen Föderation Nordostsyrien/Rojava“ mit Mitteln des Bundeshaushalts durchgeführt und welche im Gesundheitsbereich tätigen humanitären Nichtregierungsorganisationen aktuell unterstützt werden.
Wie die Bundesregierung mitteilt, wird aus Mitteln für humanitäre Hilfe im Ausland die Beschaffung von Schutzkleidung, medizinischen Verbrauchsgütern und Hygieneutensilien für mehrere durch Nichtregierungsorganisationen (NRO) unterstützte Gesundheitseinrichtungen finanziert. Des Weiteren werden Material zur Einrichtung von Triage-Punkten zur Erhebung erster Krankheitsdiagnosen außerhalb der Gesundheitseinrichtungen, die Einrichtung zusätzlicher Betten für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit moderaten COVID-19-Symptomen in einem Feldkrankenhaus im Camp Hol sowie die Durchführung von COVID-19-bezogenen Informationskampagnen für die Bevölkerung durch Gesundheitsarbeiterinnen und -arbeiter der jeweiligen Gemeinden finanziert. Für diese Leistungen erhält die NRO „Ärzte der Welt“ Mittel in Höhe von 110.000 Euro, die NRO „International Rescue Committee Deutschland“ erhält Mittel in Höhe von 767.376 Euro.
Aus Mitteln für die strukturbildende Übergangshilfe finanziert die Bundesregierung ein „Projekt zum Wiederaufbau von Basisinfrastruktur im Gesundheitssektor und zur Verbesserung des Zugangs zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung für die kriegsbetroffene Bevölkerung“ Raqqa und Deir ez-Zor in Höhe von vier Millionen Euro. In diesem Projekt des Malteser Hilfsdienstes werden an Gesundheitszentren auch COVID-19-bezogene Maßnahmen durchgeführt, wie die Ausstattung mit Material und Schutzkleidung und die Schulung von Gesundheitspersonal für die Behandlung von COVID-19-Patientinnen und -patienten.
Trinkwasserversorgung in Nordostsyrien
Helin Evrim Sommer wollte außerdem wissen, wie sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Möglichkeiten zur Trinkwasserversorgung der Bevölkerung in Nordostsyrien durch das von den „türkischen Streitkräften und bewaffneten syrischen Oppositionskräften“ kontrollierte Wasserkraftwerk Allouk entwickelt haben, und welche konkreten Schritte die Bundesregierung bislang unternommen hat, um die humanitäre Notversorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser zu gewährleisten.
Laut der Antwort vom 2. September war nach Kenntnis der Bundesregierung die Trinkwasserversorgung in Hesekê und Umgebung durch die Wasserpumpstation Allouk in den Monaten Juli und August 2020 wiederholt unterbrochen oder unzureichend. In geringerem Ausmaß ist auch Til Tamer und Umgebung betroffen. Die Bundesregierung unterstützt aus Mitteln für humanitäre Hilfe im Ausland die Instandsetzung lokaler Brunnen in mehreren Ortschaften in der betroffenen Region sowie die „von humanitären Akteuren organisierte Notversorgung mit Trinkwasser durch Tankwagen (sogenanntes„water trucking“),um den dringenden Bedarf an Trinkwasser kurzfristig zu decken“.
Selbstverwaltung und Heyva Sor werden ausgeschlossen
Helin Evrim Sommer findet angesichts der drohenden humanitären Katastrophe durch die Covid-19-Pandemie die humanitären Hilfsleistungen der Bundesregierung an die großen internationalen Hilfsorganisationen in Nord- und Ostsyrien begrüßenswert. Gegenüber ANF äußert sie jedoch auch Kritik: „Allerdings schließt die Bundesregierung bei den Hilfsprogrammen die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, die Grundlagen für die Arbeit von internationalen Hilfsakteuren vor Ort schafft, weiterhin aus. Auch kleinere NGOs und der Kurdische Rote Halbmond (Heyva Sor a Kurd), der in der Krisensituation durch Spenden eine Sisyphusarbeit leistet, wird vom Hilfsprogramm ausgeschlossen. Diese Politik der Ignoranz gegenüber den Hauptlasttragenden in der Region ist inakzeptabel. Die Bundesregierung, die sich mit ihrer Politik der dreckigen Deals erpressbar gemacht hat, muss sich aus der Abhängigkeit vom Erdogan-Regime lösen und mit der Selbstverwaltung in Nordostsyrien politisch zusammenarbeiten.“ Nur so könne eine humanitäre Katastrophe in Rojava abgewendet werden, so Helin Evrim Sommer als entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion.