Tagung „Perspektive Rojava“ in Heidelberg

In Heidelberg findet demnächst die Tagung „Perspektive Rojava: Demokratische Vision aus Nord- und Ostsyrien“ statt. ANF hat mit Fabio Klevenz vom Organisationsteam über die Hintergründe und das inhaltliche Spektrum der Tagungsbeiträge gesprochen.

Interview mit Fabio Klevenz

In Heidelberg findet am letzten Januarwochenende eine Tagung mit dem Titel „Perspektive Rojava: Demokratische Vision aus Nord- und Ostsyrien“ statt. Der Förderverein Collegium Academicum Heidelberg e.V. als Veranstalterin möchte mit der Konferenz einen Raum für einen Austausch darüber schaffen, wie in Rojava das multiethnische und multireligiöse Zusammenleben auf Basis von Selbstbestimmung, Frauenbefreiung, Rätedemokratie, Solidarität und Gerechtigkeit gelungen ist – und anhand dieses Beispiels demokratische Zukunftsvisionen und Perspektiven für Frieden und Gerechtigkeit hierzulande entwickeln. ANF hat mit Fabio Klevenz vom Organisationsteam über die Hintergründe der Tagung und das inhaltliche Spektrum der Tagungsbeiträge gesprochen.

Ihr veranstaltet vom 25. bis zum 26. Januar bei Euch in Heidelberg die Tagung „Perspektive Rojava“. Kannst Du die Tagung vorstellen und auch auf die Gäste in den Livestreams eingehen?

In unserer Tagung wollen wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien schauen. In Vorträgen, Workshops und Diskussionen werden wir über die Themen Frauenbefreiung, Demokratie, Frieden und Sicherheit sprechen. Es wird auch gemeinschaftliches Essen und ein Abendprogramm mit Livebands geben. Wir haben sehr spannende Gäst:innen mit unterschiedlichen Hintergründen gewinnen können, wie etwa den Professor Michael Haus, die ehemalige Bürgermeisterin Cizres Leyla Imret, den grünen Bundestagsabgeordneten Max Lucks, oder die Aktivist:innen Anja Flach und Ercan Ayboğa. Besonders freuen wir uns, dass sich trotz der dramatischen Situation auch zwei Personen die Zeit nehmen, direkt aus Rojava per Videocall an der Tagung teilzunehmen: Ein Vertreter der Asayîş und sogar der prominente Politiker Salih Muslim.

Welche Bedeutung kommt der Konferenz vor dem Hintergrund der brisanten Entwicklungen in Rojava zu?

Durch die dramatischen Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes hat die Region viel Aufmerksamkeit bekommen. Dennoch wird in den deutschen Leitmedien meist vollkommen übersehen, was diese Region so besonders und inspirierend macht. Als könnten die Journalisten und Korrespondenten die Welt nur durch die von ihrer eigenen Weltsicht geprägten Brille sehen. Eine Weltsicht, die nur Staaten, Kapitalismus und liberal-repräsentative Demokratien kennt. Dass es auch anders geht, scheint außerhalb des möglichen zu liegen und wird daher weder verstanden noch gesehen. Unser Ziel ist es, diesen Horizont zu erweitern und die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auch auf die zivilen Strukturen und die demokratischen, sowie feministischen Errungenschaften zu lenken. Wir wollen sichtbar machen, dass gesellschaftliche Organisation eben auch anders geht!

Darüber hinaus ist aber natürlich auch die aktuelle Situation, insbesondere der Angriffskrieg der Türkei ein wichtiges Thema. Darüber werden wir auch mit zwei Abgeordneten des Bundestages sprechen und uns die Frage stellen, welche Verantwortung Deutschland in der Hinsicht zukommt und wie weit die Ansprüche der feministischen, wertegeleiteten Außenpolitik und die Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Ihr wollt mit einem Asayîş-Vertreter über das Thema Sicherheit sprechen und die Frage angehen, wie es möglich sein kann, Sicherheit selbstverwaltet und ohne Gewaltstrukturen zu erreichen Eine spannende Frage und ein historisches Problem vieler Revolutionen.

Das Thema ist daher so spannend, weil sich daran natürlich die Frage nach der Staatlichkeit besonders deutlich zeigt. Geht es wirklich ganz ohne repressive, auf Gewalt beruhenden Strukturen? Hierüber reden wir erst aus theoretischer Perspektive mit einem Professor der Universität Heidelberg, bevor wir uns der Realität zuwenden. Gerade Rojava steht dabei natürlich vor besonderen Herausforderungen. Was tut man etwa mit den IS-Kämpfern in den Gefängnissen? Auch, wenn Rojava in der Hinsicht nicht die vollkommene Utopie ist, werden hier dennoch ganz neue Wege gegangen. Es werden Strukturen geschaffen, die polizeiliche Strukturen mehr und mehr unnötig machen und die Sicherheit viel ganzheitlicher und weiter denken. Davon können wir vieles lernen, denn auch in Deutschland ist die Polizei für viele marginalisierte oder politische aktive Menschen eben keine Institution, die Sicherheit schafft, sondern Unsicherheit bringt.

Warum macht Ihr die Tagung und wie ist die bisherige Resonanz?

Wir haben mit der Organisation der Tagung bereits im Sommer begonnen. Motiviert von einem Interesse an den dortigen Strukturen und unter dem Eindruck der immer  sichtbareren Erschöpfung der liberaldemokratischen Institutionen – in Deutschland aber auch überall in der Welt. Es mangelt an kreativem und utopischem Denken darüber, wohin wir uns als Gesellschaft bewegen können und wollen. Mittlerweile haben uns die aktuellen Ereignisse eingeholt: Der Sturz des Assad-Regimes, die massiven Angriffe auf die Selbstverwaltung der Türkei und die vorzeitigen Neuwahlen in Deutschland haben die Tagung noch aktueller und wichtiger gemacht. Daher spüren wir auch eine sehr positive Resonanz, worüber wir uns freuen.

Was seid Ihr für ein Projekt und was ist Euer Bezug zu Rojava?

Das Orga-Team setzt sich großenteils aus Mitgliedern des Wohnheims „Collegium Academicum“ (CA) zusammen, wo auch die Tagung stattfindet. Das CA ist selbstverwaltet, nicht-profitorientiert und gehört den 250 Bewohnenden selber. Im CA haben wir uns schon länger mit der Frage befasst, wie partizipative Basisdemokratie für viele Menschen organisiert werden kann. Daher gab es ein frühes Interesse an selbstverwalteten und autonomen Projekten und Regionen, wie Chiapas oder eben Rojava.

Viele Eurer Panels legen Wert auf die Ideologie der kurdischen Freiheitsbewegung. Was macht für Euch die Vorstellungen der Freiheitsbewegung so wichtig?

Ich denke, was diese Ideen so wertvoll macht, ist ihr universeller Anspruch. Denn es geht eben nicht „nur“ um die Freiheit der Kurd:innen, sondern um die Freiheit insgesamt. Es geht um ein Zurückdrängen der staatlichen Logik überall und um das Errichten von solidarischen, demokratischen Strukturen. In Deutschland scheint es häufig die Auffassung zu geben, hier sei die Demokratie bereits erreicht, nun müsse sie lediglich noch verteidigt werden. Die kurdische Freiheitsbewegung hat da ein viel weitreichenderes Demokratieverständnis, das sich aus einem langjährigen Widerstand gegen nationalstaatliche Strukturen speist. Wir verstehen Demokratie als einen stetigen Prozess, für den ein gegenseitiger Austausch und neue Impulse elementar sind.

Wie groß wird die Konferenz? Wo kann man sich anmelden? Und sind Simultanübersetzungen geplant?

Wir planen mit etwa 150 Gästen, sowohl aus Heidelberg als auch aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Tagung richtet sich vornehmlich an ein deutschsprachiges Publikum, doch je nach Bedarf werden wir Flüsterübersetzungen organisieren. Für diejenigen, die anreisen, gibt es Schlafmöglichkeiten vor Ort. Alle Infos zur Anmeldung und zum Programm finden sich auf der Website https://collegiumacademicum.de/rojava/.