Geldtransfer des IS unter türkischer Aufsicht

Nach Aussagen eines in Nordsyrien gefangenen IS-Dschihadisten fanden die internationalen Geldtransfers des IS seit 2017 unter Aufsicht des türkischen Geheimdienstes MIT statt.

Die Aussagen gefangener Dschihadisten bringen immer neue Details der Verstrickung des türkischen Staats in die Machenschaften des IS ans Licht. Der von den QSD gefangengenommene Dschihadist und Menschenhändler Shahab Ahmed Abdullatif hat sich gegenüber ANF zu Geldtransfers des IS von Deir ez-Zor in die Türkei sowie nach Europa und in die Golfstaaten geäußert. Diese Geldtransfers fanden demnach seit Anfang 2017 unter der Aufsicht der türkischen Polizei und des Geheimdienstes MIT statt.

Shahab Ahmed al-Abdullatif, Jahrgang 1984, stammt aus der ostsyrischen Stadt Hajin. Er lebte eine Weile im Libanon und kehrte zurück nach Hajin, als die sogenannte FSA die Provinz übernahm. Nach seiner Rückkehr schmuggelte er Öl und Treibstoff zwischen Hajin und dem vom Regime kontrollierten Territorium. Ab 2015 reiste er in die Türkei. Er nutzte den Weg von Hajin nach Mayadin, dann nach Raqqa, von dort nach al-Bab, Azaz und dann nach Riha (Urfa). Er berichtet, er sei mehrere Monate arbeitslos gewesen. Dann begann er, Menschen von Syrien in die Türkei und umgekehrt mit einem von ihm in Riha gemieteten Fahrzeug zu schmuggeln. Er brachte IS-Mitglieder über die syrisch-türkische Grenze und besorgte vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen und Ausweispapiere für Zivilisten und IS-Mitglieder, die aus Syrien in die Türkei einreisten. Dazu arrangierte er sich mit türkischen Beamten. Ab 2017 schmuggelte er Gelder für IS-Mitglieder von Deir ez-Zor, Hajin, al-Soussa und anderen Orten unter IS-Herrschaft in die Türkei und von der Türkei nach Europa und in die Golfstaaten. Er brachte auch Gelder auf umgekehrtem Wege. Mit seinen syrischen Partnern schmuggelte er vom IS gefangene Ezidinnen in die Türkei, um sie dort für einen höheren Preis zu verkaufen. Zwischen 2015 und dem 23. Juni 2018 setzte er diese verbrecherische Tätigkeit fort. An diesem Tag wurde er in Hesice bei Hesekê von den QSD gefangengenommen, nur wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Syrien.

Dokumente auf Abdullatifs Telefon beweisen seine Tätigkeiten und Verbindungen, sie liefern auch Details zu einigen seiner Konten. Es liegen bisher keine Belege über eine IS-Mitgliedschaft vor. Allerdings sind seine Schmuggeltätigkeiten ab 2015 von Syrien in die Türkei und umgekehrt deutlich belegt. Er ist in dieser Hinsicht auch geständig. Verwandte beim IS hat er nach eigenen Angaben nicht.. Auf die Frage, warum er dennoch ein solches Vertrauen beim IS genossen hat, sagte er: „Die einzige Verbindung zwischen uns war das Geld. Sie wollten in die Türkei einreisen. Es war zu ihrem Vorteil. Und ich brachte sie in die Türkei.“

Beginn des Geldschmuggels

Abdullatif sagte, er habe mit dem Transfer von Geld angefangen, als das Schleppergeschäft 2017 zum Erliegen kam. Er eröffnete extra dafür ein Geschäft. Bei dem Laden, den er mit einem Verwandten eröffnete, handelte es sich zunächst um ein Parfüm- und Silbergeschäft. Weil dies allerdings im IS verboten war, machte er daraus eine Wechselstube. Abdullatif und seine Partner begannen, Gelder für IS-Mitglieder durch den Shop zu überweisen. Shahab erzählt: „Mein Laden hieß al-Beyan in Urfa. Es gab einen anderen Laden in Hajin namens al-Tabarej. Das Geld wurde durch meinen Verwandten dort transferiert. Wenn sein Telefon ausgeschaltet war, riefen mich die Leute, die Geld überweisen wollten, direkt an. Es kam Geld über meine Partner in Deutschland, Frankreich, Schweden, Belgien, Großbritannien und anderen Ländern. Ich schickte das Geld über meine Partner in Hajin und Deir ez-Zor an den IS.“

Auf Abdullatifs Mobiltelefon gibt es viele Anrufe, Fotos und andere Beweise für diese Geldtransfers. Die Personen, die Abdullatif bitten, ihr Geld zu überweisen oder in andere Länder zu schmuggeln, sind als „ISIS 1, ISIS 2, ISIS 3“ auf seinem Telefon gespeichert.

An der Verschleppung von Frauen beteiligt

Abdullatif berichtet von einem Treffen mit seinen Partnern Abdul al-Mustafa (Abu-Sudscha) und Omar Mohammed Qadir in seinem Laden in Riha: „Sie kamen zu mir. Sie wollten Geld nach Hajin schicken. Später riefen sie erneut an und sagten, es gäbe noch ein anderes Thema zu besprechen. Sie kamen nach dem Anruf wieder in den Laden. Es sollten ezidische Frauen aus Syrien in die Türkei geschmuggelt werden. Wir haben uns mit Abu-Sudscha auf einen Betrag geeinigt. Ich habe zwei ezidische Frauen von Deir ez-Zor bis Tell Abyad gebracht. Von dort sollte sie ein anderer Schmuggler übernehmen. Aber die QSD hatten ihn erwischt. Ich war nur das Mittel, um die ezidischen Frauen in die Türkei zu bringen. Ich habe später erfahren, dass diese Frauen für viel mehr Geld in der Türkei verkauft werden sollten. Ich war nur ein Werkzeug, aber als der Schmuggel der Frauen aufgeflogen war, drohte mir Abu-Sudscha. Er sagte: ‚Du hast uns verraten, du hast dafür gesorgt, dass sie erwischt werden. Wir haben soviel Geld da hineingesteckt.‘ Er verlangte 40.000 Dollar von mir. Abu-Sudscha sagte, dass die Familien der Frauen in der Türkei seien, aber dann erfuhr ich, dass dies nicht der Fall war und er plante, sie zu einem höheren Preis zu verkaufen. Omar sagte mir, dass Abu-Sudscha für den MIT arbeitete. Abu-Sudscha bedrohte mich immer wieder und sagte mir, er würde mich verraten, wenn ich ihn nicht bezahle sollte."

Erst Beziehung zur Polizei, dann zum MIT

Abdullatif stand in Verbindung mit der seit dem Winter im Erweiterungsbau der Polizeidirektion Karaköprü arbeitenden Antiterroreinheit der Polizei und später dann auch mit dem MIT. Er führte seine Geldtransfers für den IS zunächst unter Kontrolle der Antiterrorpolizei und dann des MIT durch. Er berichtet, dass er zuerst auch von der Antiterrorpolizei damit beauftragt wurde, IS-Dschihadisten aus Syrien in die Türkei zu bringen, später tat er dies dann auf Anweisung des MIT. Wie seine Verbindung zu Polizei und Geheimdienst zustande kam, erklärt er so: „Kurz nachdem Abu-Sudscha mich bedroht hatte, kamen zwei Zivilbeamte der Anti-Terror-Einheit in meinen Laden. Sie sagten: ‚Du arbeitest für den IS und transferierst Geld. Mach deine Arbeit hier fertig und dann kommst du mit uns ins Hauptquartier.‘ Sie brachten mich dorthin, es war in Urfa-Karaköprü, in der Nähe des Busbahnhofs. Ich kann Türkisch nicht lesen, aber es gab ein Polizeilogo. Die Männer, die mich dorthin brachten, waren zivil gekleidet. Deswegen bezeichnen wir Syrer sie unter uns als Geheimdienst. Ein weiterer Verwandter von mir wurde später geschnappt und wir erfuhren, dass er ebenfalls ins Hauptquartier der Anti-Terror-Einheit gebracht wurde.“

Bei dem Ort, von dem Abdullatif hier spricht, handelt es sich um den Erweiterungsbau der Polizeidirektion von Karaköprü, in dem die Anti-Terror-Einheit untergebracht ist.

Kooperation oder Haft und Abschiebung

Shahab Ahmed al-Abdullatif erinnert sich: „Dort bedrohte mich der Geheimdienst. Ich sollte ihnen sagen, auf welche Weise ich mit dem IS arbeite und auf welchem Weg ich Geld geschickt hätte. Sie fragten mich auch nach anderen Dingen. Sie haben mir drei Alternativen aufgezeigt: Entweder die Türkei verlassen, inhaftiert werden oder mit ihnen arbeiten. Ich entschied mich, mit ihnen zu arbeiten. So begann ich, mit der Polizei und dem Geheimdienst zu kooperieren. Ich gab ihnen die Namen und Beträge für das ganze Geld, das nach Hajin geschickt wurde und über das Geld, welches aus Hajin ins Ausland geschickt wurde.“

Abu-Sudscha soll ebenfalls MIT-Agent gewesen sein

Abdullatif berichtet über ein zweites Treffen mit der Anti-Terroreinheit: „Ich traf den Geheimdienst zum zweiten Mal in einem Café im Hotel Nevali. Ich sagte ihnen, dass ein Transport beim Schmuggel von Ezidinnen in die Türkei aufgeflogen sei und dass Abu Sudscha mich mit dem MIT bedrohe. Seine Behauptungen seien nichts als Lügen. Es waren zwei Agenten, einer davon war türkisch und der andere sprach gut Arabisch. Er sagte, sein Name sei Abu Ahmed Shaebi und er sei ein Araber aus Adana. Mir wurde gesagt, dass Abu Sudscha für den MIT arbeitet.“

Geldfluss zum IS wurde nicht gestoppt

Abdullatif weiter: „Sie sagten mir, ich solle sie sofort informieren, wenn IS-Mitglieder Geld schickten und ihnen ihre Namen und Telefonnummern übermitteln. Sie sagten, es sei in Ordnung, dass ich das Geld weiterleitete, nachdem ich ihre Namen weitergegeben hatte. Alle zwei Tage kamen sie in Zivil in mein Geschäft. Ich gab ihnen Listen darüber, wer das Geld von Hajin, al-Soussa, Shafa und al-Baghouz in die Türkei geschickt hatte. Darüber hinaus gab ich ihnen die Adressaten, ihre Telefonnummern und alles, was ich hatte. Ich gab ihnen die Nummern und Namen, wenn Geld aus Europa an IS-Mitglieder in der Türkei oder Hajin über mich geschickt wurde.

Das Geld kam aus Schweden, Belgien, England, Frankreich und anderen Ländern. Ich habe den Geheimdienst immer sofort benachrichtigt und sie sagten dann, ich solle das Geld in zwei bis drei Tagen übergeben. Das Geld kam von IS-Mitgliedern und ging an IS-Mitglieder. Die Polizei wusste das, sie hat aber niemals eingegriffen.

Der Geheimdienst fasste sie nicht an

Abdullatif berichtet, dass nur zwei IS-Mitglieder verhaftet worden seien, obwohl er die Polizei über jeden informiert habe: „Von diesen beiden weiß ich genau, dass einer sofort nach seiner Gefangennahme freigelassen wurde. Er war im Ausland geboren. Ein IS-Mitglied in Hajin rief mich eine Weile nach seiner Gefangennahme an und bat mich, ihn zu kontaktieren."

Die einzige Person, die aufgrund der Informationen, die er zur Verfügung stellte, gefasst wurde, sei der türkische Schreibtisch-Emir Ömer Yetek (Abu Yusuf) aus dem sogenannten Medienministerium des IS gewesen: „Zu dieser Zeit, bei meinem zweiten Treffen mit dem Geheimdienst im Hotelcafé Nevali, kam ein Geldtransfer aus Hajin für ein türkisches IS-Mitglied in Ankara. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, es waren über 10.000 Dollar. Ich sagte es dem Geheimdienst sofort. Dann gingen Abu-Sudscha und Ömer Abdulkadir nach Ankara, um das Geld zu übergeben. Nach dem, was sie mir sagten, beobachtete der Geheimdienst das Treffen aus der Ferne, griff aber nicht ein. Sie haben ihn erst später gefangengenommen. Das kam auch im Fernsehen. Aber ich weiß nicht, was sie danach mit ihm gemacht haben, ob sie ihn verhaftet haben oder nicht."

Informationen Abdullatifs passen

Abdullatifs Aussagen wurden mit denen verglichen, die das Innenministerium in den Medien veröffentlichte. Türkische Medien berichteten, dass Ömer Yetek Anfang Februar 2018 von der Anti-Terror-Einheit der Polizei in Ankara festgenommen worden ist. Viele IS-Mitglieder aus Hajin sagen jetzt jedoch aus, dass der türkische Staat Ömer Yetek später wieder freigelassen hat. Es gibt auch andere, die behaupten, dass die Nachrichtendienste das IS-Mitglied Yetek unter ihren Schutz gestellt haben. Obwohl über die ‚Gefangennahme‘ des IS-Kaders Yetek berichtet wurde, gibt es kein einziges Foto von ihm. Dies untermauert den Verdacht, dass er vom Geheimdienst auf freien Fuß gesetzt wurde.

Die anderen Mitglieder des Netzwerks

Shahab Ahmed al-Abdullatif hatte syrische Partner, die mit der Polizei und dem MIT zusammenarbeiten und die ganze Drecksarbeit erledigen. Einer von ihnen war der aus Raqqa stammende Omar Qadir Muhammed. Sein in Urfa vom Gouverneursamt ausgestellter vorläufiger Ausweis wurde am 24. Juli 2014 registriert. Abdullatif berichtet, dass Omar Qadir Muhammed sich bei seiner Festnahme noch in Urfa aufgehalten habe. Ein weiterer seiner Komplizen ist Ibrahim al-Mustafa aus Kasrah in Deir ez-Zor. Sein vorläufiger Ausweis ist am 11. Mai 2015 in Urfa registriert und ausgestellt worden. Auch er lebte noch in Urfa, als Abdullatif von den QSD gefangengenommen wurde.