Lea Bunse: Auch Schweigen ist ein Verbrechen

Die Umweltaktivistin Lea Bunse aus Baden-Württemberg wollte den demokratischen Gesellschaftsaufbau mit eigenen Augen sehen. Beim Schutz ziviler Infrastruktur wurde sie durch einen türkischen Drohnenangriff verletzt.

Bei Angriff auf Mahnwache verletzte Deutsche

Die Umweltaktivistin Lea Bunse (27) hält sich seit zweieinhalb Jahren in den Gebieten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) auf. Angezogen hatte sie vor allem der gesellschaftliche Aufbau auf Grundlage der drei Säulen Basisdemokratie, Ökologie und Frauenbefreiung. Die aus Eberstadt im Landkreis Heilbronn stammende Deutsch wurde während ihrer Teilnahme an der Friedenswache am Tişrîn-Staudamm durch eine türkische Drohne verletzt.

„Ich wollte das mit eigenen Augen sehen“

Mitte 2022 hatte Lea Bunse Deutschland verlassen, um die DAANES kennenzulernen. Sie war fasziniert und inspiriert davon, dass es den Menschen in der Region gelingt, ein wirklich demokratisches System aufzubauen, während gleichzeitig Krieg herrscht: „Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie die Menschen das schaffen.“ Die Internationalistin lebte zunächst in dem Frauendorf Jinwar, welches ausschließlich von Frauen und ihren Kindern verwaltet wird. Schließlich fand sie ihren Platz in der Jineolojî-Akademie in Rojava und arbeitet seither dort. Von hier aus begab die Umweltaktivistin sich als Teil einer Gruppe auf den Weg, um an der Friedenswache am Tişrîn-Staudamm teilzunehmen und sich an der zivilen Verteidigung dieser lebenswichtigen Infrastruktur zu beteiligen.

Im Interview mit ANF analysiert Bunse die aktuellen Angriffe als Teil eines von der Türkei geführten Wasserkrieges, berichtet aus ihrem persönlichen Erleben von der Friedenswache und den Attacken, und richtet klare Worte an die internationale Gemeinschaft.

In welchem Zusammenhang betrachten Sie die aktuellen Angriffe der Türkei auf die Infrastruktur?

Diese Angriffe reihen sich in einen Wasserkrieg ein, den die Türkei schon seit Längerem auch gegen Nord- und Ostsyrien führt. Sie hat auf türkischem Staatsgebiet viele Staudämme gebaut, die verhindern, dass ausreichend Wasser in über die Grenze kommt. Ein anderes Beispiel ist die türkische Besetzung eines Wasserwerks in Serêkaniyê (Ras al-Ain) seit 2019, welches bis dahin die Region Hesekê mit frischem Wasser versorgt hatte. All das hat immense Auswirkungen für das Land und seine Zukunft.

Wie kam es, dass Sie an der Friedenswache teilgenommen haben?

Wir hatten die Bombardierung des Tişrîn-Staudamms bereits eine längere Zeit in den Medien verfolgt. Die große Gefahr, dass der Damm bricht und welche verheerenden Folgen das haben würde, war uns bewusst:

Flussabwärts liegende Städte wie Raqqa, Tabqa und weitere würden überschwemmt werden. Außerdem sind große Teile von Nord- und Ostsyrien von dem Wasser und der Energie abhängig, auch deswegen hat der Staudamm eine große Wichtigkeit für diese Region.

Lea Bunse im Krankenhaus | privat

Am 8. Januar haben wir dann mitbekommen, dass Menschen sich auf den Weg machen, um dort eine Friedenswache abzuhalten.

Und direkt auf dem Weg wurde dieser zivile Konvoi bombardiert, wobei es mehrere Verletzte, unter ihnen auch Journalisten, und sogar Todesopfer gab. Das hat uns sehr mitgenommen. Auch, weil wir immer wieder mitverfolgen, dass die Türkei Kriegsverbrechen begeht und überhaupt keine Grenzen kennt. In diesem Moment haben wir entschieden, dass wir auch dorthin gehen wollen.

Nach einigen Tagen sind wir gemeinsam mit einer Gruppe aus Qamişlo losgefahren.

Was waren Ihre ersten Eindrücke?

Die Situation war für uns bei der Ankunft schwer zu erfassen. Du siehst die verbrannten Autos, die Scherben auf dem Boden, die Überbleibsel von den Attacken. Und gleichzeitig tanzen die Menschen daneben für ihr Leben, ihre Freiheit und für ihre Zukunft. Das hatte für uns eine sehr große Bedeutung. Immer wieder haben wir vor Ort dann die Angriffe miterlebt, wie den, bei dem Jakob Rihn verletzt wurde und mehrere Zivilist:innen getötet wurden.

Wie kam es zu Ihren Verletzungen?

Am Dienstag, 21. Januar, haben wir bei den Tänzen auf dem Damm mitgetanzt. In dem Moment kam wieder eine Drohne und diese hat eine Bombe auf uns abgeworfen. In einem Video im Internet ist sehr gut zu sehen, wie die Drohne auf den Damm zusteuert und in die Mitte der tanzenden Menschen zwei Bomben abfeuert. Hierbei bin auch ich verletzt worden. Alle Verwundeten wurden recht schnell von den Kräften vor Ort so gut es ging behandelt.

Am Anfang habe ich recht viel Blut verloren, was gestoppt werden konnte. Ich habe eine Wunde am Bauch, eine im Brustbereich und eine am Bein. Es sieht aktuell so aus, als seien meine Verletzungen nicht weiter bedrohlich.

Wie ging es für Sie weiter?

Mittlerweile bin ich im Krankenhaus und genese. Direkt nach der Attacke habe ich ein Video aufgenommen, das war in einem sehr emotionalen Moment. Auf dieses Video gab es viele Reaktionen, genauso auch bei Jakob Rihn. Doch bei den vielen weiteren Verletzten gab es diese Reaktionen nicht, vor allem dafür möchte ich die Weltgemeinschaft kritisieren. Es sind mittlerweile über 200 Verletzte und über 20 getötete Zivilist:innen. Dass die Öffentlichkeit dazu schweigt, das sehen wir als Verbrechen.

Welche Botschaft möchten Sie an die internationale Gemeinschaft richten?

Wir verurteilen die Kriegsverbrechen der Türkei. Wir haben die Forderung, dass die Bundesregierung direkte Maßnahmen gegen die Türkei ergreift und auch die NATO keine weiteren Waffen in den Nahen Osten schickt.

Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien muss offiziell anerkannt werden. Wir sehen, dass diese Administration einen Lösungsansatz für ganz Syrien bietet. Überall auf die Umsetzung dieser Forderungen zu drängen, unterstützt uns hier sehr.

Wir wollen, dass die Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf die Infrastruktur, auf Krankenwagen und auf die Presse aufhören.

Ich fordere die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich an die Menschlichkeit zu erinnern. Sich daran zu erinnern, dass alle Menschen auf der Welt gleich sind, und dass wir alle eine Verantwortung haben, uns gegen Kriegsverbrechen zu Wehr zu setzen, egal wo auf der Welt sie verübt werden. Ich hoffe, dass es am Ende für uns alle in Frieden und Demokratie endet und wünsche hierfür allen Erfolg für ihr Engagement.