Camp Hol: Der IS profitiert von den Angriffen der Türkei

In Camp Hol ist die Lage außer Kontrolle geraten, Islamist:innen attackieren Sicherheitskräfte und Hilfsorganisationen. Cihan Henan von der Lagerverwaltung schildert den Hintergrund des laufenden Sicherheitseinsatzes in dem Camp in Nordsyrien.

Im Zuge der Zerschlagung des „Kalifats“ der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Frühjahr 2019 durch die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) wurden Tausende Familien aus den befreiten Gebieten in das Auffang- und Internierungslager Hol in der Nähe von Hesekê gebracht. Am Samstag leiteten die Sicherheitskräfte der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien eine Operation in dem Lager ein, um islamistische Strukturen zu bekämpfen. Bislang wurden zwei Sicherheitsoperationen in Camp Hol durchgeführt, eine begann am 28. März 2021 und die andere am 25. August 2022. Dabei wurden Hunderte Islamist:innen festgenommen und zahlreiche Waffen sichergestellt, zudem konnten mehrere Mädchen und Frauen befreit werden.

Wir haben mit Cihan Henan, Ko-Vorsitzende der Lagerverwaltung, über die aktuelle Operation gesprochen. Bereits am Samstag wurden Sicherheitskräfte bei der Registrierung der Bewohner:innen attackiert, ein Journalist von Ronahî TV wurde durch Steinwürfe verletzt. Cihan Henan erklärte zu den Gründen und dem Umfang der Operation, dass sich die IS-Zellen im Lager nach den Angriffen des türkischen Staates auf Nord- und Ostsyrien stärker organisiert hätten. An dem Einsatz sind die QSD beteiligt, die internationale Koalition gegen den IS leistet Unterstützung. Die führende Rolle nehmen jedoch die Frauenverteidigungseinheiten YPJ ein, sagte Cihan Henan:

„Wir haben im August 2022 zum zweiten Mal im Lager intervenieren müssen, weil sehr viele Menschen exekutiert wurden. In den sechs Monaten danach hatte sich die Lage erheblich verbessert. Die Sicherheit war gewährleistet. Doch begannen die IS-Zellen, sich wieder zu organisieren. Im Camp kam es wieder zu Zwischenfällen. Es gab Diebstähle und Frauen wurden gefoltert. Einige der betroffenen Frauen wandten sich an uns. Sie sagten, sie seien ausgeraubt und gefoltert worden. Eine Frau wurde sogar niedergestochen und wir behandelten sie in Hesekê. Ende 2023 verschlechterte sich die Situation im Lager zunehmend. Es kam zu Fluchtversuchen, die von außen gesteuert wurden. Es wurden verschiedene Materialien von Hilfsorganisationen gestohlen. Die Sicherheitskräfte nahmen viele Menschen fest und stellten Waffen in großer Anzahl sicher. Abu Muawiyah, ein führendes IS-Mitglied, wurde bei der Festnahme getötet.

Daher war es notwendig, wieder für Sicherheit zu sorgen, nicht nur für die Menschen, die im Lager wohnen, sondern auch für die, die dort arbeiten. Zwei Frauen waren mit Stichwaffen angegriffen worden. In der letzten Zeit konnte niemand mehr im Lager arbeiten. Alle Lampen im Lager wurden zerstört. Anhand der gestohlenen Materialien konnte man erkennen, dass Vorbereitungen für etwas getroffen wurden. Wir erhielten Informationen, dass Frauen sich vor Hilfsorganisationen im Lager versammelten, ihre Gesichter verschleiert und mit Waffen in den Händen. Uns wurde auch berichtet, dass sie sich mit Waffen innerhalb des Lagers bewegten."


Cihan Henan erklärte, dass die Reorganisation innerhalb des Lagers in so kurzer Zeit ohne Unterstützung von außen nicht möglich gewesen wäre: „Sie haben definitiv Beziehungen nach außen. Telefon und Internet sind nicht verboten, außerdem ist das Lager sehr groß. Es ist schwierig, sie mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln vollständig zu kontrollieren. Es gibt zu viele Menschen, die im Camp ein- und ausgehen, manchmal sind es tausend Menschen am Tag. Es sind Arbeiter und Beschäftigte von Hilfsorganisationen, die von außerhalb kommen. Jeden Tag fahren fünfzig bis hundert Autos in das Lager. Das macht die ganze Kontrolle schwierig. Vor allem nach den jüngsten Angriffswellen des türkischen Staates gab es eine Menge Aktivität im Lager. Jeden Tag kam es zu Unruhen. Sie versammelten sich und griffen die Sicherheitskräfte an. Sie zertrümmerten die Fenster und Scheinwerfer von Autos und attackierten die Fahrer. Betroffen waren auch Krankentransporte von Heyva Sor. Bei jedem Angriff des türkischen Staates verschärft sich die Situation im Lager, weil die IS-Zellen dadurch ermutigt werden und die Bewegungsfreiheit in der gesamten Region eingeschränkt wird. Dadurch wird die Versorgung des Lagers erschwert, was der IS als Anlass nimmt, Unruhen anzuzetteln.“