Das Aufkommen religiöser Extremistengruppen im kurdischen Teil Irans stellt eines der komplexesten sozialen und politischen Phänomene in der modernen Geschichte der Region dar. Organisationen wie Ansar al-Islam, Jundallah und andere salafistische Strömungen berufen sich auf bestimmte Verse des Korans, um Gewalt und Terrorismus als Mittel zur Verwirklichung ihrer Ziele zu legitimieren. Gleichzeitig nutzt die Islamische Republik Iran diese Gruppen direkt als ein Instrument zur politischen Unterdrückung und Kontrolle der Grenzregionen. Dieser Artikel untersucht die ideologischen, politischen und sozialen Ursprünge dieses Phänomens und dessen Auswirkungen auf die regionale Instabilität.
Kritik und Widersprüche in den Korantexten
Der Koran, als zentrales Textwerk im Islam, hat immer wieder unterschiedliche Interpretationen erfahren. Einige Verse des Korans beinhalten jedoch Widersprüche und Aussagen, die von extremistischen Gruppen verwendet wurden, um Gewalt zu legitimieren.
1. Verse, die zur Gewalt auffordern
• Einige Verse im Koran rufen eindeutig zum Krieg und zur Gewalt gegen Ungläubige auf:
„Fay’itha ansalakha ash-shuhurul hurum faq’tulul mushrikeena haythu wajadtumoohum” (Tawba: 5) [Wenn die heiligen Monate vorbei sind, tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet].
„Qaatiloo alladhina la yu’minoona billahi wa la bil-yawmi-l-akhiri” (Tawba: 29) [Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und den Jüngsten Tag glauben].
2. Widerspruch zu den Menschenrechten
• Einige Verse beinhalten Strafen, die als ungerecht angesehen werden, wenn man sie mit den modernen Prinzipien der Menschenrechte vergleicht:
„Wassariqu wassariqah faqta’oo aydeehumaa” (Ma’idah: 38) [Schneidet den Dieben, sowohl männlich als auch weiblich, die Hände ab].
Diese Strafen stehen im Widerspruch zu den Grundsätzen der modernen Gerechtigkeit und der Menschenrechte.
3. Geschlechterdiskriminierung
• Einige Verse des Korans stellen die Frauen in eine untergeordnete Rolle:
„Ar-rijalu qawwamuna ‘ala an-nisa’” (Nisa: 34) [Die Männer sind die Hüter der Frauen].
Solche Verse fördern die Diskriminierung von Frauen und tragen zur Verstärkung der Ungleichheit in islamischen Gesellschaften bei.
Direkte Unterstützung der Islamischen Republik für Extremistengruppen
Die Islamische Republik Iran hat extremistische religiöse Gruppen direkt unterstützt und nutzt sie als ein Werkzeug zur Verwirklichung politischer Ziele und zur Kontrolle von Krisengebieten, insbesondere in Kurdistan. Diese Unterstützung umfasst finanzielle, militärische und logistische Hilfe, die direkt zu einer Stärkung dieser Gruppen geführt hat.
Kurdische Dschihadisten aus Iran sind auch aktiv im Syrien-Krieg. Die 2019 im Nordwesten Syriens getöteten Kurden Zakaria al-Kurdi (links) und Faruq al-Kurdi gehörten der aus Ansar al-Islam entstandenen „Harakat Muhajirin Ahl Sunnat Iran“ an, die Teil der nun in Damaskus herrschenden Islamistengruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ist. | Fotoquelle: Telegram
Michel Foucault verweist in seiner Machttheorie darauf, dass autoritäre Regimes religiöse Ideologien nutzen, um neue Werkzeuge zur sozialen Kontrolle zu entwickeln. In diesem Kontext hat die Islamische Republik Iran durch die Schaffung und Unterstützung extremistischer Gruppen nicht nur den Druck auf die Opposition erhöht, sondern auch eine Atmosphäre der Angst und des Terrors verstärkt.
Darüber hinaus betont Niccolò Machiavelli in seinem Fürst, dass Regierungen zur Erhaltung ihrer Macht jedes Mittel, einschließlich Gewalt und Täuschung, einsetzen können. Die Islamische Republik Iran hat diese Politik durch die direkte Unterstützung extremistischer Gruppen offensichtlich verfolgt.
Hannah Arendt beschreibt in Die Ursprünge des Totalitarismus die Rolle autoritärer Regimes bei der Förderung struktureller Gewalt. Die direkte Unterstützung der Islamischen Republik Iran für diese Gruppen ist ein Beispiel für diese Praxis, die zu einer Verschärfung der Instabilität in der Region geführt hat.
Rekrutierungsmethoden und Ideologisierung
Religiöse Extremistengruppen wenden verschiedene Strategien an, um ihre Ideologie zu verbreiten und Anhänger zu gewinnen:
1. Ausnutzung von Armut und wirtschaftlichen Krisen
• Sie nutzen soziale und wirtschaftliche Ungleichheit, um unzufriedene Menschen zu rekrutieren.
• Antonio Gramsci spricht in seiner Hegemonietheorie davon, dass gesellschaftliche Krisen als Bedingungen für die Ausbreitung dominanter Ideologien dienen können.
2. Religiöse Legitimierung der Gewalt
• Diese Gruppen schaffen durch selektive Interpretation bestimmter Koranverse eine religiöse Legitimation für ihre gewalttätigen Handlungen.
3. Förderung ethnischer und religiöser Identitäten
• Durch die Betonung ethnischer und religiöser Identitäten verstärken sie das Zugehörigkeitsgefühl unter ihren Anhängern.
• Benedict Anderson erklärt in Die Erfindung der Nation, dass gemeinsame Identitäten als mächtige Mittel zur Mobilisierung von Menschen genutzt werden können.
Bedrohung von politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivisten
Religiöse Extremistengruppen im kurdischen Teil Irans stellen eine ernsthafte Bedrohung für politische und zivilgesellschaftliche Aktivisten dar. Diese Drohungen beinhalten Mord, psychischen Druck und die Einschränkung individueller Freiheiten.
Hannah Arendt erklärt, dass totalitäre Regime Gewalt als Mittel zur Schaffung einer Atmosphäre der Angst und Passivität nutzen. Die direkte Unterstützung der Islamischen Republik Iran für diese Gruppen hat diese Politik im kurdischen Teil Irans verstärkt und dazu geführt, dass zivilgesellschaftliche Aktivitäten unterdrückt und der soziale Raum erheblich eingeschränkt wurden.
Jean-Jacques Rousseau beschreibt in Der Gesellschaftsvertrag die Art und Weise, wie autoritäre Regime durch die Einschränkung von Freiheiten ihre eigene Macht konsolidieren. Diese Politik ist auch in der Art und Weise zu beobachten, wie die Islamische Republik Iran mit den extremistischen Gruppen zusammenarbeitet, um politischen Widerstand zu brechen.
Fazit
Das Aufkommen und die Stärkung religiöser Extremistengruppen im kurdischen Teil Irans ist nicht nur das Ergebnis einer bestimmten Interpretation des Korans, sondern auch ein Produkt der direkten Unterstützung durch die Islamische Republik Iran. Diese Gruppen sind zu einem Instrument geworden, das zur Stabilisierung der politischen Macht in Krisenregionen eingesetzt wird und erhebliche negative Auswirkungen auf die regionale Stabilität und das Leben der Menschen hat. Die Bekämpfung dieses Phänomens erfordert tiefgreifende soziale, wirtschaftliche und politische Reformen sowie die Förderung einer rationaleren und humaneren Interpretation der Religion.
Über den Autor: Hemn Rahimi ist 26 Jahre alt und stammt aus Merîwan (Marivan). Er ist Autor und Journalist und lebt seit 2022 in Deutschland. Bevor er aus Ostkurdistan flüchtete, arbeitete er für verschiedene Agenturen, Zeitschriften und andere Medienquellen, darunter das wöchentlich erscheinende Magazin „Diyarê Kohan“, die Nachrichtenagenturen Faratab und Mokrian sowie Radio Zamaneh.
Titelfoto: Blick auf die kurdische Stadt Ciwanro © AmyarMataee | CC BY-SA 4.0