Seit dem Beginn der Besatzung von Efrîn sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen knapp 8.500 Menschen in Efrîn durch Söldnermilizen der Besatzungstruppen oder direkt durch den türkischen Geheimdienst MIT verschleppt worden. Etwa die Hälfte bleibt verschwunden. Diejenigen, die aus den Kerkern wieder freikamen, bezeugen die Gräueltaten der Besatzer. Wiederholt wurden Gefangene in den Haftzentren der Besatzer zu Tode gefoltert. Manche Gefangene wurden auch völkerrechtswidrig in die Türkei verschleppt und dort zu lebenslanger Haft verurteilt.
Immer wieder wird Folter eingesetzt, um Gefangene dazu zu bringen, als Agenten für das türkische Besatzungsregime tätig zu werden. Fatma Şabo, ehemaliges Mitglied der Sicherheitskräfte von Efrîn (Asayîş), hat die Folter erlebt und berichtet über ihre Zeit als Gefangene der Besatzungstruppen.
Als Mitglied der Asayîş war sie, als die Invasion von Efrîn am 20. Januar 2018 begann, sowohl für die innere Sicherheit von Efrîn zuständig als auch an der Verteidigung an der Front beteiligt. Als sie einen vermeintlich Verletzten retten wollte, geriet sie im Dorf Kurka bei Mabeta selbst in Gefangenschaft. Der türkische Geheimdienst und seine Söldner folterten sie drei Monate lang. Sie wurde Zeugin, wie vier ihrer Freunde zu Tode gefoltert wurden. Anschließend wurde sie von der aus Rechtsextremisten und Dschihadisten rekrutierten Sultan-Murat-Brigade in Efrîn entlassen und sollte gemeinsam mit einer Gruppe ihrer Genoss:innen dazu gezwungen werden, als Spitzel zu arbeiten. Statt sich ihren Peinigern zu beugen, floh Şabo nach Şêxmeqsûd in Aleppo und trat dort erneut dem Asayîş bei. Sie sagt: „Sie wollten unseren Willen brechen, uns zur Kapitulation zwingen und uns dazu bringen, unsere Werte zu verraten. Aber sie haben genau das Gegenteil erreicht, sie haben unseren Willen gestärkt.“
Şabo erinnert sich an ihre Gefangennahme: „Als der Krieg in Efrîn begann, bombardierten sie Dörfer und Stadtviertel. Sie beschossen auch Zivilist:innen. Es war ein sehr heftiger Krieg. Als Asayîş gingen wir immer wieder an die Frontlinien. Es war einen Monat nach Kriegsbeginn, als wir ins Dorf Kurka kamen. Wir blieben dort zwei Tage. Sie griffen uns am zweiten Tag an, mit Kampfjets und Artillerie. Drohnen kreisten ständig über uns. Die Söldner kamen uns immer näher. Sie fingen auch an anzugreifen. Neben mir fiel ein Freund. Sein Name war Ciwan. Als ich sah, wie er getroffen wurde und hinfiel, dachte ich, er sei verletzt. Ich ging zu ihm, um ihn zu retten. Ich erreichte ihn, aber die Söldner holten mich ein. Es gab keine Möglichkeit, irgendetwas zu tun. Wenn ich eine Granate gehabt hätte, dann hätte ich mich selbst gesprengt. Aber ich hatte keine. Ich wurde also gefangen genommen.“
Folter durch den türkischen Geheimdienst
Şabo berichtet weiter: „Sie brachten mich irgendwohin in die Türkei. Sie hatten mir da noch nicht die Augen verbunden. Ich weiß nicht, wo es war, aber es war eine militärische Einrichtung. Dann fesselten sie meine Hände und verbanden meine Augen. Die Türken verhörten mich. Söldner übersetzten, weil ich kein Türkisch sprach. Sie haben jede Folter angewandt. Von Strom angefangen bis hin zu allem, was man sich sonst noch so vorstellen kann. Sie verhörten mich drei Stunden lang. Ich antwortete nicht, ich dachte: ‚Ich bin in Gefangenschaft, wenn sie mich töten wollen, dann sollen sie mich töten.‘ Sie stellten Fragen und schlugen mich immer wieder. Ich wusste wirklich nicht mehr, wie es mir ging. Ich war nicht mehr bei mir. Dann hielten sie mir eine Pistole an den Kopf und sagten: ‚Wir bringen dich jetzt um.‘ Sie töteten mich nicht, aber es gab Schläge, Beleidigungen und Folter.“
„Sie wollten uns zur Kapitulation zwingen“
Der türkische Geheimdienst ließ Şabo mit gefesselten Händen und verbundenen Augen in ein anderes Gefängnis bringen. Dieser Kerker wurde von der Sultan-Murad-Brigade kontrolliert. Şabo erzählt: „Die Söldner haben mich in eine Folterkammer gebracht. Dort haben sie mir die Folterwerkzeuge gezeigt und gesagt: ‚Wenn du nicht die Wahrheit sagst, werden wir sie an dir anwenden. Morgen kommen die Türken, sie werden dich verhören. Du wirst ihnen die Wahrheit sagen.‘ Am folgenden Tag kam dann auch der türkische Geheimdienst und stellte mir erneut die gleichen Fragen. Damals war Efrîn noch nicht besetzt. Sie wollten von mir wissen, wo die schweren Waffen und unsere Freund:innen stationiert seien. Ich habe immer wieder ‚Ich weiß es nicht‘ gesagt. Sie folterten mich erneut. Dann brachten sie mich in eine Zelle in dem Gefängnis. Ich blieb dort. Sie beleidigten, schlugen und folterten mich. Mit allen Mitteln wollten sie unseren Willen brechen und uns zur Aufgabe zwingen. Sie zeigten uns Bilder, wie sie Efrîn besetzten, wie sie die Statue des Schmieds Kawa zerstörten. Wir mussten uns ansehen, wie sie die Besetzung von Efrîn feierten, und sie sagten immer wieder: ‚Wir sind stark, ihr seid schwach. Wir können alles mit euch machen.‘ Sie wollten uns in den psychischen Zusammenbruch treiben und dafür sorgen, dass wir unsere Freund:innen verraten.“
Gefangene zu Tode gefoltert
Mit Şabo zusammen waren Mitglieder der YPG, YPJ, der Asayîş, der HPC und Mitglieder von Kommunen und Frauenhäusern sowie zivilgesellschaftlichen Einrichtungen in Efrîn inhaftiert. Über die Situation ihrer Mitgefangenen sagt sie: „Es gab sehr viele männliche Gefangene im Kerker. Die Türken und ihre Söldner folterten diese Freunde sehr oft. Sie folterten und schlugen sie direkt vor unseren Augen. Jede Nacht sahen wir, wie Freunde gefoltert wurden, und wir konnten sie schreien hören. Wir konnten bis zum Morgen nicht schlafen. Sie schlugen sie und gaben ihnen Stromschläge. Sie wandten alle Foltermethoden gegen sie an. Die Folter begann um 12 Uhr nachts und dauerte bis 6.30 Uhr morgens pausenlos fort. Einige der Freunde wurden zu Tode gefoltert. Nach ununterbrochener Folter, zwei bis drei Tage lang, sagten sie, ‚der ist tot‘, und brachten ihn weg. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie vier Freunde unter der Folter starben. Die Männer befanden sich gegenüber unserer Zelle. Wenn sie gefoltert wurden, dann sahen wir es, wenn wir gefoltert wurden, dann sahen sie es. Manchmal wurde uns gesagt, dass wir auf die Toilette könnten, und wir wurden herausgeholt. Dann sahen wir die Freunde in den Korridoren am Boden liegen. Sie schlugen sie vor unseren Augen. Das haben sie gemacht, damit wir es sehen. Sie wollten so unseren Willen brechen. Die Türken folterten schlimmer als die Söldner.“
„Um uns zu Agenten zu machen"
Fatma Şabo berichtet, sie sei nach drei Monaten freigelassen worden: „Eines Tages sagten sie zu mir und drei meiner Mitgefangenen, die ebenfalls Mitglieder der Asayîş gewesen waren: ‚Eure Strafe ist abgelaufen. Ihr geht jetzt.‘ Bevor sie uns rausließen, machten sie Druck auf uns: Ihr werdet in Efrîn bleiben. Ihr werdet uns sagen, wer nach Efrîn kommt. Sie haben uns Telefonnummern gegeben. Wir haben sie genommen, haben sie aber zerrissen, nachdem wir draußen waren. Als ich in Gefangenschaft geriet, war ich verheiratet und hatte eine Tochter. Die ganze Zeit habe ich nichts von meiner Familie erfahren. Ich wurde vor dem Haus meines Vaters abgesetzt. Danach verbrachte ich noch einen Monat und zehn Tage in Efrîn. Ich wandte mich an meine Familie. Mein Mann und meine Tochter waren nach Şehba gegangen. Efrîn hatte sich sehr verändert. Das Efrîn, das es gab, als wir frei waren, existierte nicht mehr. Sie haben alles beschmutzt und Efrîn zu einem Zentrum der Unterdrückung gemacht. Ich konnte das Haus nicht verlassen, weil sie mich dann wieder festnehmen würden. Schließlich fand ich einen Weg, um von Efrîn nach Şehba zu kommen. Von dort zogen meine Familie und ich nach Şêxmeqsûd in Aleppo.“
„Unser Wille ist noch stärker geworden“
Fatma Şabo erklärt, die Folter habe darauf abgezielt, sie zu brechen und zum Verrat zu bringen. Aber stattdessen sei ihr Wille nur stärker geworden. Sie sagt: „Es gab einige, die umgefallen sind, aber viele Freund:innen und auch ich sind in ihrem Willen stärker geworden. Als sie das letzte Mal mit uns sprachen, sagten sie: ‚Wenn du wieder zur Bewegung zurückkehrst, wenn du weiter für sie arbeitest, werden wir dich finden und dir den Kopf abschneiden.‘ Und ich schwor, sobald ich aus dem Kerker herausgekomme, meine Arbeit wieder aufzunehmen, trotz aller Folter. Sie wollten unseren Willen brechen und uns ohnmächtig machen, aber im Gegenteil, wir sind stärker als je zuvor.“