Im ANF-Gespräch äußert sich Salih Muslim aus dem Ko-Vorstandsrat der nordsyrischen Partei der demokratischen Einheit (PYD) zur Bedeutung der aktuellen Entwicklungen in Bezug auf die Situation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan und ihre Konsequenzen für die Region. Muslim zeigt sich sehr besorgt.
Was meinen Sie, was die Gerüchte über das Ableben von Abdullah Öcalan zu bedeuten haben und wie bewerten Sie die Situation?
In den sozialen Medien gab es einige Äußerungen zur Gesundheitssituation von Öcalan. Öcalans Anwälte gingen zur Staatsanwaltschaft von Bursa und fragten nach. Die Staatsanwaltschaft erklärte, die verbreiteten Behauptungen seien nicht wahr. Niemand weiß, was stimmt. Es gibt nichts, was Anhaltspunkte bietet, dass sich auf die Worte dieses Staates, der Institutionen oder der Staatsanwaltschaft verlassen werden kann. Da es kein Vertrauen gibt, wird alles mit Argwohn betrachtet. Sie haben schon so oft gelogen. Das hat die Vergangenheit bewiesen. So wurde behauptet, Öcalan sei vergiftet worden. Als der Druck wuchs, bestritten Staatsvertreter dies. Das CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter) und einige internationale Organisationen erklärten später jedoch, dass an der Vergiftung etwas dran gewesen sei. Daher gibt es kein Vertrauen in die türkische Regierung. Deshalb wollen sich die Anwälte selbst von der Situation überzeugen. Das ist normalerweise ihr Recht.
„Die Kurden müssen in den ständigen Aufstand treten“
Der türkische Staat hält sich nicht an seine eigenen Gesetze. Er entlarvt sich selbst als Lügner. Diese Situation ist aufgrund der vorherigen Praxis verdächtig. Deswegen müssen die Völker und alle kurdischen Kräfte und Institutionen in den ständigen Aufstand treten. Dazu haben sie jedes Recht. Ohne Druck kommt die Wahrheit nicht heraus. Die Anwälte haben das Recht, ein persönliches Treffen abzuhalten. Der Zustand von Rêber Apo ist ein wichtiges Thema für die Völker in ganz Kurdistan. Alle sind bei diesem Thema äußerst sensibel. Deswegen muss es angegangen werden. Damit die Wahrheit herauskommt, müssen die Menschen auf die Straße gehen. Es ist sehr wichtig für alle in Kurdistan, dass einige zuverlässige Menschen dorthin [nach Imrali] gehen und sich mit Öcalan treffen und entsprechende Informationen teilen.
Warum wird nichts unternommen, obwohl die Isolation auf Imrali gegen internationales Recht verstößt?
Natürlich verstößt die Isolation auf Imrali gegen das Völkerrecht. Sie verstößt sogar gegen türkisches Recht. Wie wir jedoch bereits erwähnt haben, geht diese Frage tiefer und liegt nicht nur in den Händen der Türkei. Seit der Entführung 1999 engagiert sich der Gladio. Das haben wir bereits zuvor gesagt. Das Regime von Imrali hängt nicht nur an der Türkei. Es hängt auch mit der NATO zusammen. So sehr wie die Türkei ist auch die NATO verantwortlich. Die Entführer Öcalans sind ebenfalls verantwortlich. Es handelt sich also um ein internationales Problem.
Die internationalen Mächte setzen die Türkei nicht sehr unter Druck, weil sie selbst Komplizen sind. Es ist als würde die Türkei ihnen sagen: „Das, was ich tue, hängt nicht mit uns, sondern auch mit euch zusammen.“ Das ist die Art von Bild, das entsteht. So scheint es auch weiterzugehen. Die Türkei setzt sich durch. Sie agiert nach dem Motto: „Wenn ihr das macht, werde ich jenes machen.“ Die Türkei spielt ein Spiel der Erpressung mit den internationalen Institutionen und den Staaten. Das hat sich in letzter Zeit bei Themen wie der Flüchtlingsfrage gezeigt. Selbst wenn die Türkei Mitglied der NATO ist, können die Staaten keinen Druck auf die Türkei aufbauen. Wir, das kurdische Volk, sind die Opfer dieser Politik.
Was kann passieren, wenn keine richtige Nachricht aus Imrali kommt?
Die Kurdinnen und Kurden in den Gefängnissen, aber auch außerhalb, haben mit Hungerstreiks begonnen, weil sie Verantwortung für die Situation Öcalans verspüren. Die Tatsache, dass Rêber Apo unter diesen Bedingungen inhaftiert bleibt, ist ein Angriff auf ihre Rechte. Das kurdische Volk und die kurdischen Institutionen haben in all ihren Aktionen völlig Recht, seien es Hungerstreiks, Proteste, Demonstrationen oder Aktionen vor allen internationalen Institutionen. Denn auf Imrali herrschen Praktiken, die in keiner Weise zu den Werten und Moralvorstellungen der Menschheit passen.
Das kurdische Volk ist sich dessen bewusst. Deswegen agiert es im Rahmen der Selbstverteidigung. Wenn diese Zumutungen wirklich zunehmen, könnte es Chaos geben. Die Kurden können es ab einem gewissen Punkt nicht mehr hinnehmen. Wir wissen nicht, was das Volk in einer solchen Situation tun wird. Es wird sehr schlimm. Wir hoffen, dass die andere Seite ihren Verstand benutzt. Auch internationale Institutionen müssen eingreifen. Entweder die türkische Regierung kommt zur Besinnung und fährt den Faschismus einige Stufen zurück oder, so fürchte ich, wird es für die Region und alle sehr schlimm werden.
Es gibt überall Proteste und Protestaufrufe kurdischer Organisationen. Wie ist Ihr Plan als PYD?
Ob KCK, KCDK-E oder andere Organisationen; es werden überall auf der Welt Aktionen stattfinden. Und das ist richtig. Als PYD sind wir mit ihnen. Wir sind ein Teil dieses Volkes. Wir stimmen diesen Aktionen zu. Seit die Nachricht über Rêber Apo das erste Mal an die Öffentlichkeit gelangt ist, hat die Bevölkerung hier nicht einen Moment stillgestanden. Die Menschen sind auf die Straßen und Plätze geströmt. Ob in Qamişlo oder in Kobanê, die PYD war an der Seite dieser Menschen und führte die Aktionen an.
Wir bringen diese Lage auch bei unseren politischen und diplomatischen Kontakten zur Sprache. Ich denke, auf unsere Bitte hin haben einige unserer Freunde die Vereinten Nationen kontaktiert und unterrichtet. Wir sind gemeinsam mit unserem Volk aktiv und werden tun, was wir können.