Die türkische Besatzungsmacht in Efrîn hat in den vergangenen vier Jahren alles unternommen, um die Existenz der ezidischen Bevölkerung auszulöschen. Alle heiligen Stätten sind zerstört worden. Ezidinnen und Eziden wurden getötet und verschleppt, in ihren Dörfern wurden Moscheen errichtet und es wurde eine Zwangsislamisierung betrieben. Vor der Besetzung lebten etwa 25.000 Ezidinnen und Eziden in Efrîn. Heute sind es weniger als 2000. 7000 der ezidischen Vertriebenen leisten in Şehba Widerstand, um eines Tages in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Eine von ihnen ist Emira Fuat. Die 66-Jährige stammt aus dem Dorf Qibar in Efrîn und hat am 18. März 2018 ihren Sohn bei einem Angriff der türkischen Invasoren verloren. An Newroz hat sie ihn mit eigenen Händen begraben. Danach wurde ihr Mann von den Besatzungstruppen verschleppt. Bevor er gegen Lösegeld freigelassen wurde, wurde er etliche Male gefoltert. Heute lebt Emira Fuat mit ihrer Familie in Şehba. In ihren Träumen sieht sie, wie sie nach der Befreiung von Efrîn wieder in ihrem Olivenhain und im Garten arbeitet.
„Ihr seid Ungläubige, wir werden alle Eziden töten“
Die Familie ist knapp zwei Wochen vor der vollständigen Besetzung von Efrîn aufgrund der massiven Angriffe nach Şehba gegangen. Ihr Sohn Fuat kehrte von dort aus nach Efrîn zurück und kam zusammen mit seinem Cousin Abdo ums Leben, als ein Gebäude auf der Straße nach Cindirês von den Besatzern in die Luft gesprengt wurde. Als die Nachricht von ihrem Tod eintraf, fuhren Emira und ihr Mann nach Efrîn, um die Leichen zu bergen und in Qibar zu begraben.
„Drei Tage später wollten wir nach Şehba zurückkehren. Die türkischen Banden ließen uns nicht nur. Wir blieben drei Tage ohne Essen und Unterkunft in Cebel Ahlam. Dann wurden wir nach Efrîn zurückgeschickt und gingen wieder in unser Dorf. Dort waren inzwischen die Islamisten und die Türken. Zehn Tage nach unserer Rückkehr kamen sie nachts in unser Haus. Sie hielten uns Waffen an den Kopf und sagten: ,Ihr seid Ungläubige. Wir werden alle Eziden töten.' Ich sagte Suren aus dem Koran auf, um unser Leben zu retten. Sie hätten uns sonst umgebracht. Wir blieben drei Monate in Efrîn. Drei Mal wurde unser Haus überfallen und wir wurden misshandelt“, erzählt Emira.
„Bring uns 5000 Dollar, dann kriegst du deinen Mann zurück“
Als die Besatzungstruppen zum zweiten Mal in ihr Haus kamen, nahmen sie Emiras Mann mit. „Sie sagten, dass sie ihn nur befragen wollen und in einer halben Stunde zurückbringen. Nach zwei Wochen war er immer noch nicht wieder da. Ich fuhr mit meinen Geschwistern nach Efrîn, um die Türken zu fragen. Ein Türke sagte: ,Bring in drei Tagen 5000 Dollar her, dann kriegst du deinen Mann zurück.' Ich kehrte um und rief in Şehba und viele weitere Stellen an. Letztendlich bekam ich das Geld zusammen. Damit ging ich zu ihnen. Sie nahmen das Geld und ließen meinen Mann am selben Tag frei. Sie hatten ihm seinen Ausweis und sein ganzes Geld abgenommen und ihn gefoltert. Sein Fuß war gebrochen und sein Rücken war voller Hämatome.“
Zwei oder drei Tage später drangen die Islamisten erneut in ihr Haus ein und brachten das Ehepaar in das Haus eines ezidischen Bekannten: „Sie brachten uns in das Haus von Mahmut Keleş. In dem Haus war alles verwüstet. Die heiligen Bücher der Eziden und weitere Gegenstände hatten sie in den Garten geworfen und waren darauf herumgetrampelt. Sie hielten uns wieder Waffen an den Kopf und sagten, dass wir Ungläubige sind und sie uns töten werden.“
Emire und ihr Mann wurden wieder freigelassen und nach drei Tagen erneut verschleppt: „Dieses Mal brachten sie uns zu einem anderen Bekannten von uns, Esad. Dort waren drei Männer mit gefesselten Händen und verbundenen Augen. Sie wurden geschlagen. Um uns zu retten, sagte ich wieder, dass wir zwar Eziden sind, uns aber an den Koran halten. Ich musste wieder Suren aufsagen.“
„Ich habe nur einen einzigen Wunsch“
Als Emira und ihr Mann in ihr Dorf zurückkamen, war ihr Haus von den Besatzern geplündert worden. Nach drei Monaten gelang es dem Ehepaar, aus der Besatzungszone zu entkommen. Um nach Şehba durchgelassen zu werden, zahlten sie Erdogans Dschihadisten 600.000 syrische Lira. Emira Fuat sagt: „Das Geschehen in Efrîn ist grauenvoll. Unter der Besatzung ist kein Leben mehr möglich und die Eziden werden besonders grausam unterdrückt. Ich habe nur den einzigen Wunsch, dass die Türken und ihre Banden aus Efrîn verschwinden. Wir wollen in unsere Heimat zurückkehren.“