Vier Jahre Drohnenkrieg gegen Rojava
Es ist der 23. Juni 2020, ein ruhiger Dienstagabend in Kobanê. Zehra Berkel und Hebûn Mela Xelîl, zwei Vertreterinnen der Frauenbewegung Kongra Star, sind im Haus von Amina Waysî zu Gast. Die drei Frauen unterhalten sich über laufende Projekte des Dachverbands – Frauenbefreiung gehört zu den zentralen Paradigmen der Revolution von Rojava. Gegen 19:30 Uhr endet der Dialog abrupt. Der Innenhof des Hauses wird von einer Kamikazedrohne bombardiert. Zehra Berkel, Hebûn Mela Xelîl und Amina Waysî sind auf der Stelle tot.
Dieser Angriff in Helîncê, ein Vorort am Rande des südöstlich von Kobanê gelegenen Miştenûr-Hügels, der beim Kampf gegen den IS eine strategische Bedeutung hatte, war der offizielle Auftakt des türkischen Drohnenkrieges gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien. Offiziell, da Ankara schon bei seinem Besatzungskrieg auf Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) fliegende Tötungsmaschinen eingesetzt hatte. Doch das „Massaker von Helîncê“ markierte den Anfang einer äußerst blutigen Kampagne der Türkei, die sich bis heute erhalten hat.
Kerzen für die getöteten Frauen: Die Gedenkfeier im Baqî-Xido-Kulturzentrum war emotional und kämpferisch zugleich (c) ANHA
Seit der Ermordung der drei Aktivistinnen der Frauenrevolution erschütterten Hunderte weitere Angriffe türkischer Kampfdrohnen die selbstverwalteten Gebiete in Syrien. Laut dem Rojava Information Center gab es allein im Jahr 2023 mindestens 198 Angriffe mit 105 Toten und 123 Verletzten. Auch in diesem Jahr scheint sich diese Tendenz – über hundert Drohnenschläge wurden seit Januar registriert; mindestens 28 Menschen sind getötet worden – weiter fortzuführen. Die sogenannte westliche Wertegemeinschaft, die noch auf Jugoslawien Bomben werfen ließ, um angeblich die Menschenrechte zu schützen, billigt durch ihr Schweigen das brutale Vorgehen des türkischen Staates in Rojava und macht sich zu einem Komplizen Erdoğans.
Eine Schweigeminute für die Gefallenen und Ermordeten
„Die gezielte Tötung von Schlüsselfiguren aus der Gesellschaft, Politik, Militär und Kultur durch Drohnen ist Teil der türkischen Kriegsstrategie in unseren Regionen“, sagte Zozan Bekir, Mitglied der Koordination der Kongra Star, auf einer Gedenkveranstaltung für Zehra Berkel, Hebûn Mela Xelîl und Amina Waysî am Sonntag in Kobanê. Dass die Killermaschinen Frauen besonders häufig treffen, liege an der Furcht des türkischen Regimes vor freien Frauen. „Dieser Drohnenkrieg gilt der „Jin Jiyan Azadî“-Philosophie der kurdischen Frauenbewegung. Denn diese Losung symbolisiert die Grundpfeiler des Paradigmas, das wir hier in Nord- und Ostsyrien leben: Radikaldemokratie, gerechte Ökologie und Feminismus.“ Werte, die im Widerspruch zum Dasein des blutrünstigen Tyrannen vom Bosporus stehen, der eine Politik betreibt, die darauf basiert, die eigene Existenz über die Ermordung von Kurdinnen und Kurden zu sichern.
Zozan Bekir
Neben den Präzisionsschlägen gegen Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Verteidigung reihen sich in den völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg der Türkei seit einiger Zeit wiederholte Luftangriffswellen ein. Erstmals im November 2022 sowie im Oktober und Dezember 2023 und schließlich im Januar 2024 wurde durch flächendeckenden Terror aus der Luft wichtige Infrastruktur beschädigt oder vollständig zerstört. Ob Gas-, Öl- oder Stromversorgung, Fabriken und Lagerstätten oder Krankenhäuser – kaum eine lebensnotwendige Einrichtung blieb verschont.
Mele Xelîl, Vater von Hebûn Mela Xelîl
Mele Xelîl, Vater von Hebûn Mela Xelîl, sagte: „Menschlich wäre, dass die internationale Gemeinschaft nicht unberührt vom Leid der Bevölkerung Nord- und Ostsyriens bliebe und die Urheber dieser Verbrechen nicht durch ihr Schweigen ermutigen würde. Doch wie wir bereits seit Jahren immer wieder feststellen müssen: Das Leid des einen ist die Opportunität des anderen. Wir sind heute beieinander, weil uns die Ideale und die Philosophie von Abdullah Öcalan den Weg zu unserer Revolution und den erkämpften Errungenschaften geebnet haben. Diesem Weg und den Gefallenen unserer Werte gilt unsere Verbundenheit. Wir brauchen niemandes Hilfe, denn wir haben eine immense Stärke. Wir haben die Kraft des Glaubens an uns selbst.“