Keine Ruhe für die Besatzer von Efrîn

Die Besatzung von Efrîn wird für die Türkei und ihre dschihadistischen Banden zum Problem. Die illegalen Besatzer sind ständigen Angriffen der YPG, YPJ und der Befreiungskräfte Efrîns ausgesetzt.

Die Türkei hat am 20. Januar 2018 die Besatzungsoperation gegen Efrîn begonnen und am 18. März völkerrechtswidrig den Kanton eingenommen. Seither sind zehn Monate vergangen. Doch von einer vollständigen Kontrolle kann nicht die Rede sein. Weder die türkische Armee noch die 33 bewaffneten Gruppen, die mit der Türkei in Efrîn Präsenz zeigen, konnten bislang Ruhe in dem besetzten Gebiet finden. Sie sind den Aktionen der YPG, YPJ und der Befreiungskräfte Efrîns geradezu ausgeliefert.

Als der türkische Staat am 18. März die vollständige Besatzung von Efrîn deklarierte, erklärten die Einheiten der YPG und YPJ, dass sie mit der Strategie des Guerillakampfes die zweite Phase des Widerstandes eingeläutet haben. Als nicht nur der Widerstand der YPG und YPJ den Besatzern zu schaffen machte, sondern auch noch Beutekämpfe unter den Besatzern selbst ausbrachen, wurde die Situation in Efrîn für die Türkei immer schwieriger.

Efrîn unter den Besatzer aufgeteilt

Die Türkei hat zwar Organisationen geschaffen, die den Schein einer zivilen Verwaltung in Efrîn aufrechthalten soll. De facto ist Efrîn allerdings unter den 33 bewaffneten Gruppen aufgeteilt worden, die jeweils in dem von ihnen besetzten Gebiet das Sagen haben.

Der türkische Staat hat in all diesen Gebieten Verwaltungsräte geschaffen, in denen die jeweiligen Milizen und ihre Angehörigen vertreten sind. Nach außen werden diese Strukturen als die zivile Verwaltung von Efrîn verkauft. Die militärische Leitung hingegen hat die sogenannte Nationale Armee, die eine Koalition aus Vertretern der bewaffneten Gruppen darstellt. Im Hintergrund zieht allerdings bei all diesen Strukturen der türkische Staat selbst die Strippen. Keine Initiative in Efrîn ist ohne das Einverständnis der türkischen Verwaltung möglich. Wichtige Posten bei den Verwaltungsangelegenheiten haben die Gouverneure der türkischen Provinzen Kilis und Hatay inne. Auch wenn die türkische Propaganda von einer „Normalisierung“ in Efrîn spricht, verläuft die Verwaltungsstruktur weiterhin nach militärischem Schema.

Der ENKS-Marionettenrat

Eine äußerst zweifelhafte Rolle bei der Besatzung von Efrîn spielt der sogenannte Kurdische Nationalrat (ENKS). Hatten Vertreter des ENKS keine Chance ungenutzt gelassen, um sich vor der Besatzung Efrîns über die Selbstverwaltungsstruktur des Kantons zu beschweren, witterten sie sofort ihre Chance, mit der türkischen Besatzung in Efrîn illegitim die Macht zu ergreifen. So wurde bereits während des Besatzungskrieges im nordkurdischen Dîlok (Antep) ein „Lokalrat Efrîns“ gegründet, der aus Mitglieder des ENKS bestand. Zehn Tage nach der Besatzung erklärte Fuad Eliko für den ENKS im Fernsehsender Rudaw TV, dass man sich mit der Türkei geeinigt habe und „von nun an die Menschen Efrîns sich selbst verwalten“ würden.

Dann siedelte die Struktur des ENKS tatsächlich nach Efrîn über. Ihre vornehmliche Aufgabe bestand allerdings darin, diejenigen Personen zu identifizieren und der Türkei auszuliefern, die vor der Besatzung Efrîns Teil der demokratischen Selbstverwaltung waren. Pompös wurde in den Medien Propaganda betrieben, dass der neue „Lokalrat Efrîns“ mit eigens geschaffenen Strukturen im Dienste der Bevölkerung stehen werde. Doch dann intervenierten schon bald die mit der Türkei agierenden Banden und der ENKS-Marionettenrat gehörte daraufhin der Geschichte an.

Der Leiter des „Lokalrats von Efrîn“, Hasan Şindî, hat sich mittlerweile nach Europa abgesetzt. Auch andere Mitglieder dieser Struktur sind nicht mehr in Efrîn, sondern leben wieder in der Türkei oder in europäischen Ländern. Sie sahen in der türkischen Besatzung ihre Chance, mussten aber mittlerweile eingestehen, dass auch sie trotz ihrer Marionettenfunktion nicht sicher vor den kurdenfeindlichen Besatzungstruppen sind. Lokale Quellen berichten, dass selbst der aktuelle Vorsitzende dieser Struktur, Mihemed Süleyman, wegen Sicherheitsgründen nachts nicht in Efrîn bleibe. Ansonsten erfüllt die Struktur lediglich den Dienst, als Helfer des Gouverneurs von Hatay diesem elektronisch die Daten der Bewohner von Efrîn und der Angesiedelten zu übermitteln.

Islamistische Polizeistruktur geschaffen

Nach der vollständigen Besatzung Efrîns hatte die Türkei propagiert, dass alle Milizen, die an der Operation beteiligt waren, sich aus dem Stadtkern zurückziehen würden. Für die interne Sicherheit werde eine eigene militärische Polizeistruktur geschaffen. Diese Aussage hatte letztlich so wenig Wahrheitsgehalt wie die übrige Propaganda der Türkei in Bezug auf Efrîn. Die neue Polizeistruktur speiste sich aus den Mitgliedern der sogenannten Nationalen Armee, also der Koalition der islamistischen Milizen, die gemeinsam mit der Türkei agieren. Und auch die übrigen Milizionäre zogen sich keineswegs aus Efrîn zurück, sondern sind bis heute präsent.

Die Polizeistruktur ist unterdessen ebenso wie die „Nationalen Armee“ an die Weisungen der türkischen Armee gebunden. Um den Kontakt zur Bevölkerung möglich zu machen, hatte der türkische Staat noch eine „zivile Polizei“ ins Leben gerufen. Diese setzte sich ebenfalls aus ENKS-Mitgliedern sowie einigen wenigen Frauen zusammen. Doch die übrigen Milizen duldeten diese Struktur nicht lange. Durch ihren Druck trat letzten Monat der Verantwortlicher der „zivilen Polizei“ zurück. Heute ist die Struktur ebenso bedeutungslos im besetzten Efrîn wie alle anderen Strukturen des ENKS.

Dasselbe gilt übrigens auch für die Milizen des ENKS. Insgesamt sechs Milizen des ENKS beteiligten sich an der Besatzung Efrîns. Auch wenn diese Gruppen sich in den Dienst der Türkei stellten, wurden sie letztlich ausgeschaltet. Die anfängliche Präsenz des ENKS in Efrîn nach der Besatzung ist mittlerweile deutlich geschwunden. Die übrigen ENKS-Mitglieder arbeiten vor allem als Informationsbeschaffer für den türkischen Geheimdienst MIT.

Kampf nach Art der Guerilla

Nach dem 58-tägigen Widerstand der YPG/YPJ gegen die zweitgrößte NATO-Armee begann am 18. März 2018 die zweite Phase des Widerstands. Die kämpfenden Einheiten verließen Efrîn trotz der Besatzungsmacht nicht und setzten ihren Kampf in kleinen Gruppen als Guerillakampf fort.

Seitdem haben 147 verschiedene Aktionen stattgefunden, bei denen 350 Besatzer getötet wurden. Der türkische Staat führte innerhalb der Stadt und in den Dörfern Efrîns 13 Operationen durch, um den Widerstand der YPG/YPJ zu brechen. Das ist ihm nicht gelungen. Seit dem 18. März sind 56 Kämpfer*innen in Efrîn gefallen.

YPG-Sprecher Mahmud: Keine Ruhe für die Besatzer

Nach Angaben des YPG-Sprechers Nuri Mahmud haben 80 Prozent der Bevölkerung Efrîn nach der Besatzung verlassen: „Der türkische Staat verändert die demografische Struktur in Efrîn. Anstelle des vorher bestehenden demokratischen Systems wird ein Terrorregime etabliert. Dafür sind terroristische Gruppen nach Efrîn transferiert worden. Dagegen kämpfen unsere Kräfte auf Art und Weise der Guerilla. Seit Beginn der zweiten Phase des Widerstands haben die Besatzer noch keinen ruhigen Tag in Efrîn erlebt. Unsere Einheiten kämpfen weiter für die Befreiung. Die internationalen Mächte haben Efrîn unter Missachtung des Völkerrechts terroristischen Kräften überlassen und auch jetzt werden wir in unserem Kampf alleingelassen. Unser Kampf wird jedoch bis zur Befreiung weitergehen.“

Der Zorn der Oliven

Ermutigt durch den Kampf der YPG/YPJ wurde im Juni 2018 von Menschen aus Efrîn das Operationszentrum „Zorn der Oliven“ gegründet. Alle Aktionen des Operationszentrums wurden auf Facebook veröffentlicht. Bisher waren es über hundert, für die Besatzer ein Albtraum. Das Operationszentrum bekam schnell Zulauf aus Gebieten in Idlib und Şehba, die vom türkischen Staat und dschihadistischen Milizen kontrolliert werden. Angriffsziele waren türkische Soldaten und Dschihadisten, die an der Besatzung beteiligt sind.

Die Befreiungskräfte Efrîns

Eine neue Organisation sind die Befreiungskräfte Efrins (Hêzên Rizgariya Efrînê, HRE), die erstmalig im Dezember in Erscheinung traten und ankündigten, eine neue Taktik im Kampf gegen die Besatzung anzuwenden. Seitdem haben diverse erfolgreiche Aktionen in Şehba und Efrîn stattgefunden.

Der türkische Staat hat nach solchen Aktionen gegen die Besatzer Operationen in Efrîn durchgeführt und Dutzende Kurden wegen vermeintlicher Hilfestellung verschleppt. Insbesondere nach drei Explosionen am 27. Juni in Efrîn kam es zu einer regelrechten Hetzjagd.

Die Bevölkerung wehrt sich

Trotz der Unterdrückung kam es zu mehreren kleinen Aufständen der Bevölkerung. Am 27.-28. Mai protestierten die Menschen im Stadtteil Mahmudiye gegen Verhaftungen und Entführungen durch die Besatzer. Am 8. Juni wurde im Stadtzentrum gegen die Präsenz der türkischen Armee protestiert. Auch am 27. Juni forderte eine Menschenmenge den Abzug der Besatzer. Jedes Aufbegehren der Bevölkerung wurde mit der Intervention der Besatzungstruppen beendet.

Nicht nur die Kurden wehrten sich gegen die Besatzer, auch einige arabische Stämme, die sich nicht am Widerstand gegen die Invasion beteiligt hatten, übten den Aufstand, als am 20 Juni ein Angehöriger des Stammes der Bobiyen von Dschihadisten ermordet wurde. Aus der Beerdigung wurde ein Protestzug, auf dem „Besatzer raus“ gerufen wurde.

Der arabische Stamm der Amerat kämpfte sogar bewaffnet gegen die Besatzungskräfte. Um seine Milizen zu schützen, ließ die türkische Armee Kampfflugzeuge und Aufklärungsdrohnen über die von Angehörigen des Stammes bewohnte Gebiete fliegen. Später wurden unter Aufsicht des MIT diverse Versammlungen abgehalten, zu denen Scheichs auswärtiger Stämme gebracht und mit Hilfe von Kollaborateuren innerhalb der Stämme versucht wurde, den Aufruhr gegen die Besatzung zu besänftigen.

Kampf um die Beute

Die an der Besatzung beteiligten Dschihadisten bereicherten sich im Wissen und Einverständnis des türkischen Staates durch Lösegelderpressung und Raub an der kurdischen Bevölkerung. Immer öfter kam es jedoch zu Verteilungskämpfen unter den Milizen. Eine lange Zeit fanden täglich bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den dschihadistischen Gruppen statt.

Unbedingter Gehorsam

Wie vor Ort berichtet wird, ist Efrîn zurzeit ein Zentrum des Chaos. Sowohl die ursprüngliche Bevölkerung als auch die vom türkischen Staat zwecks demografischer Veränderung angesiedelten Menschen sind unruhig. Der türkische Staat will die Besatzung und einen unbedingten Gehorsam etablieren. Im Moment wird die Anzahl der Milizen verringert und die Türkei versucht durch eine zentralere Struktur die Kontrolle zu gewinnen. Zwischen dem 1. und dem 10. Januar haben sich jedoch Milizionäre kampflos vor HTS nach Efrîn zurückgezogen, was mutmaßlich ein MIT-Plan und Grund für neue Schwierigkeiten ist. Alle vorliegenden Daten verweisen darauf, dass der türkische Staat auch bei einer andauernden Besatzung nicht in der Lage sein wird, die Situation in Efrîn zu kontrollieren.