Efrîn: Erdoğan wurde in 30 Tagen dreifach besiegt

Heute, dem 30. Tag des Invasionsversuchs der türkischen Armee auf Efrîn, können wir mit Sicherheit davon sprechen, dass Tayyip Erdoğan auf drei Ebenen, militärisch, politisch und diplomatisch, deutliche Niederlagen erlitten hat.

Der erste Monat des Krieges um Efrîn steht kurz vor seinem Ende. Und der türkische Staat, das türkische Militär, die türkischen Medien, die Welt der türkischen Magazine, die türkische Politik und die türkische Diplomatie wurden in den vergangenen 30 Tagen ganze drei Mal besiegt. Wie kommt das? Ich werde es gleich zu erklären versuchen.

Zunächst schauen wir uns den Beginn des Krieges von Efrîn an und stellen die Kriegsparteien vor.

Erstens: Der Efrîn-Krieg hat mit seinem Einfluss auf die aktuelle Entwicklung, mit der Situation, die sich durch das Chaos, das sich mit dem syrischen Bürgerkrieg entwickelt hat sowie mit seinen regionalen und globalen Eigenschaften einen speziellen Charakter. Der Efrîn-Krieg dreht sich nicht nur um Efrîn. An der Front befinden sich das Militär der türkischen Republik und die von der Abteilung für besondere Aktivitäten des türkischen Geheimdiensts MIT und den Spezialkräften der türkischen Armee ausgerüsteten und ausgebildeten paramilitärischen Kräfte. Ihr Einsatz zielt darauf ab, die Besatzung der Region legitim erscheinen zu lassen. Die Konterguerillaeinheit des türkischen Staates wurde mit dem Etikett „Freie Syrische Armee“ versehen, um die Besatzung der kurdischen Stadt Efrîn auf internationaler Ebene legitim erscheinen zu lassen.

Tayyip Erdoğan hat mit der rassistischen MHP einen Machtblock gebildet und jede Errungenschaft der Kurd*innen zur existenziellen Bedrohung erklärt. In Sorge und Angst hat der türkische Staat auf Grundlage eines auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats am 30. Oktober 2014 beschlossenen „Zerstörungsplans“ zunächst in Bakur (Nordkurdistan), dann auch in anderen Gebieten Kurdistans massive Angriffe gestartet. Am 24. Juli 2015 griff der türkische Staat die Medya-Verteidigungsgebiete mit Dutzenden Flugzeugen an und wollte diese Angriffswelle in den kurdischen Städten Amed-Sur, Farqîn, Cîzre, Silopî, Gever, Şirnex und Nisêbîn fortsetzen. Das türkische Militär und die ganzen anderen paramilitärischen Kräfte haben beim Widerstand in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten einen schweren Schlag erlitten. Auch wenn der türkische Staat seine Niederlage zu verbergen versuchte, indem er mit Panzern, Artillerie und Flugzeugen ganze Kreisstädte dem Erdboden gleichmachte, kam es zu einem Konflikt zwischen dem türkischen Militär und Erdoğans Clique, der in den Militärputschversuch vom 15. Juli 2016 mündete. Erdoğan und sein Team wendeten den Putschversuch im eigenen Sinne und einigten sich mit der MHP und den Ergenekon-Strukturen auf eine totalitäre Regierung. Mit dieser Einigung spitzte Erdoğan den Krieg gegen die Kurd*innen weiter zu und führte Luftangriffe auf Şengal, Südkurdistan und Rojava durch. Erdoğan war es ein Dorn im Auge, dass diese Angriffe keine Resultate brachten und so rückte er Efrîn immer wieder als militärisches Ziel in den Fokus.

Als Vorwand für die Angriffe benutzte das türkische Militär die Präsenz der USA in Rojava/Nordsyrien und die US-Waffenhilfe für die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Die QSD als Teil der internationalen Anti-IS-Koalition hatten die Stadt Raqqa vom IS befreit und in Syrien ein wichtiges befreites Gebiet geschaffen. Der türkische Staat unter der Führung Erdoğans betrachtete die demokratische Entwicklung in Syrien und die Rolle der Kurd*innen als entscheidende dynamische Kraft in dieser Veränderung als ein eigenes „Bekaa-Problem“. Da er sich vor einer Demokratisierung der Region fürchtete, nahm er diese immer wieder ins Visier. Er wollte zunächst die USA für die Vernichtung der YPG/YPJ benutzen, indem er behauptete, es entstehe ein „kurdischer Korridor“. Als mit den USA nicht die gewünschten Resultate erzielt werden konnten, einigte sich der türkische Staat trotz der bestehenden historischen und aktuellen Widersprüche mit Russland. Russland nutzte seinen Einfluss in Syrien und gab der Türkei den Weg für einen Angriff auf Efrîn frei, um die Türkei von der NATO zu entfremden und einen Konflikt zwischen der Türkei und den USA zu inszenieren. Die kurdischen Kräfte sollten so geschwächt und unter Kontrolle gebracht werden.

Efrîn wird aus zwei Richtungen vom türkischen Staat belagert, aus der anderen Richtung werden die Milizen in Azaz eingesetzt. Der Weg von Efrîn nach Aleppo stand unter der Kontrolle des Regimes. Das türkische Militär hat Efrîn folglich als einen „leicht verdaulichen Happen“ angesehen und ist zur konkreten Planung einer Invasion von Efrîn übergegangen.

Als Gelegenheit für den Beginn des Angriffs nutzte der türkische Staat die Aussage der amerikanischen Führung, in Nordsyrien eine 30.000 Personen starke Grenzschutztruppe aufstellen zu wollen. Der türkische Staat hatte zuvor, um die Staaten auf internationaler Ebene ruhigzustellen, milliardenschwere Rüstungsdeals abgeschlossen: Mit Airbus in Frankreich, mit Italien über Hubschrauber vom Typ ATAK, mit Deutschland über Leopard-Panzer, mit den USA über Luft-Luft-Raketen und vor allem mit Russland über S400-Raketen.

Die Türkei hat in diesem Zusammenhang die Repression im Inneren verschärft. Erdoğan hat für den Krieg gegen Efrîn von der MHP bis zur CHP alle politischen Strukturen hinter sich versammelt und mit seinem Militär sowie den vom MIT und der Abteilung für Konterguerilla eingesetzten Milizen am 20. Januar die Militärinvasion auf Efrîn begonnen. Am ersten Tag griffen 72 Flugzeuge an und es wurden Hunderte Artillerie- und Panzerangriffe durchgeführt. Laut Plan des türkischen Militärs sollte Efrîn innerhalb von drei Tagen entvölkert und die Besatzung innerhalb einer Woche vollzogen werden. Dieser Plan ging jedoch nicht auf. In Efrîn leisteten die YPG/YPJ gemeinsam mit der Bevölkerung Widerstand. Die Bevölkerung weigerte sich, ihr Land zu verlassen, und überall in Kurdistan und Hunderten Städten weltweit fanden Protestaktionen gegen die Besatzung statt. Diese Situation war nichts anderes, als eine Niederlage des türkischen Militärs und seiner Besatzungspolitik. Der türkische Staat und seine Milizen konnten in Efrîn nicht vorrücken.

Nach zehn Tagen des Einsatzes schwerer Waffen und Kampfflugzeugen sowie der Stationierung großer Truppenkontingente an der Grenze zeichnete sich ab, dass der Angriff des türkischen Staates erfolglos verlief. Von den als FSA dargestellten Milizionären starben bereits in den ersten Tagen mehrere hundert und die Milizen waren gezwungen, sich aus den Kampfgebieten zurückzuziehen. Der türkische Staat versuchte diese erste Niederlage zu verschleiern. Um Ersatz für diese aus Flüchtlingslagern rekrutierten Konterguerillakräften zu stellen, versuchte er sowohl aus Idlib, als auch aus den eigenen Gefängnissen Mitglieder des IS der al-Nusra direkt und offiziell in die Besatzungsoperation einzubeziehen.

Das türkische Militär hat am zehnten Tag seine erste Niederlage erlitten. Weder die fortschrittliche Technik, auf die es vertraute, noch Luftangriffe mit 72 Flugzeugen, noch die rekrutierten Banden konnten einen Vormarsch auf Efrîn ermöglichen. Die Bevölkerung von Efrîn ließ eine Besatzung nicht zu. Durch die Demonstrationen und Aktionen überall auf der Welt bekam der Widerstand von Efrîn eine globale Dimension.

Erdoğan und sein Team überredeten nach der Niederlage am zehnten Tag Russland erneut, den syrischen Luftraum benutzen zu dürfen. Die Angriffe auf die Dörfer Efrîns, das Stadtzentrum und im Allgemeinen auf die Zivilbevölkerung zielten erneut darauf ab, die Umgebung von Efrîn zu entvölkern. Der Krieg intensivierte sich stark. Die Zunahme der Verluste des türkischen Militärs ist hier auffällig. Vom YPG-Pressezentrum veröffentlichte Videos zeigen die Zerstörung von über 30 türkischen Panzern und Panzerfahrzeugen vernichtet. Die Besatzungen der Fahrzeuge starben dabei. Zwei Militärhubschrauber und eine bewaffnete Drohne wurden von Kämpfer*innen der YPG/YPJ abgeschossen. Die regionale und nationale türkische Rüstungsindustrie, auf die der türkische Staat so vertraut, ist in Efrîn zusammengebrochen. Durch Besuche des türkischen Generalstabschefs Hulusi Akar, Tayyip Erdoğans und Binali Yildirims sowie weiterer Minister an der Grenze bei Hatay/Kilis wurde versucht, der mit der Kampfkapazität sinkenden Militäroperation wieder Auftrieb zu verleihen. Das Volk von Efrîn hat deutlich gezeigt, dass es entschlossen ist, auf dem Boden, auf dem es lebt, zu bleiben. Am 15. Februar 2018 fuhr ein Konvoi mit Tausenden Fahrzeugen mit Kindern, Alten, Jungen, Männern und Frauen von Efrîn in die am massivsten vom türkischen Militär bombardierte Region Cindirês und setzte so ein historisches Zeichen.

Der Widerstand gegen die Invasion wurde immer stärker und hat sich zu einer großen Widerstandsbewegung entwickelt. Das türkische Militär steckte immer noch an der Grenze fest und bombardierte Efrîn mit schweren Waffen und Flugzeugen. Und als der zwanzigste Tag der Operation kam, erlitt Erdoğan die zweite Niederlage. Denn auch mit seiner zweiten Angriffswelle konnten Erdoğan und das türkische Militär ihr Ziel nicht erreichen. Am 30. Tag nun können wir die dritte Niederlage des türkischen Militärs und des türkischen Staates unter Erdoğans Führung bezeugen. Sie wird deutlich an der Aktion der Kämpfer*innen der YPG und YPJ gegen das Hauptquartier des MIT und des türkischen Militärs in Hatay-Kirikhan. Das türkische Militär, das mit einer Invasion in Efrîn eingedrungen ist, erlebt nun auch auf eigenem Territorium schwere militärische Schläge.

Aufgrund des Widerstands von Efrîn sind Erdoğan und sein Team auch auf internationaler Ebene in eine widersprüchliche Lage geraten und sind regional gezwungen, auf el-Nusra- und IS-Angehörige zurückzugreifen, um ihre Politik umzusetzen. Angesichts der massiven Repression im Inland ist auch ein Anwachsen der inneren Widersprüche innerhalb der Türkei ein bedeutendes Thema. Es ist ein wichtiges Detail, dass außerdem das türkische Militär über den CHP-Chef erklären lässt, eine weitere Verlängerung der Operation kündige eine Niederlage an. Das türkische Militär leidet unter einem Erfolglosigkeitssyndrom und es ist offensichtlich, dass ihm weder die Besuche von Magazinkünstler*innen noch die Gebete von Lastwagenfahrern aus der Lage in Efrîn heraushelfen können. Also können wir am 30. Tag der Operation sagen, das türkische Militär und Tayyip Erdoğan haben eine dreifache Niederlage auf militärischer, diplomatischer und politischer Ebene erlitten. Und Efrîn und das Volk von Efrîn erwachen an einem neuen Tag des Widerstands in ihrem eigenen Land.