Mazlum Abdi: Einheit ist mehr denn je notwendig
Der QSD-Generalkommandant Mazlum Abdi ruft zur Einheit auf und berichtet, man habe mit der Türkei über Vermittlung der internationalen Koalition Gespräche über den Waffenstillstand geführt.
Der QSD-Generalkommandant Mazlum Abdi ruft zur Einheit auf und berichtet, man habe mit der Türkei über Vermittlung der internationalen Koalition Gespräche über den Waffenstillstand geführt.
Der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi, hat am Donnerstagabend im Sender Ronahî TV die aktuellen Entwicklungen in Nord- und Ostsyrien erläutert. Dabei ging es um die Beflaggung der Gebäude der Selbstverwaltung mit der syrischen Unabhängigkeitsfahne, die Übergabe des Süleyman-Şah-Mausoleums an die SNA („Syrische Nationalarmee“), die Gespräche mit der HTS (Hayat Tahrir al-Sham) und die innere Einheit unter den Kurd:innen. Abdi sagte, dass man über die internationale Koalition auch Gespräche mit der Türkei über eine Waffenruhe führe.
„Wir sind ein Teil Syriens“
Die Syrische Unabhängigkeitsfahne wurde bisher von der Selbstverwaltung nicht benutzt. Sie wurde vor allem von FSA („Freie Syrische Armee“) und SNA verwendet. Die Fahne wurde nun zur offiziellen Fahne Syriens. Nun wehen diese Fahnen auch über den Gebäuden der Demokratischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien (DAANES). Abdi sagte: „Wir haben diese Fahne bereits auf dem ersten Kongress der YPG akzeptiert. Wir lehnen diese Fahne in keiner Weise ab. Syrien war in zwei Teile geteilt; auf der einen Seite gab es bis jetzt die Flagge der Baathisten, auf der anderen Seite die Flagge der Gruppe, die wir jetzt akzeptieren. Aufgrund des Bürgerkriegs haben wir unsere eigenen speziellen Flaggen verwendet, aber jetzt hat sich eine andere Situation ergeben. Man hat sich auf eine Flagge für ganz Syrien geeinigt. Alle Völker führen diese Flagge der Unabhängigkeit. Wir haben kein Problem mit dieser Fahne, denn sie ist nicht die Flagge der monistischen Arabischen Republik Syrien. Wir haben unsere Entscheidung in diesem Sinn getroffen, und ich denke, diese Entscheidung ist richtig. Sie zeigt, dass wir ein Teil Syriens sind. Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil wir aufgrund der Einigung der syrischen Völker auf eine Fahne auch ein Teil Syriens sind.“
Grabmal von Süleyman Şah
Ein weiterer wichtiger Punkt im Sinne türkischen Interesses ist die Verlegung des Grabmals von Süleyman Şah. Das Grabmal hat für das Regime in Ankara eine große symbolische Bedeutung, da Süleyman Şah (1178–1236) als angeblicher Vater von Osman I., dem Gründer des Osmanischen Reiches, glorifiziert wird. Das Grabmal war mehrfach verlegt worden, unter anderem in der Nacht zum 22. Februar 2015. Damals brachte die türkische Armee mithilfe der YPG und YPJ das Grabmal vor dem IS in Sicherheit in das selbstverwaltete Gebiet bei Kobanê. Da nun das Gebiet westlich des Euphrat an der Qereqozaq-Brücke de facto von der Türkei bzw. ihren dschihadistischen Söldnern kontrolliert wird, boten die QSD dem türkischen Staat als diplomatisches Angebot die Rückführung des Grabmals in das Gebiet an, möglicherweise auch als Geste im Rahmen eines möglichen Waffenstandes. Abdi erklärte dazu: „Es gibt keine Einigung. Es werden viele Dinge behauptet. Es geht hier um internationales Recht der Türkei. Diesbezüglich gab es viele Probleme. Wir haben klargemacht, dass wir in dieser Hinsicht keine Probleme haben. Wir hatten bereits zuvor die notwendige Unterstützung für die Umsiedlung geleistet, und jetzt haben wir gesagt, dass wir bereit sind, die notwendige Unterstützung für eine erneute Umsiedlung zu leisten. Wir wollen mit niemandem Probleme haben. Wir sind bereit, alles im Rahmen der internationalen Rechte zu tun. Wir sind ein Teil von Syrien. Aber wir haben noch keine Antwort von der Türkei erhalten. Die internationalen Koalitionskräfte unter uns tauschen sich mit der Türkei aus. Sie werden eine Antwort von der Türkei erhalten. Wir sind bereit, alles zu tun, was in unserer Macht steht. Wir wollen keinen Konflikt. Wir sind offen für alles, was sich im Rahmen des Völkerrechts bewegt. Wir sind ein Teil Syriens. Wir haben keine Antwort von der Türkei erhalten. Es findet ein Austausch zwischen uns und der internationalen Koalition und der internationalen Koalition mit der Türkei statt. Wir sind bereit, alles zu tun, was in unserer Macht steht.“
„Der Waffenstillstand in Minbic ist noch nicht in Kraft“
Die Angriffe der von der Türkei kommandierten Söldner in Minbic gehen weiter. Abdi erklärte dazu: „Wir haben einen Waffenstillstand erklärt. Daran waren auch die internationalen Kräfte beteiligt, die Gespräche mit der Türkei geführt hatten. Wir haben das akzeptiert. Aber die Angriffe haben bis heute nicht aufgehört. In Qereqozaq und Minbic – auch dort haben wir weiterhin Kräfte – haben sie aufgehört. Es gab eine Vereinbarung, dass es in Minbic keine militärischen Kräfte geben sollte und dass die Bevölkerung von Minbic sich selbst regieren soll. Die militärischen Kräfte in Minbic sind aber noch da, weil diese Vereinbarung noch nicht in Kraft getreten ist. Wir hoffen, dass der Waffenstillstand morgen [Freitag] in Kraft treten wird. Wir werden sehen, wie weit sie [die Türkei und SNA] sich daran halten werden.“
„Kobanê geht die ganze Welt an“
Abdi berichtete von bedrohlichen Entwicklungen um Kobanê: „Die Qereqozaq-Brücke wurde überschritten und es gab den Versuch eines Angriffs. Das war eine reale Gefahr. Es ging darum, Kobanê einzukreisen. Unsere Kämpferinnen und Kämpfer haben dies jedoch mit großem Mut verhindert. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, die nicht nur Kobanê und Rojava betrifft, sondern die ganze Welt. Wir haben alle Vorkehrungen gegen die Angriffe getroffen. So wie wir den IS aus Kobanê vertrieben haben, so werden wir ihn auch wieder vertreiben. Wir haben internationale Freundinnen und Freunde. Wir hoffen, dass die Waffenstillstandsvereinbarung, die wir in Minbic getroffen haben, allgemein gültig sein wird.“
„Der Euphrat wird die Grenze sein“
Dass die QSD in Deir ez-Zor vorgerückt sind, nachdem sich das syrische Militär nach dem Fall von Damaskus zurückgezogen hatte, erklärte Abdi mit Präventionsmaßnahmen gegen die IS-Gefahr: „Es gab eine Lücke, es gab die Bedrohung durch den IS. Wir haben mit der internationalen Koalition eine Entscheidung getroffen und den Ort aus Sicherheitsgründen eine Zeitlang kontrolliert. Wir sind nicht, wie man behauptete, über den Euphrat gezogen, um zu bleiben. Die Türkei behauptet, wir hätten die Gelegenheit genutzt, um zu expandieren. Als die HTS eintraf, haben wir eine Vereinbarung getroffen: Unsere Kräfte blieben noch ein paar Tage vor Ort und zogen sich nach Abschluss ihrer Aufgaben auf die alten Stellungen zurück. Wir haben uns darauf geeinigt, dass der Euphrat die Grenze sein wird. Wir hoffen, dass diese Vereinbarung nicht gebrochen wird.“
„Es gibt Gespräche mit HTS“
Zu Gesprächen zwischen QSD und HTS sagte Abdi: „Bevor HTS nach Aleppo aufbrach, erhielten wir von ihnen die Botschaft, dass ihr Ziel weder die QSD noch die Kurdinnen und Kurden seien. Das hat sich in der Praxis bisher bewahrheitet. Es hat einige Probleme gegeben. Türkeitreue Gruppen haben Tel Rifat und Şehba angegriffen. Wir haben die Bevölkerung von dort evakuiert. Aktuell haben wir Kräfte in Aleppo. Es gibt Beauftragte, die zwischen beiden Seiten vermitteln. Sie führen Gespräche, um Probleme zu lösen. Die Gespräche müssen ausgeweitet werden. Unsere Delegationen müssen nach Damaskus reisen. Daran arbeiten wir. Wir sind ein Teil Syriens. Wir müssen unsere Probleme mit Damaskus lösen. Wir wollen mit allen in Damaskus Gespräche führen, selbstverständlich nicht nur mit HTS. Delegationen aus Nord- und Ostsyrien sollten nach Damaskus reisen und damit beginnen, über die Lösung der Probleme zu sprechen.“
Auf eine Frage zu der Kritik, die QSD hätten bereits zwei Monate zuvor gewusst, dass die HTS vorrücken würden und hätten keine Maßnahmen für Tel Rifat und Şehba getroffen, antwortete Abdi: „Die türkischen Vertreter trafen sich mit Russland und informierten, dass HTS angreifen würde. Die Russen kamen zu uns und baten um Hilfe. Wir sagten: ‚Wir können nichts dagegen tun, denn wir schützen uns selbst, wir haben selbst Probleme.‘ Und tatsächlich fanden diese Angriffe statt. Die Türken hatten die Wahrheit gesagt. Assad hatte einige Vorbereitungen getroffen und seine Truppen nach Idlib geschickt, um diesen Angriff zu verhindern.“ Abdi betonte, dass den QSD die Vorbereitung des Angriffs bekannt waren, dass man aber nicht erwartet hätte, dass sich die syrische Armee so schnell zurückziehen würde.
„Eine neue Phase hat begonnen“
Abdi sagte weiter: „In Syrien hat eine neue Ära begonnen. Assad hat keine politische Lösung zugelassen. Aber jetzt gibt es Versuche für eine politische Lösung. Es ist nicht klar, wie lange das dauern wird, weil es keine offizielle Ankündigung gibt. Wir kontrollieren den Osten des Euphrat, und die SNA und die HTS kontrollieren den Westen. Ein politischer Prozess wird jetzt eingeleitet. Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Vertreterinnen und Vertreter aller Teile Syriens sollten sich an diesem Prozess beteiligen. Wir wissen nicht, was in der Zukunft passieren wird, wir treffen Vorkehrungen für alles. Es ist an der Zeit, sich zu vereinen, damit wir überall unsere Rechte bekommen.“
„Die Zeit der Rückkehr ist gekommen“
Abdi fuhr fort: „Wir sind der Meinung, es ist an der Zeit, dass die Vertriebenen auf ihr eigenes Land zurückkehren. Wir sind nicht dafür, die Probleme mit Waffen zu lösen, das ist unserer Meinung nach nicht nötig. Alle sollten an ihre eigenen Orte zurückkehren. Die Menschen aus Efrîn sollten auf ihr Land zurückkehren. Die dort angesiedelten Menschen kamen nicht aus Efrîn und einige von ihnen sind bereits wieder an ihre eigenen Orte zurückgekehrt. Efrin leert sich jetzt, die Einwohner von Efrîn sollten zurückkehren. Das wird nicht von allein geschehen, sondern durch Vereinbarungen. Es ist an der Zeit, dass auch die Menschen aus Serêkaniyê und Girê Spî auf ihr Land zurückkehren. Dazu muss es Verhandlungen geben. Probleme sollten durch einen Dialog gelöst werden, nicht durch Krieg.
„Niemand sollte außen vorgelassen werden“
Vertreterinnen und Vertreter von Nord- und Ostsyrien haben an den bisherigen Verhandlungen [über eine Lösung in Syrien] nicht teilgenommen. Vierzig Prozent der Bevölkerung Syriens waren bei diesen Gesprächen nicht anwesend. Daher waren sie nicht erfolgreich. Von nun an wird es Gespräche unter der Beteiligung aller Völker Syriens geben. Das macht uns glücklich. Unser Volk ist organisiert. Es kann sich auf organisierte Weise an diesem Prozess beteiligen. Wenn es einen politischen Prozess geben soll, darf niemand ausgeschlossen werden.
„Die Türkei will eine Lösung verhindern“
Wenn wir mit den Gruppen Gespräche führen, die in Minbic gegen uns kämpfen, heißt es, wir müssten mit der Türkei reden. Ohne die Türkei können sie keine Entscheidung treffen. Die Türkei versucht, mit ihren Panzern, Kanonen und Flugzeugen eine Lösung zu verhindern. Die Bevölkerung von Syrien sollte ihre Probleme selbst lösen. Wir sind ein entscheidender Faktor in Syrien. Das muss die Türkei jetzt begreifen. Wir befinden uns auf unserem eigenen Land. Der Krieg ist jetzt überall vorbei; nur die Türkei und die von ihr unterstützten Gruppen führen weiter Krieg und schüren Konflikte. Sie stellen sich gegen eine Normalisierung. Alle sollten das jetzt sehen. Die kurdischen Parteien sollten zusammenkommen und handeln. Es darf keine Trennung geben. Wir mögen unter uns Meinungsverschiedenheiten haben, aber wir müssen nach außen hin geeint auftreten. Wir hoffen, dass auch die Kräfte in Südkurdistan einen positiven Beitrag zu diesem Prozess leisten werden.“
„Einheit ist jetzt notwendig“
Auf die Frage, ob die QSD Vereinbarungen über die internationalen Mächte getroffen haben, antwortete Abdi: „Wir müssen in dieser Hinsicht transparent sein. Bis heute hat es Angriffe auf Şehba, Tel Rifat und Minbic gegeben. Die Türkei will ihre Angriffe fortsetzen. Es wird Druck auf die Türkei ausgeübt, ihre Angriffe einzustellen, aber das bedeutet nicht, dass die Angriffe aufhören werden. Wir wissen, dass der Druck auf die Türkei stark ist. Es gibt Bemühungen um einen allgemeinen Waffenstillstand, wir führen diplomatische Initiativen durch. Es ist von einer entmilitarisierten Zone die Rede, wir sind bereit, alles zu besprechen. Die Gefahr ist noch nicht gebannt. Es gibt immer noch Drohungen. Deshalb muss unser Volk wachsam sein. Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Phase. Wir brauchen heute Einheit mehr denn je. Unser Volk muss zu seinen Kräften stehen. Wir haben schwierige Tage schon einmal erlebt und sie mit der Unterstützung unseres Volkes überwunden; wir werden sie wieder überwinden.“