Großdemonstrationen zum Jahrestag der Erstürmung von Sina

In vielen Städten Nord- und Ostsyriens waren zahlreiche Menschen anlässlich des Jahrestags der versuchten Erstürmung des Sina-Gefängnisses in Hesekê auf der Straße. Ihre zentrale Forderung war die Lösung der Frage der inhaftierten und IS-Gefangenen.

Zum Jahrestag des Angriffs der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) auf ein Haftzentrum in Hesekê hat es am Donnerstag in mehreren Städten des Autonomiegebiets von Nord- und Ostsyrien (AANES) Demonstration gegeben. Die beiden größten Protestveranstaltungen fanden in Qamişlo und in Hesekê statt. Tausende Menschen beteiligten sich, darunter viele Angehörige von Gefallenen. Die zentrale Forderung war die Lösung der Frage der IS-Gefangenen.

Vor einem Jahr, am 20. Januar 2022, versuchte der sogenannte IS, das Sina-Gefängnis zu erstürmen, die dort gefangenen IS-Dschihadisten zu befreien und sein zerschlagenes Kalifat wieder zu errichten. Etwa 5.000 Mitglieder, darunter auch rund 800 jugendliche Anhänger der Dschihadistenmiliz, waren zum Zeitpunkt des Angriffs in Sina inhaftiert. In einem blutigen und verlustreichen Kampf gelang es den Demokratischen Kräften Syriens (QSD), den von der Türkei unterstützten Angriff gemeinsam mit der Sicherheitsbehörde der AANES zu vereiteln. Dabei kamen 121 Menschen ums Leben – neben 40 Kämpferinnen und Kämpfern der QSD sowie vier Zivilpersonen, die bei den siebentägigen Kämpfen außerhalb des Gefängnisses getötet wurden, auch 77 Wachleute und andere Angehörige des Gefängnispersonals, die in der Haftanstalt vom IS ermordet wurden. Die Zahl der getöteten IS-Terroristen lag bei 374.

Transparent mit den Konterfeis der Gefallenen des IS-Angriffs in Hesekê vor einem Jahr

Für die Demonstration in Qamişlo waren auch viele Menschen von außerhalb angereist, unter anderem aus den Städten Til Hemîs, Til Birak, Amûdê und Tirbespiyê. Cewahir Osman vom Angehörigenrat der Gefallenen für die Cizîrê-Region würdigte den Einsatz der nordostsyrischen Sicherheitskräfte bei der Abwehr des „bisher größten Versuchs des IS, sein Kalifat wiederherzustellen“ seit der Zerschlagung vor vier Jahren. „Sie sind Schulter an Schulter mit ihrem Leben für die Unversehrtheit unserer gesamten Gesellschaft und der Revolution eingetreten. Sie haben nicht nur Hesekê tagelang gegen den Angriff der blutrünstigen IS-Verbrecher geschützt, sondern ganz Rojava verteidigt. Ihnen und den Gefallenen sind wir auf ewig zu Dank verpflichtet“, sagte Osman.

Die Demonstrationen heute richteten sich gleichzeitig gegen die andauernde Besatzung von Efrîn, deren Ende eingefordert wurde. Am 20. Januar 2018 hat die Türkei gemeinsam mit islamistischen Söldnern einen Angriffskrieg auf den ehemaligen Kanton begonnen. Die türkische Luftwaffe setzte gleich zu Beginn 72 Kampfjets ein, um die für ihre Olivenbäume bekannte Region zu besetzen. Die Bevölkerung leistete 58 Tage Widerstand, mindestens 1500 Menschen kamen in dieser Zeit ums Leben. | Foto: Eine Frau in Hesekê trägt einen Olivenzweig als Friedenssymbol auf dem Kopf


Kritisch äußerte sich die Aktivistin angesichts der noch immer ungelösten Frage der tausenden IS-Gefangenen und ihrer internierten Angehörigen. Etwas mehr als 12.000 „Kämpfer“ der Dschihadistenmiliz aus dutzenden Ländern befinden sich weiterhin in den Gefängnissen der AANES, hinzu kommen um die 50.000 Familienmitglieder, die in verschiedenen Camps untergebracht sind. Unter ihnen befinden sich auch zahlreiche Dschihadisten aus dem westlichen Ausland. Die Selbstverwaltung fordert ihre Herkunftsländer schon seit Jahren zur Rückführung auf. Doch nur die wenigsten Staaten waren bisher bereit, für ihre Bürgerinnen und Bürger zu haften. Die meisten Regierungen entziehen sich systematisch ihrer Verantwortung, obwohl es in den Gebieten der AANES nicht die Möglichkeit gibt, ausländische Terroristen und ihre Unterstützenden juristisch zu verfolgen. Zurückgeholt werden in der Regel auch nur Frauen und Kinder von Dschihadisten.

Demonstration in Hesekê

„Die internationale Staatengemeinschaft darf das IS-Problem aber nicht länger auf die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien abwälzen, sondern muss Verantwortung übernehmen und mit den lokalen Kräften zusammenarbeiten“, forderte Osman. „Da das allerdings auch bedeuten würde, die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens anzuerkennen und ihre Arbeit zu würdigen, scheitern wir mit unserer Forderung.“. Der Angehörigenrat von Gefallenen aus der Cizîrê setzt sich daher für die Einrichtung eines internationalen Tribunals ein, damit Dschihadisten dort zur Rechenschaft gezogen und abgeurteilt werden, wo sie ihre Verbrechen begangen haben. Es sei schließlich auch ein menschenrechtliches Problem, Personen – auch wenn sie IS-Terroristen sind oder waren – einfach jahrelang ohne Prozess zu inhaftieren. „Unterstützung für unser Anliegen gibt es leider nicht.“