Flucht vor türkisch-dschihadistischen Angriffen
Der Ende November gestartete Angriff der türkischen Luftwaffe und der unter türkischem Kommando agierenden Milizen auf die selbstverwaltete Region Şehba und die Stadt Tel Rifat in Nordsyrien hat über 200.000 Menschen in eine lebensbedrohliche Lage gebracht. Nachdem der Kantonsrat Efrîn-Şehba zur Sicherheit der Bevölkerung die Evakuierung beschlossen hat, sind 121.000 Menschen in den von der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) kontrollierten Gebieten untergebracht worden.
DAANES mit der Versorgung der Vertriebenen überfordert
Die Selbstverwaltung ist mit der Versorgung der Vertriebenen überfordert. Der DAANES-Beauftragte für Geflüchtete und Lager, Şêxmûs Ehmed, erklärte gegenüber ANF: „Die Vereinten Nationen und andere Organisationen müssen Unterstützung leisten. Die Unterstützung sollte nicht auf materielle Hilfe beschränkt sein. Es muss politisch Haltung gegen den türkischen Staat und seine Banden bezogen werden. Die Verantwortlichen für diese Vertreibungen und Verbrechen müssen vor Gericht gestellt werden.“
Şêxmûs Ehmed, Flüchtlingsbeauftragter der DAANES
Die Menschen aus Efrîn sind bereits zum zweiten Mal vertrieben worden, betonte Şêxmûs Ehmed: „Um weitere Massaker zu verhindern, wurden sie in sichere Gebiete der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien evakuiert. Die Selbstverwaltung hat alle ihre Institutionen in Bewegung versetzt. Außerdem wurde ein Krisenstab für die Aufnahme der Geflüchteten gebildet. Auch die Bevölkerung hat sofort gehandelt und Hilfe geleistet.“
Für die Erstaufnahme der Vertriebenen wurden Zentren in Tabqa und Raqqa errichtet, teilte Ehmed mit: „Die ersten Tage waren sehr schwierig. Es wurden große Anstrengungen unternommen, um die Geflüchteten so gut wie möglich aufzunehmen. Inzwischen ist eine gewisse Ordnung eingekehrt, aber natürlich längst nicht auf dem erforderlichen Niveau. Nach Tabqa und Raqqa gibt es jetzt auch Unterbringungsmöglichkeiten in den Kantonen Firat und Cizîrê. Dadurch ist etwas Luft entstanden.“
Langfristiger Versorgungsbedarf
Zu dem bestehenden Versorgungsbedarf sagte Şêxmûs Ehmed: „Eine der schwierigsten Fragen ist immer noch die Unterbringung. Wir haben die Vertriebenen aus Efrîn in Zelten und Schulen untergebracht und auch Stadien und Moscheen genutzt, aber das ist keine Dauerlösung. Es müssen angemessene Lebensbedingungen geschaffen werden. Wichtig ist auch eine gute Gesundheitsversorgung für Frauen und Kinder. Vorrang haben für uns momentan ausreichende Unterbringungsplätze und die Gesundheitsversorgung. Die Versorgung muss effektiv organisiert werden, denn die Geflüchteten sind in der gesamten Region verteilt. Die zuständigen Komitees vor Ort müssen mit ihnen Kontakt aufnehmen und dafür sorgen, für alle erreichbar zu sein. Nicht nur die Institutionen der Selbstverwaltung, auch die Bevölkerung muss Hilfe organisieren. Kein Flüchtling darf im Stich gelassen werden. Alle Geflüchteten müssen mit dem notwendigen Bedarf versorgt und unterstützt werden, damit sie neuen Raum zum Leben erhalten. Der Bedarf wird aller Voraussicht nach über einen längeren Zeitraum bestehen, eine kurzfristige Lösung ist nicht absehbar. Wir sprechen hier über die Versorgung von über hunderttausend Menschen. Mit guter Organisation können wir jedoch auch diese Lage bewältigen.“
Große Hilfsbereitschaft trotz Kriegszustand
Şêxmûs Ehmed sagte, dass viele Familien Vertriebene in ihren Wohnungen aufgenommen haben und versorgen. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung sei groß, trotz der allgemeinen unsicheren Lage und des permanenten Kriegszustands in Nord- und Ostsyrien. Bei den meisten aufgenommenen Geflüchteten handele es sich um Kurdinnen und Kurden, es seien jedoch auch Araber:innen und Turkmen:innen dabei.
Dringender Bedarf nach internationaler Unterstützung
„Die Aufnahme von 121.000 Menschen übersteigt die materiellen Möglichkeiten der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Heyva Sor a Kurdistanê hat große Unterstützung geleistet. Auch andere internationale Institutionen und Organisationen müssen die Region unterstützen. Wir haben dringenden Bedarf an Gesundheitsmaterialien. Unsere Krankenhäuser haben nicht die Kapazität, so viele traumatisierte Flüchtlinge mit multiplen gesundheitlichen Problemen zu behandeln. Die UN und andere Organisationen müssen Unterstützung leisten“, so der Ko-Vorsitzende der DAANES-Behörde für Geflüchtete.