Organisierung und Wiederaufbau: Neues Leben in Tabqa

Der Aufbau eines demokratischen Systems im Sinne von zivilen Verwaltungsstrukturen stellt für die Bevölkerung der nordsyrischen Stadt Tabqa ein neues Kapitel dar.  

Seit die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) am 10. Mai 2017 Tabqa aus den Händen des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) befreit haben, hat sich viel in der nordsyrischen Stadt getan. Der Aufbau eines demokratischen Systems im Sinne der Selbstverwaltung stellt für die dortige Bevölkerung ein neues Kapitel dar.  

Im multireligiös und multiethnisch geprägten Tabqa leben Araber*innen, Kurd*innen, Christ*innen und Muslime friedlich miteinander. In den zwei Jahren, seit sie die Schreckensherrschaft des IS hinter sich gelassen hat, unternimmt die Bevölkerung für die gesellschaftliche Selbstorganisierung wichtige Schritte im ökonomischen, politischen, kulturellen, sozialen und bildenden Bereich.  

Zwei Jahre nach Beginn der Syrienkrise geriet Tabqa 2013 in die Hände bewaffneter Gruppen und wurde 2014 vom IS besetzt. Die QSD brauchten 50 Tage, um die Stadt und den Euphrat-Staudamm (auch Tabqa-Talsperre) endgültig zu befreien.

Energiegewinnung, Landwirtschaft, Handel

Der Euphrat-Damm wurde von 1968 - 1973 mithilfe der Sowjetunion erbaut. Er versorgt die Landwirtschaft mit Wasser: 600.000 Hektar könnten bewässert werden - aber nur ein Drittel dieser Fläche wird tatsächlich genutzt: der Rest ist versalzen. Und das Stauwerk produziert 880 Megawatt Strom. Seit die geflohene Bevölkerung vor zwei Jahren nach Tabqa zurückkehrte, läuft der Wiederaufbau der Stadt.

Die ländlichen Siedlungsräume mit einbezogen zählt die Einwohnerschaft Tabqas zwischen 300.000 und 350.000. Die Stadt versorgt sich hauptsächlich mit Energiegewinnung, Landwirtschaft, Viehzucht, Aquakultur und Handel. Da Tabqa im Dreistädteeck Aleppo-Raqqa-Minbic liegt, hat sie erhebliche wirtschaftliche und auch strategische Bedeutung.

Die Zeiten, die geprägt waren von Repressionen des Regimes, der Ausplünderung Tabqas durch bewaffnete Gruppierungen und der IS-Terrorherrschaft, sind vorbei. In den Gesichtern der Bewohner*innen zeichnet sich Aufregung ab: Die Feiern anlässlich des Jahrestags der Befreiung wurden vorverlegt, da sie sonst in den Fastenmonat Ramadan fallen würden.

Lächelnde Gesichter in Tabqa

In dieser schönen Stadt im Euphrat-Becken lächeln die Menschen wieder. Sie wissen, dass außer ihnen selbst niemand anders die Früchte ihrer Arbeit ernten wird. Ganz gleich, wen wir auf den Straßen der Stadt, die weiterhin im Wiederaufbau steckt ansprechen, bekommen wir zu hören: „Gott sei Dank, uns geht es sehr gut”. Auch Sätze wie „Wir haben den Frieden gefunden und lassen ihn uns nicht nehmen”, „Wir leben und arbeiten seit zwei Jahren in Sicherheit” und „Wir hoffen, dass ganz Syrien den Frieden erreichen wird, den wir haben” fallen immer wieder.  

Wendepunkt Befreiung

Ehmed Silêman ist Vorsitzender des Wirtschafts-Komitees in der Zivilverwaltung von Tabqa. Die Befreiung der Stadt sei ein Wendepunkt gewesen, sagte Silêman im ANF-Gespräch. „Nachdem die Stadt befreit war, begannen wir Volksversammlungen abzuhalten. Dort keimte die Idee, dass Tabqa eine zivile Verwaltung braucht. Daraufhin bildeten wir ein Komitee, in dem alle Komponenten der Gesellschaft vertreten sind.

Fünf Tage nach der Deklaration über die Befreiung unserer Stadt ernannten wir eine zivile Übergangsverwaltung. Dies war für uns ein bedeutender Schritt, da Tabqa ein wichtiges Zentrum für Handel, Energiegewinnung und Landwirtschaft darstellt. In die Stadt musste also so schnell wie möglich Stabilität einkehren.  

Wir konzentrierten uns zunächst auf grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung und Gesundheit. Die Jahre der Plünderungen und Gewalt hatten Tabqa zu einer Geisterstadt gemacht. Wir nahmen eine wichtige Rolle ein, um wieder Leben in unsere Stadt zu bringen“.

Bevölkerung kehrt zurück

Die Arbeit am Wiederaufbau Tabqas sei hart gewesen, erzählt Ehmed Silêman. Es habe sich aber gelohnt, da Tausende Bewohner*innen, die mit Beginn des Terrors ihre Häuser zurücklassen mussten, schon bald zurückkehrten.

„Unter der Teilnahme aller ethnischen und religiösen Identitäten der Stadt gründeten wir am 25. Oktober 2018 unsere Zivilverwaltung. Nur sechs Tage später hielt der aus 13 Komitees bestehende Exekutivrat seine erste Versammlung ab. Dass wir innerhalb dieser kurzen Zeit den Wiederaufbau unserer Stadt so weit vorantreiben konnten, liegt am Vertrauen zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung. Ich kann sagen, dass Tabqa momentan die sicherste Stadt in ganz Syrien ist“.

Neuaufbau des gemeinschaftlichen Lebens

Mit dem Aufbau einer demokratischen Zivilverwaltung sei die Kultur des gemeinschaftlichen Lebens der verschiedenen Völker und Religionen in der Region wiederbelebt worden, verrät uns Ehmed Silêman zum Ende unseres Gesprächs. „Was das Zusammenleben der Völker betrifft, haben wir mehrere Tausend Jahre Erfahrung darin. Doch die Herrschenden haben sich stets zum Ziel gesetzt, dieses Zusammenleben zu zerstören. Doch das von uns hier aufgebaute System hat diesem Plan einen großen Schlag versetzt“.