HRW: Türkische Angriffe verschlimmern humanitäre Krise in Syrien

Human Rights Watch stellt in einem Untersuchungsbericht über die türkischen Angriffe auf die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien fest, dass sich die bereits katastrophale humanitäre Lage weiter verschlimmert hat.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die aktuelle Lage in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien nach der jüngsten Angriffswelle der Türkei untersucht und mit Betroffenen in Kobanê, Qamişlo, Dêrik und Cilaxa sowie mit internationalen Hilfsorganisationen gesprochen. Als Fazit stellt HRW fest: „Die türkischen Luftangriffe seit dem 20. November 2022 fügen dicht besiedelten Gebieten und kritischer Infrastruktur im Norden und Nordosten Syriens Schaden zu und verschlimmern eine bereits katastrophale humanitäre Krise für kurdische, arabische und andere Gemeinschaften in der Region.“

Die Angriffe hätten zur Vertreibung von Familien und zu erheblichen Stromausfällen und Treibstoffmangel geführt. Hilfsorganisationen hätten ihre Aktivitäten vorübergehend eingestellt und es sei zu Unterbrechungen in Schulen und bei der Arbeit gekommen. Das NGO-Forum North East Syria, das führende Koordinierungsgremium für Nichtregierungsorganisationen in der Autonomieregion, habe bereits am 25. November vor den Schäden gewarnt, die der Angriff auf die Energieinfrastruktur für die Umwelt und die aktuelle Wasserkrise in der Region haben könnte.

„Die Angriffe der Türkei auf bewohnte Gebiete und kritische Infrastruktur im Norden und Nordosten Syriens gefährden die Grundrechte der Zivilbevölkerung weiter", sagte Adam Coogle, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch, am Mittwoch. „Die Syrer leiden bereits unter einer humanitären Katastrophe, einer wachsenden Vertreibungskrise und einer Wirtschaft im freien Fall. Die Militärschläge der Türkei bergen die Gefahr, dass sich die ohnehin schon unerträgliche Situation für kurdische, arabische und andere Bevölkerungsgruppen weiter verschlimmert."

HRW weist darauf hin, dass die PKK und die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) - „die wichtigste Bodentruppe im Kampf gegen den IS im Nordosten Syriens - eine Beteiligung an dem Bombenanschlag am 13. November in Istanbul bestritten haben. „Zum dritten Mal im Jahr 2022 droht Erdoğan auch mit einer Bodeninvasion in die von den QSD kontrollierten Gebiete. Dies wäre der vierte Einmarsch der Türkei in Nordsyrien seit 2016. Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen“, heißt es in dem Bericht.

Bei den türkischen Luftangriffen seien ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilist:innen und Hilfsorganisationen genutzte Straße getroffen worden. Die Türkei habe auch Luftangriffe im Nordirak durchgeführt, die nach eigenen Angaben auf Stellungen der PKK abzielten.

Weiter berichtet Human Rights Watch, dass nach dem türkischen Luftangriff am 23. November auf die Sicherheitskräfte im Internierungslager Hol für IS-Angehörige, bei dem acht QSD-Kämpfer getötet wurden, Hilfsorganisationen ihre Dienste zeitweise ausgesetzt oder reduziert haben.

„Die Türkei kann und sollte sicherstellen, dass ihre Militäraktionen die humanitäre Krise und die Vertreibung im Nordosten Syriens nicht weiter verschlimmern. Die internationalen Verbündeten der Türkei sollten Druck auf die Regierung ausüben, um sicherzustellen, dass ihre Operation nicht die Grundrechte der Syrer gefährdet", fordert HRW-Direktor Adam Coogle.