Die Türkei und die von ihr gelenkten Fraktionen der al-Qaida und des IS begannen die Invasion auf Efrîn vor einem Jahr mit der politischen und militärischen Unterstützung sowohl der NATO als auch Russlands. Die Kriegsallianz erlitt jedoch durch die Kämpferinnen und Kämpfer von YPG und YPJ schwere Verluste und ging dazu über, die Zivilbevölkerung anzugreifen. Das erste Ziel war die Infrastruktur für die Versorgung der Bevölkerung mit dem Überlebensnotwendigen – es wurden Wasserquellen, Bäckereien, Krankenhäuser und Farmen von der türkischen Luftwaffe bombardiert. Schließlich begann der türkische Staat auch zivile Siedlungen zu attackieren, um die Bevölkerung zum Verlassen der Region zu zwingen.
Gewolltes Massaker an der Zivilbevölkerung
Es kam zu schweren Verlusten innerhalb der Zivilbevölkerung durch Luftangriffe. Nach Angaben des Gesundheitsrats von Efrîn wurden im ersten Monat der Invasion 176 Zivilisten, davon 27 Kinder, getötet, 484 Zivilisten, 60 von ihnen Kinder, wurden verletzt. Am 52. Tag der Angriffe lagen die Zahlen bei 232 getöteten Zivilisten, davon 35 Kinder. 668 Zivilisten, 90 davon Kinder, wurden verletzt. Trotz der allgemeinen Waffenruhe, welche die Vereinten Nationen für den Monat Februar für ganz Syrien getroffen hatte, griff der türkische Staat gnadenlos weiter die Zivilbevölkerung an.
Rückzugsentscheidung, um Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern
Mit dem Wachsen der Gefahr eines Massenmords wurde am 16. März von der Selbstverwaltung von Efrîn die Evakuierungsentscheidung getroffen. Die Demokratisch-Autonome Selbstverwaltung des Kantons Efrîn erklärte in einer Pressekonferenz am 18. März in Şehba: „Der Widerstand von Efrîn ist in eine neue Phase eingetreten und wir haben die Entscheidung getroffen, die Zivilisten aus der Region abzuziehen, um eine große menschliche Katastrophe zu verhindern.“ Die Kräfte der YPG und YPJ wechselten ihre Widerstandsmethode und begannen mit Guerillaaktionen in Efrîn.
Der Plan des türkischen Staates stieß auf den Widerstand der Bevölkerung
Der türkische Staat hatte vor dem Angriff - um der Besatzung „Legitimität“ zu verleihen - Zeltstädte entlang der Grenze errichtet und damit gerechnet, dass die Bevölkerung fliehen und in diese türkischen Zeltstädte einziehen werde. Aber trotz der heftigen Angriffe weigerten sich die meisten Menschen in die Zeltstädte zu gehen und so scheiterte dieser Plan. Als sich die Angriffe verschärften, flohen die Menschen zuerst in die Stadt Efrîn und wurden dort von 53 Kommunen und Räten versorgt.
Die Bevölkerung akzeptierte die Besatzung nicht
Obwohl die türkische Luftwaffe ihre Angriffe auf das Stadtzentrum intensivierte und jeden Tag Menschen starben, zeigte sich die Bevölkerung von Efrîn entschlossen, die Stadt nicht zu verlassen. Erst als die Selbstverwaltung die Evakuierung beschloss, erfolgte der kollektive Aufbruch. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung akzeptierten die türkische Besatzung nicht und entschieden sich, die Stadt zu verlassen. Bei vielen, die in Efrîn blieben, handelte es sich um alte Menschen, die sich weigerten zu gehen, und um Menschen, die sagten: „Komme was wolle, wir bleiben.“
175.000 Menschen verließen die Stadt
Nach zweitägiger Reise erreichten etwa 175.000 Menschen aus Efrîn den Kanton Şehba, der selbst nur etwa 90.000 Einwohner hatte. Die Bevölkerung von Şehba und ihre Selbstverwaltung empfingen die Bewohner Efrîns und brachten sie in Ehres, Til Rifat, Keferniye und in etwa 50 Dörfern in der Umgebung dieser Gemeinden unter. Da allerdings Şehba gerade erst vom IS befreit worden war, lagen noch viele Minen im Gelände. Tausende zogen auch in zehn Dörfer im Kreis Efrîn-Şêrawa und die Gemeinden Nubul und Zehra bei Aleppo.
Die Camps in Şehba und das Leben dort
Die Selbstverwaltungen der Kantone Efrîn und Şehba setzten zunächst alles in Bewegung, um den Grundbedarf der Evakuierten zu sichern. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien setzte ebenfalls all ihre Möglichkeiten ein und in kurzer Zeit waren Camps errichtet, in denen und ein großer Teil der Menschen untergebracht werden konnte. Zuerst wurde das Camp Berxwedan für 3.000 Menschen, dann Serdem ebenfalls für 3.000, das Efrîn-Camp für 500, das Şehba-Camp für 637 und zuletzt das Veger-Camp für bisher 100 Menschen errichtet.
Reorganisierung
Die Evakuierten aus Efrîn haben sich in Şehba einerseits reorganisiert und ihr Leben neu aufgebaut, erwarten aber auch die Befreiung von Efrîn durch ihre Verteidigungskräfte. Sie haben sich in Şehba, einer Wüstenregion mit schlechten Ausgansbedingungen, reorganisiert, in kürzester Zeit Kommunen und Räte aufgebaut und Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser und Stadtverwaltungen neu eröffnet.
„Die Welt hat diesen Widerstand nicht gesehen“
Idrîs Weqas kämpfte an der Cindirês-Front im Efrîn-Widerstand und ist nun Mitglied der Leitung des Serdem-Camps. Er sagt, der Bevölkerung von Efrîn sei eine historische und menschliche Aufgabe zugefallen, derer sie vollkommen gerecht worden ist. Er fährt fort: „Wir haben als Bevölkerung von Efrîn versucht, alles zu tun, was in unseren Möglichkeiten stand. Wir standen bis zum Ende an der Seite unserer Kämpferinnen und Kämpfer. Das war eine menschliche und patriotische Verpflichtung. Ich kann sagen, die Bevölkerung von Efrîn hat ihre Rolle erfüllt. Gegen die Kampfflugzeuge hatten wir nur unsere Körper. Die ganze Welt hat dazu geschwiegen. Es wurden die modernsten Waffen eingesetzt. Sie wurden eigentlich gegen die Menschheit benutzt. Denn Efrîn leistete an Stelle der Menschheit Widerstand, aber die Welt hat es nicht gesehen.“
„Wir werden Efrîn mit Sicherheit befreien“
Idrîs Weqas weiter: „Wir wurden nicht besiegt. Das passiert in Kriegen, manchmal gewinnst du, manchmal gibt es Niederlagen, aber wir als Volk von Efrîn wurden nicht besiegt. Jeder Gipfel, jedes Tal, jeder Baum in Efrîn hat ein Beispiel des Widerstands abgegeben, über das wir tagelang sprechen könnten. Wir empfinden Stolz und Ehre angesichts der Bilanz. Wir sind stolz auf unseren Widerstand. Wir werden Efrîn niemals aufgeben und mit Sicherheit befreien. Wir haben dort Gefallene. Wir werden es nicht aufgeben!“