„Die Türkei fühlt sich von der Demokratie bedroht“

Ankara drängt auf eine Ausweitung ihrer Militärpräsenz in der sogenannten Sicherheitszone, andernfalls drohe Europa ein neuer Flüchtlingsstrom. Abdulrehman Demir (TEV-DEM) sieht hier die eigentliche Absicht der Türkei, nämlich Rojava zu besetzen.

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur ANHA (Hawarnews) hat Abdulrehman Demir als Ko-Vorsitzender der Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) für die Euphrat-Region, trotz erster Schritte für die Umsetzung der sogenannten „Sicherheitszone“ im Grenzstreifen die anhaltenden Drohungen Recep Tayyip Erdoğans gegen die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien bewertet. Der türkische Präsident plant die Ansiedlung von mindestens einer Million syrischen Flüchtlingen in diesen Grenzstreifen. Das zwischen den Demokratischen Kräften Syriens (QSD), den USA und der Türkei getroffene Abkommen über die Sicherheitszone erlaubt lediglich die Rückkehr von Flüchtlingen, die ursprünglich aus diesem Gebiet geflohen sind, um eine Veränderung der Demografie - wie zuvor im türkisch besetzten Kanton Efrîn - zu verhindern. Um die USA und die EU dazu zu zwingen, die von der Türkei geplante 30 Kilometer ins Landesinnere reichende und mehrere Hundert Kilometer lange Pufferzone zu unterstützen, drohte Erdoğan jüngst wieder mit einem neuen Strom von Migrant*innen. Zudem kündigte der AKP-Chef erneut an, im Alleingang Truppen in die geplante Zone zu schicken, sollte sich die Einrichtung eines solchen Gebietes weiter hinziehen.

Abdulrehman Demir sieht in der Drohkullise Erdoğans die eigentliche Absicht des türkischen Staates, nämlich Rojava dauerhaft zu besetzen: „Die Türkei verfolgt gegenüber den Völkern Nord- und Ostsyriens eine Politik der Besatzung. Ankara spricht zwar ständig von ‚Grenzsicherheit‘, aber die Behauptung, Rojava und Nordostsyrien würden eine Gefahr für den türkischen Staat darstellen, ist schlichtweg falsch. Hier geht es um die Vernichtung der kurdischen Identität und die Zerschlagung unserer Errungenschaften. Diese Tatsache ist nicht nur uns bewusst, sondern jeder anderen Person auch.“

Efrîn-Szenario soll wiederholt werden

Dass die Türkei den USA Verzögerungstaktik vorwirft und auf eine rasche Ausweitung der türkischen Militärpräsenz im Grenzstreifen drängt, kommentiert Demir mit den Worten: „Die offensichtliche Ablehnung des Abkommens durch die Türkei ist der beste Beweis dafür, dass die türkische Regierung bestrebt ist, das Szenario in Efrîn zu wiederholen und die Region zu besetzen. Wir wollen zwar keinen Krieg, auf eine Invasion werden wir allerdings mit dem notwendigen Widerstand reagieren.“

Türkei fühlt sich von demokratischen Prinzipien bedroht

Demir führt aus, dass Nord- und Ostsyrien zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für den türkischen Staat dargestellt hat und es im Grunde gar keinen Anlass für die Türkei gibt, solch einen Vorwand hervorzubringen. „Entgegen den Behauptungen der Türkei hat es bisher unsererseits keinen einzigen Angriff gegeben. Der türkische Staat fühlt sich einzig von unseren demokratischen Prinzipien und unserer Idee einer demokratischen Nation bedroht. Das gemeinsame Leben in der Region, die Geschwisterlichkeit der Völker und die demokratische Kultur, wie sie hier gelebt wird, stehen im Gegensatz zu den diktatorischen Verhältnissen in der Türkei und den neoosmanischen Bestrebungen der Regierung. Der türkische Staat befürchtet, dass sich die Idee einer Demokratie, wie sie in unserer Region umgesetzt wird, auch im eigenen Land ausbreitet. Deshalb will er das hiesige System vernichten“, erklärt Demir.

Bemühungen für Rückkehr von Geflüchteten

Zu den Drohungen Erdoğans, syrische Flüchtlinge in der Sicherheitszone anzusiedeln, erklärt Demir, dass die Autonomieverwaltung ihre Bemühungen für eine Rückkehr der Geflüchteten nach Syrien unvermindert fortsetzt, „mit Ausnahme derer, die am Blutvergießen unseres Volkes beteiligt waren oder es noch immer sind“, unterstreicht der TEV-DEM-Politiker und ergänzt: „Als Selbstverwaltung bemühen wir uns ohnehin stets darum, damit die angestammte Bevölkerung in ihre Häuser zurückkehren kann. Wir sind auch bereit, die Menschen, die der Repression und den Angriffen des syrischen Regimes und protürkischer Milizen entkommen sind, in unseren Camps willkommen zu heißen. Die Türkei allerdings möchte diejenigen, die sich an den Massakern an der Zivilbevölkerung Nord- und Ostsyriens beteiligten, in die selbstverwalteten Gebiete ansiedeln. Nicht nur die Autonomieverwaltung - alle Dynamiken und Meinungsführer in der Region lehnen diese Pläne ab.“