Das Embargo durch die syrische Regierung fordert Menschenleben

Aufgrund des Embargos des Assad-Regimes werden die Lebensbedingungen in Şehba und in den Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê in Aleppo von Tag zu Tag dramatischer.

Die Lage im selbstverwalteten Kanton Şehba im Norden Syriens und den ebenfalls belagerten Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê in Aleppo wird von Tag zu Tag dramatischer. In Şehba leben insgesamt 25.000 Familien, also mehr als 200.000 vor der türkischen Besatzung aus Efrîn geflohene Menschen. In den selbsterrichteten Camps Efrîn, Şehba, Veger, Serdem und Berxwedan sind weitere 2.000 Familien aus Efrîn untergebracht. Die Lebensbedingungen in den Lagern, die schon vorher durch das Embargo des Assad-Regimes schwierig waren, haben sich mit dem Wintereinbruch nochmals dramatisch verschlechtert. Die Menschen in der Region leiden sowohl unter den anhaltenden Angriffen der Türkei und islamistischen Proxy-Truppen als auch unter dem durch das syrische Regime verhängten Embargo. Durch die seit März 2019 aufrechterhaltene Belagerung herrscht in vielen Bereichen ein lebensbedrohlicher Versorgungsengpass. Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) macht immer wieder auf die durch den Wintereinbruch noch verschärfte, schwere humanitäre Krise aufmerksam. Bisher bleiben jedoch sowohl die internationalen humanitären Organisationen als auch die Großmächte untätig.

Roşîn Musa, Koordinationsmitglied des Frauenverbands Kongra Star in Aleppo, und Mihemed Neso, Ko-Vorsitzender des zerschlagenen Kantons Efrîn, haben sich gegenüber ANF zu der aktuellen Lage in der von dem Embargo betroffenen Region geäußert.

Fünfzehntausend Schüler können keinen Unterricht bekommen

Weil die Brennstoffe zur Neige gehen, kann nicht mehr geheizt werden. Außerdem kommt es ständig zu Stromausfällen. Der Unterricht in den Schulen der Region musste ausgesetzt werden. In 70 Schulen der Region kann zurzeit kein Unterricht stattfinden, dadurch erhalten 15.000 Schüler:innen keinen Unterricht, 950 Lehrer:innen können ihren Beruf nicht ausüben.

Gesundheitsversorgung ist stark eingeschränkt

Auch die Krankenhäuser sind durch das Fehlen von Treibstoff und medizinischen Hilfsgütern gezwungen, ihre Arbeit einzuschränken. Schwer kranke Menschen konnten dadurch ihre notwendige medizinische Behandlung nicht fortführen, viele von ihnen schweben in Lebensgefahr.

Zwei Bäckereien mussten die Arbeit bereits einstellen

Neun Bäckereien versorgten die Region bisher mit Brot, zwei davon mussten aufgrund des Embargos ihre Arbeit bereits einstellen. In den verbliebenen sieben Bäckereien gibt es nur noch eine begrenzte Menge Mehl. In Anbetracht der Aussicht, dass durch das Embargo kein Treibstoff und kein Mehl in die Region mehr gelangt, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch diese Bäckereien gezwungen sein werden, ihre Arbeit einzustellen.

Russland sind die Menschen egal

„Seit mehr als fünf Jahren leidet die Bevölkerung von Şehba sowohl unter den Angriffen des türkischen Staates als auch unter dem Embargo der Regierung in Damaskus. Dies hat sowohl physische als auch psychische Schäden zur Folge“, erklärt Mihemed Neso. „Die täglichen Angriffe des türkischen Staates auf die Region gehen weiter. Es handelt sich um einen gemeinsamen Plan des türkischen Staates und der Regierung in Damaskus. Russland arbeitet mit beiden Seiten zusammen und ignoriert die Situation der Menschen in der Region."

Krankenhäuser können nicht mehr mit medizinischen Gütern versorgt werden

Die aus Efrîn nach Şehba geflüchteten Menschen seien von Anfang an mit schwierigen Lebensbedingungen konfrontiert gewesen, berichtet Mihemed Neso: „Das zurzeit dringlichste Problem ist die fehlende Versorgung unserer Krankenhäuser mit Medikamenten. Unser zentrales Arzneimittellager hat keine Medikamente mehr. Die Krankenhäuser können ihre Patienten nicht mehr versorgen. Es gibt keinen Treibstoff und keine Medikamente. Beatmungsgeräte funktionieren nicht ohne Strom. Jedes Medikament braucht andere Lagerbedingungen und Umgebungstemperaturen, um die Haltbarkeit und die Wirksamkeit zu gewährleisten. Es ist unmöglich, die Lebensbedürfnisse der Menschen ohne Treibstoff zu befriedigen. Es ist Winter. Alte Menschen und Kinder sind erkrankt. Patienten, die dringend ins Krankenhaus müssen, können nicht transportiert werden, weil es aufgrund des Embargos keinen Treibstoff für die Fahrzeuge gibt. Die Ärztinnen und Ärzte sind aufgrund dieser Umstände hilflos."

Die Menschen sollen vertrieben werden

Mihemed Neso weist darauf hin, dass 15.000 Schüler:innen das Recht auf Bildung verweigert wird und die Menschen mit dem Hunger allein gelassen werden. „Da die meisten Schülerinnen und Schüler in Dörfern leben, wird Treibstoff für Schulbusse und Heizung der Schulen benötigt“, erklärt er. „Die Region ist einer großen Bedrohung ausgesetzt. Die Regierung in Damaskus betreibt eine Politik der Vertreibung. Es handelt sich um ein Bündnis zwischen dem türkischen Staat und der Regierung in Damaskus. Während der türkische Staat versucht, die Bevölkerung militärisch zu vernichten, will die Regierung in Damaskus die Bevölkerung aushungern. Es handelt sich um einen Schlag gegen die Autonomieverwaltung, der darauf abzielt, sie funktionsunfähig zu machen."

Zwei Stadtteile von Aleppo sind ebenfalls vom Embargo betroffen

In den Vierteln Şêxmeqsûd und Eşrefiyê in Aleppo leben mehr als 250.000 Menschen. In diesen Stadtvierteln, in denen bisher acht Bäckereien den Brotbedarf der Bevölkerung deckten, wurde die Zahl der Bäckereien aufgrund des Mangels an Brennstoff und Mehl auf vier reduziert. In den beiden Stadtvierteln gibt es drei Stunden am Tag Strom. Mehr als fünftausend Schüler:innen mussten ihre Ausbildung wegen des Treibstoffmangels ebenfalls aussetzen. Das Krankenhaus Xalid Fajr musste seine Dienste für die Öffentlichkeit einschränken, da es an Treibstoff und medizinischem Material mangelte.

Erst vorgestern starb ein Kind durch das Embargo

Am 2. Januar verstarb der vierjährige Wîsam Sîdo an den Folgen des Embargos. Der Junge erlag einem Herzstillstand, verursacht durch einen schweren Infekt, den er sich zuzog, weil es durch das Embargo keinen Brennstoff zum Heizen gab. Wîsams Familie, die aus dem Dorf Qeretebê in Efrîn-Şera stammt, war nach der Besetzung des Kantons in den Stadtteil Şêxmeqsûd ausgewandert. 

Roşîn Musa, Koordinationsmitglied des Frauendachverbands Kongra Star in Aleppo, erklärt, die Regierung in Damaskus verhindere, dass Mehl, Kindermilch, Treibstoff, Gas und Lebensmittel in die Stadtteile Şêxmeqsûd und Eşrefiye gelangen. Sie sagt: „Es ist ein Embargo von Aleppo bis Şehba und bedeutet für die Menschen hier eine lebensbedrohliche Situation. Das Embargo durch die Regierung in Damaskus hat ein solches Niveau erreicht, dass sie nicht einmal mehr Babymilch in die Region lässt."

Politik und humanitäre Organisationen müssen endlich handeln

Roşîn Musa betont: „Die Regierung in Damaskus setzt verschiedene Methoden ein, um Chaos zu stiften und die Sicherheit und das Zusammenleben der Menschen in Syrien durch militärische Angriffe einerseits, Hunger und Embargo andererseits zu zerstören. Damaskus lässt den türkischen Staat seine Invasionsangriffe fortführen. Die internationalen humanitären Organisationen verschließen die Augen. Die internationalen Mächte müssen Sanktionen verhängen, um eine noch gefährlichere Situation für das syrische Volk zu verhindern."