Knapp zwei Monate nach dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad in Syrien hat sich HTS-Führer Abu Muhammad al-Dschaulani unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa zum Übergangspräsidenten des Landes ausrufen lassen. Der Schritt erfolgte am Mittwoch auf einer „Konferenz zur Verkündung des Sieges der Revolution des syrischen Volkes“ in Damaskus. Die Teilnehmer waren ausschließlich Männer, neben Ministern der von HTS gebildeten Übergangsregierung auch die Führer der verschiedenen Fraktionen der Dschihadistenallianz, darunter auch einschlägige Kriegsverbrecher. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) war auf der Konferenz nicht vertreten, auch die alawitischen und drusischen Gemeinschaften fehlten.
MSD: Veränderungen in Syrien aufmerksam und vorsichtig beobachten
Der Demokratische Syrienrat (MSD) nahm die aktuelle Lage im Land zum Anlass, eine außerordentliche Sitzung seines Exekutivrats einzuberufen. Unter dem Vorsitz der Ko-Vorsitzenden Leyla Qehreman beriet sich die Spitze des Gremiums, der das politische Gegenstück zur Autonomieverwaltung ist und dem die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) Bericht erstatten, über die jüngsten Entwicklungen in Syrien und ihre Auswirkungen auf die Zukunft des Landes. Die Teilnehmenden betonten, dass es äußerst wichtig sei, die derzeitigen Veränderungen in Syrien aufmerksam und vorsichtig zu beobachten, um sicherzustellen, dass der politische Übergangsprozess konstruktiv und inklusiv ist und den Interessen aller Syrer:innen dient, um Ausgrenzung und Marginalisierung zu vermeiden.
In einer nach dem Treffen veröffentlichten Mitteilung bekräftigte der MSD seine Forderung, dass jeder Wandel in Syrien im Einklang mit den Grundsätzen der UN-Resolution 2254 stehen müsse, und warnte davor, dass ein Verstoß gegen diese Grundsätze äußerst negative Folgen haben könnte. Die Erklärung unterstrich die Notwendigkeit eines umfassenden politischen Wandels in Damaskus, der alle Teile Syriens einbezieht, um die Wiederholung derselben ausgrenzenden Politik zu verhindern, die ursprünglich zum syrischen Konflikt führte.
Jeder politische Übergang müsse eine echte Vertretung aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich Kurd:innen, Araber:innen, Assyrer:innen, Tscherkess:innen, Armenier:innen, Drus:innen und anderen gewährleisten, um ein Regierungssystem zu schaffen, das den Pluralismus Syriens widerspiegelt und Gleichheit für alle garantiert, so der MSD. Ein weiteres wichtiges Gesprächsthema war die dringende Notwendigkeit nach einer Auseinandersetzung mit dem Unrecht, unter dem die Syrer:innen seit Jahrzehnten leiden und das sich im Laufe der Kriegsjahre noch verschlimmert hat. Genannt wurden Zwangsvertreibung, willkürliche Verhaftungen sowie Folter und die Diskriminierung bestimmter Gruppen.
Nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen
Der MSD bekräftigte, dass das neue Syrien auf dem Fundament einer Übergangsjustiz aufgebaut werden müsse, um sicherzustellen, dass diejenigen, die für Verbrechen gegen das syrische Volk verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden, während die Opfer Entschädigungen erhalten und ihre Rechte wiederhergestellt werden. Dies würde verhindern, dass sich die Fehler der Vergangenheit wiederholten, und den Weg für eine echte nationale Aussöhnung ebnen. Auf dem Treffen wurde auch betont, dass die Rückkehr von Vertriebenen und Geflüchteten sicher und menschenwürdig sein müsse und die Wiederaufbaubemühungen fair durchgeführt werden sollten, ohne eine Region gegenüber einer anderen zu bevorzugen. Dieser Ansatz würde sicherstellen, dass sich alle Syrer:innen als gleichberechtigte Partner:innen beim Wiederaufbau ihres Landes fühlen und nicht an den Rand gedrängt oder von dem Prozess ausgeschlossen werden.
Nationale Konferenz notwendig für demokratische Zukunft
Der MSD-Vorstand war sich auch einig, dass Syrien einen umfassenden nationalen Dialog braucht, an dem alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte beteiligt sind, um eine einheitliche Vision für die Zukunft des Landes zu entwickeln. Das Gremium hält die Abhaltung einer umfassenden nationalen Konferenz für die beste Lösung, um sicherzustellen, dass die Zukunft Syriens demokratisch, pluralistisch und dezentralisiert gestaltet wird und auf Gerechtigkeit und gleichberechtigter Bürgerschaft beruht. Eine nachhaltige Lösung für die Krise in Syrien müsse vom Willen des syrischen Volkes selbst ausgehen und nicht von einem Diktat von außen. Bei allen politischen Vereinbarungen oder Absprachen müssten die Interessen des syrischen Volkes Vorrang vor denen regionaler oder internationaler Akteure haben, fordert der MSD.
Konfessionelle Hetze muss beendet werden
Nach Angaben von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen kommt es seit der Machtübernahme der HTS-Miliz zu religiös motivierten Lynchmorden in Syrien, hauptsächlich gegen die alawitische Minderheit, der auch Assad angehört. Die eskalierende Gewalt könne eine „unhaltbare Situation“, schaffen, warnt der MSD, und fordert dringendes Handeln sowohl auf politischer Ebene als auch auf der Sicherheitsebene. Hassreden und konfessionelle Hetze, die die Spaltung der syrischen Gesellschaft vertieft hätten, müssten ein Ende haben. Die Fortsetzung solcher Rhetorik würde jede Chance auf Stabilität bedrohen und die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens in Syrien behindern.
Es brauche in der kommenden Phase einen politischen Diskurs, der konstruktiv sei und sich darauf konzentrieren sollet, die Syrer:innen zu vereinen, anstatt Spaltungen zu schüren. Auf konfessionelle und ethnische Spannungen zu setzen, sei eine „Verliererstrategie“, die auf die Dominanz einiger Fraktionen abziele. Für eine lebenswerte Zukunft Syriens sei eine gleichberechtigte Bürgerschaft existenziell.
MSD kämpft weiterhin für pluralistisches Syrien
Abschließend bekräftigte der Exekutivrat des MSD sein Engagement für ein demokratisches und pluralistisches Syrien auf der Grundlage von Gleichheit und Gerechtigkeit. Der Rat erklärte, er werde seine Bemühungen zur Förderung des innersyrischen Dialogs fortsetzen und mit allen aktiven Parteien zusammenarbeiten, um eine neue Zukunft auf der Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit, Pluralismus und Menschenrechten aufzubauen.
Titelfoto: MSD-Sitzung am 18. Februar 2024 in Hesekê | Handout via MSD-Pressedienst