Camp Hol: Internationale Gemeinschaft ignoriert IS-Gefahr

Das Camp Hol in Nord- und Ostsyrien gilt bis heute als eine der Rekrutierungs- und Organisierungsräume des IS. Obwohl von dem Camp eine massive Bedrohung ausgeht, übernimmt die internationale Gemeinschaft keinerlei Verantwortung.

Das Camp Hol gilt als einer der gefährlichsten Orte der Welt und als heimliche Hauptstadt des IS. Im Moment läuft eine neue Sicherheitsoperation gegen die IS-Strukturen in dem Lager. Grund genug, einen Blick in die Geschichte des Ortes zu werfen.

Das etwa 45 Kilometer östlich von Hesekê gelegene Lager wurde ursprünglich 1991 vom UNHCR für irakische Flüchtlinge eingerichtet und beherbergte zunächst 20.000, dann über 40.000 Menschen. Mit dem dritten Golfkrieg 2003 flohen erneut unzählige Menschen aus dem Irak nach Syrien. Mit der Expansion des IS wurde die Region um al-Hol besetzt und zu einem der Zentren des IS gemacht. Im Oktober 2015 wurde al-Hol von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) befreit, und es wurden anschließend dort Menschen die vor dem Regime in Syrien und ab 2016 auch Menschen, die nach der Befreiung von Mosul geflohen waren, dort untergebracht. Gleichzeitig wurden neue Camps – al-Hol, Ain-Issa und Roj – für die Familienangehörigen von IS-Mitgliedern aus den neu befreiten Gebieten eingerichtet. Am 9. Oktober 2019 wurde das Lager Ain Issa im Rahmen des türkischen Invasionsangriffs auf Girê Spî ebenfalls attackiert und es folgte ein Massenausbruch von IS-Angehörigen. Daraufhin wurden die IS-Angehörigen aus Ain Issa nach al-Hol verlegt. Die Zahl der Bewohner:innen des Lagers stieg damit auf über 80.000.

Heute befinden sich in al-Hol nach Angaben der Selbstverwaltung 43.477 registrierte Bewohner:innen. Bei den Bewohner:innen des Lagers handelt es sich vor allem um Familienangehörigen von IS-Dschihadisten, die nach der Zerschlagung der Territorialherrschaft des IS im Camp untergebracht wurden sowie ihre Kinder. In dem Lager sind aktuell 30.000 Minderjährige untergebracht. Bei den Familienangehörigen der IS-Dschihadisten handelt es sich oft um fanatische Anhänger:innen der salafistischen Ideologie, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit in separaten Bereich untergebracht wurden. Sie versuchen, in dem Camp trotz alle Bemühungen der Selbstverwaltung und der Sicherheitskräfte, das IS-Terrorregime fortzusetzen und indoktrinieren die Kinder, die in dem Camp aufwachsen. Die meisten der aktuellen Bewohner:innen stammen aus Syrien und dem Irak, 7.000 der Bewohner:innen sind jedoch Drittstaatsangehörige aus 45 Nationen.

Das Camp besteht im Moment aus acht verschiedenen Sektionen. In drei von ihnen sind IS-Angehörige aus dem Irak, in zweien aus Syrien und in einem, dem sogenannten „Muhadschirat-Bereich“ sind die IS-Angehörigen aus Drittstaaten untergebracht.

Der „Muhadschirat-Bereich“ als Kaderschmiede des IS

Der „Muhadschirat-Bereich“ gilt als der gefährlichste Bereich des Lagers und ist von allen anderen Sektionen getrennt. So soll es den fanatischen IS-Frauen erschwert werden, die IS-Ideologie weiter zu verbreiten. Die Sektion hat eigene Versorgungseinrichtungen, eine eigene Krankenstation und einen eigenen Markt. Im „Muhadschirat-Bereich“ leben ausschließlich Frauen und Kinder. Diese Sektion spielt bei der Indoktrinierung der Kinder in IS-Ideologie eine zentrale Rolle. Sobald die Kinder ein gewisses Alter erreicht haben, werden sie in IS-Zellenstrukturen integriert. Im Alter von 14–15 werden die Jungen von IS-Imaminnen verheiratet. Ganz klar wird bei diesen Ehen gesagt, dass es darum geht, die Zahl der Mitglieder des „Kalifats“ zu erhöhen, den IS neu aufleben zu lassen und „Rache“ zu nehmen. Die Selbstverwaltung hatte dem bis jetzt immer nur punktuelle Operationen entgegen zu setzen. Das liegt vor allem an der fehlenden internationalen Unterstützung.

Unter den Flüchtlingen in den anderen Sektionen des Lagers haben sich auch einige IS-Dschihadisten gemischt, die versuchen, auch diese Bereiche in Organisationsbasen des IS umzuwandeln. Dies findet häufig mit Terror und Gewalt statt. So haben die IS-Frauen eine „Sittenpolizei“ – al-Hisba – geschaffen. Diese Terrorgruppe agiert im Untergrund und massakriert Menschen, welche nicht den vom IS aufgestellten Regeln folgen. So werden Frauen, die sich vom IS trennen oder die keine Vollverschleierung tragen wollen, bedroht oder ermordet. Gleichzeitig wurde eine Terrorgruppe aus Minderjährigen, oft Kindern aufgebaut, die IS-Jugendorganisation „Junglöwen des Kalifats“, auch „Brut des Kalifats“ genannt. In dieser Organisation werden Kinder zwischen 10 und 15 Jahren zu Mördern und Folterern ausgebildet. Immer wieder werden enthauptete Leichen gefunden. Manchmal verschwinden Menschen auch ganz, da sie unter Zelten verscharrt werden. Daher stellt die Zahl der bisher registrierten Morde im Camp von 146 höchstwahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs dar. Unter den Ermordeten befinden sich zwei enthauptete Mädchen im Alter von 15 und elf Jahren. Sie sollen Kinder ägyptischer Eltern sein. So soll durch Angst im Camp die Macht des IS gestärkt werden.

Sicherheitsoperationen im Camp

Das Camp-Hol ist zu einer Gefahr im Hinterland der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) geworden. Während von Norden die Türkei angreift, versuchen der türkische Geheimdienst und die türkische Armee immer wieder Ausbrüche aus dem Camp zu organisieren. So spielte das Camp Hol eine wichtige Rolle bei dem von der Türkei orchestrierten Plan im Januar 2022, als der IS versuchte, das Sinaa-Gefängnis in Hesekê zu stürmen, einen Massenausbruch zu organisieren und die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Um die Situation im Camp zu verbessern und Terror zu verhindern führen daher die QSD, die YPG, YPJ und die Kräfte der inneren Sicherheit immer wieder Operation und Durchsuchungen im Camp durch. Am 28. März 2021 begann die erste Phase der „Humanitären Sicherheitsoperation“. Am 2. April 2022 folgte nach dem Angriff auf das Sinaa-Gefängnis eine zweite Operation. Es wurden große Mengen Waffen und Sprengstoff gefunden, Tunnel und Folterkammern entdeckt und 125 IS-Mitglieder gefasst. Die zweite Phase der Operation begann am 25. August 2022 und dauerte 24 Tage. Eine dritte Phase begann am 26. Januar. In einem Zelt wurden eine Kampfstellung, vier Schützengräben, fünf Minen, mehrere Granatwerfer, eine Granate, zahlreiche militärische Ausrüstungsgegenstände, IS-Kleidung, für die Ausbildung vorbereitete Zelte, handgefertigte IS-Fahnen, zahlreiche Smartphones und ein Tunnel gefunden. Darüber hinaus wurden 31 IS-Mitglieder festgenommen. Zwei von ihnen hatten bereits Sprengstoffwesten getragen, als sie festgenommen wurden.

Die Staatengemeinschaft übernimmt keine Verantwortung

Der IS in dem Camp scheint eine regelrechte Hydra zu sein. Die regelmäßigen Operationen reichen kaum aus, um die Gefahr unter Kontrolle zu halten. Das liegt auch daran, dass die internationale Gemeinschaft die ganze Verantwortung für die gefangenen IS-Angehörigen der Selbstverwaltung aufbürdet, gleichzeitig aber nicht einmal einen Finger rührt, wenn die Türkei die Region von Norden her angreift und in der Region Schläferzellen aktiviert. Auch die Herkunftsstaaten der IS-Dschihadisten übernehmen kaum Verantwortung. Statt sie zurückzunehmen und dort zu verurteilen oder die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs zu unterstützen, lassen sie Nord- und Ostsyrien mit den hochgefährlichen IS-Dschihadisten und ihren Angehörigen allein. Bislang hat Russland 60, Neuseeland eine, Tadschikistan 30 Familien und anschließend weitere 100 Personen, Kirgisien 50 Familien und 172 weitere Personen zurückgenommen.

Bleibt weiter Unterstützung aus, so droht der IS gerade auch von al-Hol aus zu einer neuen Bedrohung für die Region, aber auch für die Welt, zu werden.