GfbV veruteilt Angriffe und neue Kriegsdrohungen gegen Rojava

Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat die jüngsten Drohnenangriffe der Türkei gegen Nord- und Ostsyrien und neue Kriegsdrohungen verurteilt. Für Erdoğan seien Kurdinnen und Kurden „Kriminelle und Terroristen”.

Staatsterror gegen Nord- und Ostsyrien

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat die jüngsten Angriffe und Drohungen der Türkei gegen die Bevölkerung Nord- und Ostsyriens verurteilt. GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido erklärte am Dienstag in Göttingen, die Drohnenattacken von letzter Woche stellten einen „direkten Angriff“ auf die Bemühungen der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) dar, die Lage in der kriegszerstörten Region zu stabilisieren.

Am 11. Juni werden in dem auch als Rojava bekannten Autonomiegebiet Kommunalwahlen abgehalten. Die rund drei Millionen Wahlberechtigten sollen über die Ko-Vorsitzenden in 121 Gemeinden abstimmen. Sido sieht in dem Vorhaben den Willen der DAANES, die Gebiete in ihrem Einflussbereich weiter zu demokratisieren. Die Türkei und die von ihr kontrollierten Dschihadistenmilizen sowie das Assad-Regime, Iran und Russland dagegen sähen in diesem Schritt eine Gefahr für die „territoriale Integrität“ Syriens. „In Wirklichkeit wollen sie eine Demokratisierung und den Aufbau föderaler Strukturen mit allen Mitteln verhindern“, sagt der Menschenrechtler.

Die türkische Armee hatte am vergangenen Freitag eine Reihe von Drohnenangriffen auf militärische Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), zivile Einrichtungen und Fahrzeuge im Umland von Qamişlo verübt. Bei diesen Angriffen sind vier Kämpfer der QSD getötet und elf Zivilpersonen verletzt worden. Auch eine Ambulanz der kurdischen Rothalbmondorganisation Heyva Sor a Kurd wurde von den fliegenden Tötungsmaschinen der Türkei gezielt ins Visier genommen. Der türkische Staat verfolgt schon länger die perfide Taktik, nach ersten Bombardements zeitversetzte Angriffe zu verüben, um gezielt die Menschen zu treffen, die am Ort des Geschehens eintreffen, um den vom ersten Angriff Betroffenen zu helfen. Nach dem humanitären Völkerrecht handelt es sich hierbei um Kriegsverbrechen.

Einen Tag vor diesen Angriffen hatte der türkische Regimechef Recep Tayyip Erdoğan der Bevölkerung von Nord- und Ostsyrien mit neuen Angriffen und einer weiteren Invasion gedroht. „Wir beobachten die aggressiven Aktionen gegen die territoriale Integrität unseres Landes und Syriens unter dem Vorwand einer öffentlichen Abstimmung durch die Terrororganisation genau. Die Türkei wird niemals zulassen, dass eine Separatistengruppe direkt an unseren südlichen Grenzen in Nordsyrien und im Irak ein „Terroristan“ gründet“, sagte Erdogan am 30. Mai in der westtürkischen Stadt Izmir, wo er eine Militärübung beobachtete. Sido kritisierte die Drohungen: „Für das Regime Erdoğans, das islamistische Gruppierungen wie die Hamas, die Taliban, den IS oder die Muslimbrüder unterstützt oder duldet, sind Kurden und andere Volksgruppen in Nordsyrien, die ihre Gebiete vor dem Islamischen Staat (IS) und anderen radikalislamischen Gruppierungen schützen, Kriminelle und Terroristen.“

Ignorierte Besetzung

Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung startete die Türkei mit Duldung und Unterstützung Russlands und der NATO mehrere völkerrechtswidrige Militärinterventionen in Nordsyrien und besetzte unter anderem die mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden bewohnten Regionen Efrîn (Afrin) im Jahr 2018 und Serêkaniyê (Ras al-Ain) im Jahr 2019. Tausende Menschen, darunter Angehörige der ezidischen, alevitischen und christlichen Religionsgemeinschaften, wurden getötet und Hunderttausende vertrieben. In den besetzten Gebieten wurde eine türkische Besatzungsmacht installiert, die sich auf radikal-islamistische Strukturen stützt. Diese Strukturen sind für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich.

Titelfoto: Protest in Stuttgart gegen den Staatsbesuch Erdoğans in Deutschland, September 2018 (c) ANF