„Die YPJ-Kämpferinnen haben mich gerettet“

Der YPG-Kämpfer Devrim Azad wurde vor zwei Jahren bei der Schlacht um Serêkaniyê angeschossen. Als die islamistischen Söldner des Erdogan-Regimes nur noch zehn Meter entfernt waren, wurde er von einer YPJ-Kämpferin gerettet.

Die Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ, YPG und QSD haben bei der vor zwei Jahren gestarteten Invasion des türkischen Staates in Nordsyrien mit dem Mut der Überzeugung einen unvergleichlichen Widerstand gegen die zweitgrößte NATO-Armee und ihre aus den Überresten des IS und anderen islamistischen Gruppen rekrutierten Söldner geleistet. Der YPG-Kämpfer Devrim Azad war daran beteiligt und hat ANF geschildert, was er damals erlebt hat:

Als die türkischen Besatzungsangriffe auf die Region begannen, haben wir uns auf den Weg nach Serêkaniyê und Girê Spî gemacht. Am 18. Oktober 2019 war ich an der Front im Industriegebiet von Serêkaniyê. Es hatten bereits heftige Angriffe stattgefunden und es gab Verletzte. Wir waren nur noch wenige und forderten Verstärkung an, die dann auch eintraf. Weil das Gebiet sehr intensiv angegriffen wurde, mussten wir einen taktischen Rückzug vornehmen. Nachdem die Verstärkung eingetroffen war, setzten wir uns erneut in Bewegung, um die Dschihadisten aus dem Gebiet zu vertreiben. Im Zuge der Gefechte kam es immer wieder dazu, dass wir Orte zwischenzeitlich aufgeben mussten und später dorthin zurückkehrten. Wir rückten durch die Stadtteile vor und in einigen Häusern hielten sich Islamisten verborgen. Es kam immer wieder zu Angriffen auf uns, aber wir setzten unseren Vormarsch mit der Moral, die wir von den zur Verstärkung angekommenen Freund:innen bekommen hatten, immer weiter fort. Unsere Moral war trotz der Angriffe ungebrochen.

Die türkische Armee beobachtete unseren Vormarsch und griff jetzt von der Til-Xelef-Front an. Es kam zu einem Gefecht, zwischen uns war nur noch ein Abstand von höchstens dreißig Metern. Wir wurden heftig beschossen und ich wurde verwundet. Ich lag verletzt auf dem Boden und die türkischen Söldner waren nur noch zehn Meter entfernt. Genau in dem Moment sah ich, dass eine Weggefährtin aus meinem Bataillon auf die Islamisten schoss. Sie packte mich am Kragen und zog mich weg.

Damals war ich ein bisschen dicker, ich hatte wohl ein Gewicht von 85 oder 90 Kilo. Ich hätte niemals gedacht, dass die Freundin mich tragen kann. In diesem Moment herrschte jedoch ein besonderer Geist. Ich war halb bewusstlos und merkte nur, dass die Freundin mich auf den Rücken genommen hatte und aus dem Gebiet wegzubringen versuchte. Ich konnte es nicht glauben, aber es war tatsächlich so. Irgendwie schafften wir es zu einer Nebenstraße. Eine weitere Freundin und ein Freund kamen auf uns zu. In diesem Moment wurde weiter auf uns geschossen und die Freundin, die mich trug, wurde ebenfalls getroffen.

Die anderen wollten uns aus dem Kampfgebiet schaffen. Wir bewegten uns auf ein Fahrzeug zu. Dann trafen weitere Kugeln meinen Rücken. Ich fiel zu Boden. Die anderen setzten mich auf den Bürgersteig. Ich verlor langsam mein Bewusstsein. Überall wurde geschossen, es waren heftige Kämpfe. Letztendlich wurde ich aus dem Gebiet evakuiert und ins Krankenhaus gebracht. Deshalb bin ich heute am Leben.

Was ich hier zu erzählen versuche, ist die Rolle und Mission der Frauen im Krieg. Ich habe persönlich miterlebt, zu welcher Willensstärke Frauen im Krieg fähig sind. Als ich zu meinem Bataillon zurückkam, wurde ich gefragt, wer mich gerettet hat. Ich erzählte allen, dass es die Freundinnen waren, die mich gerettet haben.

Ich bin im Kampf drei Mal verwundet und zwei Mal von Freundinnen gerettet worden. Wenn es die Opferbereitschaft meiner Genossinnen nicht gegeben hätte, würde ich heute wahrscheinlich nicht mehr leben. Ich verdanke mein Leben Rêber Apo [Abdullah Öcalan], den Gefallenen und meinen Weggefährtinnen, die mich gerettet haben. Weil ich gerettet worden bin, hatte ich die Möglichkeit, diesem grausamen Feind weiter zuzusetzen. Was auch immer ich über meine Mitkämpfer:innen und die YPJ sage, bleibt unzureichend. Mir bleibt nur, die Erinnerung an meine Weggefährt:innen in jedem Moment lebendig zu halten.