Folterhaft in Serêkaniyê: „Ich habe den Tod herbeigesehnt“

Die Nachrichtenagentur ANHA veröffentlicht einen Bericht über schwere Folter in Haft der protürkischen Söldnertruppen in Serêkaniyê und von Elektroschocks unter Leitung des MIT.

In den türkisch besetzten Gebieten in Nord- und Ostsyrien herrscht ein Terrorregime unter der Regie des türkischen Geheimdienstes MIT. Folter, Verschleppungen und Verschwindenlassen sind an der Tagesordnung. Die Nachrichtenagentur ANHA spricht mit zwei Überlebenden einer Verschleppung durch den MIT.

Inhaftiert wegen angeblicher QSD-Unterstützung

Abdulaziz al-Ali stammt aus Tell Hemam. Er versuchte im März dieses Jahres, mit Hilfe eines Schleppers über das besetzte Serêkaniyê nach Europa zu gelangen. Er berichtet: „Als ich die Schnellstraße M4 überquerte, wurde ich von Abu Yasen al-Mashhadani, einem Kommandanten der Furqat-al-Hamzat-Gruppe, in eine Falle gelockt. Er stahl mir 2.300.000 syrische Lira. Zuerst nahmen sie mein Geld, und als wir sie baten, uns in die Türkei zu lassen, sagte uns al-Mashhadani, er würde uns der Militärpolizei ausliefern. Man warf uns in den unterirdischen Kerker einer Basis von al-Hamzat und drohten, wir seien Spione der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD).“ Al-Ali gibt an, dass er auf Befehl von zwei Türken gefoltert worden sei und berichtet von täglicher Folter am sogenannten „Palästinenserhaken“. Er sollte zu „zugeben“, für die QSD oder das Regime zu arbeiten.

Krätze verbreitete sich unter den Gefangenen


Al-Ali berichtet, dass er aufgrund der Folter nicht mehr laufen konnte und sich auf dem Bauch kriechend fortbewegte. Er erinnert sich: „Ich war sechs Monate lang im Kerker von al-Hamzat. Ich und die meisten anderen Gefangenen waren mit Krätze infiziert. Wir baten sie, uns zur Behandlung zu bringen oder uns Medikamente zu geben, aber sie verlangten Geld von uns. Sie hatten uns aber bereits all unser Geld genommen.“ Er berichtet, dass die Zelle nur 16 Quadratmeter groß gewesen sei, sich darin aber 51 Menschen befunden hätten. Die Zelle sei sehr schmutzig gewesen: „Wir waren 51 Personen im Kerker und bekamen jeden Tag ungesalzene Nudeln zu essen. Wir haben in Schichten geschlafen. Einige von uns hielten Wache, andere schliefen.“ Viele der Gefangenen seien Menschen gewesen, die die Grenze zur Türkei zu überqueren versucht hätten: „Die Kerker dort sind voll von Menschen die versuchten, in die Türkei zu gelangen. Die Söldner stehlen ihr Geld und übergeben sie an die Militärpolizei. Dann beschuldigen sie sie und zwingen sie durch Folter zu einem Geständnis. So war es auch bei uns. In diesen Kerkern gibt es keine Gnade."

Ohne Lösegeld keine Freilassung

Nach sechsmonatiger Haft wurde er vor ein sogenanntes Gericht gestellt. Angehörige zahlten ein Lösegeld von 3.500 Dollar, um seine Freilassung zu erwirken. Al-Ali erklärt: „Jeder, der in die Türkei zu gelangen versucht, wird verhaftet und sein Geld wird konfisziert. Mein Rat an die jungen Leute ist, auch wenn sie hungrig sind, in ihrem eigenen Land zu bleiben und nicht in die vom türkischen Staat besetzten Gebiete zu gehen.“ Al-Ali appellierte an die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen, die Lage der Inhaftierten in Serêkaniyê zu untersuchen.

Fabrizierte Anklageschriften


Adnan Mihemed war mit al-Ali unterwegs. Er stammt aus Serêkaniyê und war bedroht worden, die Region zu verlassen. Deshalb entschloss er sich zur Flucht. Er berichtet: „Als ich die Schnellstraße M4 erreichte, traf ich al-Ali, wir unterhielten uns etwa eine halbe Stunde. Dann wurden wir von al-Mashhadani verschleppt. Uns wurde unser gesamtes Geld und unsere Telefone weggenommen und wir wurden in ein Zentrum der Militärpolizei gebracht.“ Mihemed berichtet von Folter mit Peitschen und Stiefeltritten. „Sie wollten, dass ich gestehe, dass ich zu den QSD gehöre. Sie zeigten mir Fotos von vielen Menschen und forderten mich auf zu sagen, dass sie meine Verwandten seien.“ Dann wurde er vom MIT verhört. Der türkische Geheimdienst versuchte, ihn mit Elektroschocks zum Gestehen zu bringen, dass er YPG-Mitglied sei.

Zwei Personen durch Folter ermordet“

Mihemed berichtet, dass zwei seiner Zellennachbarn zu Tode gefoltert wurden. Einer von ihnen stammte aus Deir ez-Zor. Bei dem anderen habe es sich um einen Kurden gehandelt. Er berichtete ebenfalls, dass ein minderjähriger Namens Îsa Azad zusammen mit seinem Onkel aus Kobanê entführt worden war und dass sein Onkel freigelassen worden war, er jedoch in Haft blieb: „Îsa Azad wurde viele Male gefoltert. Die Söldner zwangen ihn zu sagen, dass er Mitglied der Selbstverteidigungskräfte sei. Eines Tages brachten sie ihn in den Folterraum und als er zurückkam, war er völlig neben sich.“

Ich habe den Tod herbeigesehnt“

Mihemed bestätigt den Bericht al-Alis über die Haftbedingungen: „Sie zwangen uns zu tun, was sie wollten. Wir waren mit 51 Personen in einer kleinen Zelle untergebracht. Wir schliefen in den Fäkalien und tranken von dort Wasser. Wenn einer von uns schlafen wollte, stand ein anderer auf. Wir haben keine Sonne gesehen. Auf unseren Körpern breiteten sich Krankheiten aus.“ Mihemed schließt den Bericht über seine sechsmonatige Folterhaft: „Ich habe den Tod herbeigesehnt und dachte darüber nach, mir das Leben zu nehmen.“