Ausbildungssituation für Binnenflüchtlingskinder
Mit den Angriffen der Türkei auf die selbstverwalteten Regionen in Nord- und Ostsyrien wurden Hunderttausende Menschen vertrieben. Nach den Invasionen 2018 in Efrîn und 2019 in Serêkaniyê und Girê Spî wurde ein Terrorregime der türkischen Besatzungstruppen und ihrer dschihadistischen Söldner errichtet. Große Teile der ursprünglichen Bevölkerung dieser Regionen leben nun in den Lagern Waşokanî, Serêkaniyê, Til Semin und Newroz sowie im Kanton Efrîn-Şehba. Das betrifft auch unzählige Kinder und Jugendliche. 7.819 von ihnen müssen Schulen in den Flüchtlingslagern besuchen.
Im Newroz-Camp gibt es 871 Schüler:innen und 23 Lehrer:innen, im Camp Waşokanî 83 Lehrer:innen auf 1.885 Schüler:innen, im Camp Serêkaniyê 142 Lehrer:innen auf 2.881 Schüler:innen in drei Schulen, im Lager Til Semin 94 Lehrer:innen für 1.566 Schüler:innen. In den Auffanglagern für Efrîn-Vertriebene in Şehba gibt es 61 Schulen.
Şehba: Bildung unter Embargo und Angriffen
Semîra Hec Elî, Ko-Vorsitzende des Bildungs- und Ausbildungsausschusses der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens, äußerte sich im ANF-Gespräch zur Bildungssituation in den Lagern. Sie betonte, dass die Bildungssituation zu den wichtigsten Fragen in Bezug auf die Bedingungen, unter denen die Vertriebenen leben müssen, zählt. So gehe die Bildungsarbeit in Şehba trotz andauerndem türkischen Artilleriebeschusses weiter. Ein weiteres Hindernis sei das Embargo des Assad-Regimes, das seine Grenzen geschlossen hält und so verhindere, dass Bildungsmaterialien nach Şehba gelangen. Dabei dauere die Fahrt von Şehba nach Aleppo nur etwa 15 Minuten, aber durch das Embargo sei eine Versorgung von dort nur sehr schwer möglich. „Nicht nur Lehr- und Lernmaterial, sondern auch die für ein gesundes Leben notwendigen Dinge können kaum nach Şehba gebracht werden. Diese schwierigen Bedingungen haben negative Auswirkungen auf das Bildungssystem für die in den Lagern lebenden Kinder“, sagte Semîra Hec Elî.
Til Semin: Bildung in Zelten bei Hitze und Kälte
Die Menschen aus Girê Sipî, die im Lager Til Semin leben, wohnen ebenfalls in Zelten. Das Leben in Zelten ist nicht einfach. Es ist allein schon sehr schwierig, bei Winterkälte und brütender Sommerhitze zu schlafen. Angesichts dessen kann man sich vorstellen, wie schwierig die Schul- und Ausbildungsbedingungen sind.
Etwas bessere Bedingungen in den Camps Waşokanî und Serêkaniyê
In den Lagern Waşokanî und Serêkaniyê ist die Situation im Vergleich zu anderen Lagern etwas besser. Semîra Hec Elî erklärte hierzu: „Man kann sagen, dass sie die besten unter den schlechten Bedingungen haben. Der Bedarf wird durch Unterstützung von Hilfsorganisationen gedeckt. Diese Hilfen wurden insbesondere für den Bau neuer Schulen in den Lagern eingesetzt. Wir stehen in direktem Kontakt mit internationalen Institutionen und Organisationen, um die Lernbedingungen der Kinder in den Lagern zu verbessern.“
„Die ökonomischen Schwierigkeiten zeigen sich auch im Bildungsbereich“
Semîra Hec Elî fuhr fort: „Obwohl der Rat für allgemeine und berufliche Bildung für Nord- und Ostsyrien sensibel für die Situation der Kinder in den Lagern ist, ist es nicht einfach, die Bedingungen zu verbessern. Grundbedürfnisse wie Schreibwaren werden zwar bereitgestellt, aber das reicht nicht aus. Die wirtschaftlichen Bedingungen in Nord- und Ostsyrien haben negative Auswirkungen auf das Bildungssystem. Die Bildung und Ausbildung in den Lagern wird jedoch nicht unterbrochen, egal wie die Bedingungen sind. Der Rat für allgemeine und berufliche Bildung wird sein Bestes tun, um sicherzustellen, dass die Kinder unter besseren Bedingungen unterrichtet werden, bis die Vertriebenen in ihr Land zurückkehren können.“
Krankheiten breiten sich aufgrund von Platzmangel aus
Neman Cangîr, Leiterin der Schule Şehîd Cemal im Camp Newroz, erklärte zur dortigen Bildungssituation: „Der Unterricht begann wieder am 8. September. Es gibt nur eine Schule in dem Lager, aber die Zahl der Schülerinnen und Schüler ist hoch. Wenn der Raum klein und die Zahl der Schüler groß ist, bedeutet die Erkrankung eines Kindes, dass auch andere Kinder angesteckt werden. Die Tatsache, dass 871 Kinder in einer Schule unterrichtet werden, verhindert also ein gesundes Ergebnis. Da kurdische und arabische Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernen, können wir unseren Lehrplan nicht so umsetzen, wie wir es uns wünschen. Wir müssen auch die Zahl der Lehrkräfte erhöhen. Wir brauchen Lehrer, die sich in ihrem Fachgebiet auskennen. Damit die Schüler unter besseren Bedingungen unterrichtet werden können, müssen die Unterrichtsmaterialien vollständig sein.“
Ciwana Xalid Silêman, Schülerin der „Şehîd Cemal“-Schule stammt aus Serêkaniyê. Als der türkische Staat Serekaniyê besetzte, ging Ciwana in die erste Klasse und musste ihren Schulalltag im Camp Newroz fortsetzen. Die Zwölfjährige erklärte gegenüber ANF: „Ich war in der ersten Klasse, als der türkische Staat Serêkaniyê angriff. Die Schule, in der ich lernte, war groß und sehr schön. Es gab viele Klassenzimmer. In jeder Reihe saßen zwei von uns, wir hatten viel Platz und fühlten uns wohl. Jetzt ist unsere Schule klein und wir sitzen zu viert in einer Reihe. Wenn jemand krank wird, stecken wir uns alle an, sodass wir nicht zur Schule gehen können und Bildungszeit verlieren. Trotz der schwierigen Bedingungen habe ich im Lager Lesen und Schreiben gelernt. Ich lerne gerne und versuche, meinen Lehrern gut zuzuhören, damit ich erfolgreicher sein kann.“
Die Bewohner:innen der Lager
Waşokanî-Camp: Das Lager in Hesekê wurde von der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien für die Binnenflüchtlinge aus Serêkaniyê eingerichtet. In dem Lager leben Flüchtlinge aus Serêkaniyê, Til Temir und Zirgan.
Serêkaniyê-Camp: Das Lager Serêkaniyê östlich von Hesekê wurde im August 2020 von der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien für die Binnenflüchtlinge aus Serêkaniyê eingerichtet.
Camp-Newroz: Das Camp Newroz in der Stadt Dêrik wurde 2014 für die Menschen aus Şengal, die vor dem IS-Genozid geflohen waren, eingerichtet. Nachdem viele Menschen aus Şengal in ihre Heimat zurückgekehrt waren, wurden Menschen aus Serêkaniyê und Girê Spî in dem Lager untergebracht.
Camp Til Semin: Das Lager wurde für Binnenflüchtlinge aus Girê Spi und Umgebung eingerichtet.
Camps in Şehba: Mit der türkischen Invasion in Efrîn im Jahr 2018 wurden mehr als 400.000 Zivilist:innen in die Flucht gezwungen. Die Mehrheit der Bevölkerung von Efrîn befindet sich in fünf Lagern (Efrîn, Veger, Serdem, Berxwedan und Şehba) in den Regionen Şehba und Efrîn-Şerêwa.