„Als hätte ich meinen eigenen Sohn verloren“

Bawer Maku stammte aus Ostkurdistan und war bei der Rojava-Revolution vor zehn Jahren der einzige Gefallene in Dêrik. Limah Abdullah erzählt seine Geschichte.

Zum Jahrestag der Revolution von Rojava möchte ich an Bawer Maku erinnern. Bawer stammte aus Ostkurdistan und war der einzige Gefallene in Dêrik, einer Kleinstadt im Dreiländerdreieck Türkei-Syrien-Irak. Als in den Bergen verletzter Guerillakämpfer war er dort bei einer Familie untergekommen, die die Revolution seit Jahrzehnten unterstützte.

Meine Freundin Limah Abdullah erzählte mir seine Geschichte:

„Heval Bawer war aus Ostkurdistan. Er war verletzt, die Freund:innen hatten ihn aus den Bergen zu mir gebracht. Er war halbseitig gelähmt. Er kam aus Damaskus und als die Freund:innen ihn von dort zu mir brachten, hatte er große physische Probleme. Er konnte nicht aufstehen, nicht sitzen und auch nichts essen. Ich nahm ihn bei uns zuhause auf. Wir haben mit ihm physiotherapeutische Übungen gemacht, damit er seine Arme wieder bewegen konnte. Direkt neben unserem Haus war ein geheimer Stützpunkt der YXG [Vorgängerorganisation der YPG]. Es war das Zentrum der militärischen Leitung. Nachts kamen die Genoss:innen zu uns. Bawer war wie ein Kind für mich, ich habe ihn versorgt. Einmal sagte er zu mir: ‚Mutter, ich werde mich dieser Einheit anschließen.‘ Ein Genosse, von Beruf Arzt, sagte jedoch, Bawer müsse zehn Monate zu Hause bleiben. Damals kamen oft Freund:innen mitten in der Nacht zu uns, früh morgens waren sie schon wieder weg. Ich bin oft nachts aufgestanden, habe Wäsche für sie gewaschen oder Essen gekocht.

Bis früh morgens habe ich oft nicht geschlafen. Manchmal kam eine Gruppe von Genoss:innen, ich habe ihnen gesagt, bringt eure Wäsche, dann haben sie bei uns ein Bad genommen. Wir haben ihnen Essen gemacht, bis ihre Kleidung wieder trocken war. Und sofort haben sie sich angezogen und sind wieder losgegangen. An jenem Tag, als wir das Regime aus der Stadt gedrängt haben, ist Heval Bawer gefallen.

Er war physisch wieder fast gesund, er konnte wieder laufen. Er kam und ging, oder wir haben ihn irgendwo hingebracht. Es ging im physisch wirklich schon wieder viel besser. Als der Tag kam und die Revolution in Rojava begann, hatten wir einen Plan, wie wir die Regierung aus der Stadt vertreiben.

Als die Freunde zu uns nach Hause kamen, war ich schon aus dem Haus. Da ist er aufgestanden, hat eine Waffe genommen und ist mit ihnen gegangen. Er ist in die Stadt und dort begann eine Schießerei und er ist gefallen. Er war verletzt und ist dann gestorben. Er war der einzige Gefallene in Dêrik. Er war noch gar nicht richtig gesund und ich weiß nicht, warum die Freund:innen ihn trotzdem mitnahmen. Ein Offizier hat vom Dach des Gebäudes, in dem sich heute das Mala Jin [Fraueneinrichtung] befindet, geschossen und Heval Bawer getroffen.

Als Heval Bawer gefallen ist, hat meine Tochter Cihan sich in seinem Namen dem Kampf angeschlossen. Sie war hier bei den Asayiş [Sicherheitskräften] zuständig.

Wir hatten am Abend auf einer Ratssitzung beschlossen, dass wir die Beamten des Staates gemeinsam mit den Genoss:innen von den YXG aus der Stadt herausdrängen. Die YXG und die Bevölkerung sollten gruppenweise zu den verschiedenen Stützpunkten gehen und sie dort hinauswerfen. Wir haben uns aufgeteilt, auf die politischen Institutionen, militärischen Stützpunkte und die Sicherheitskräfte. In jeder Gruppe waren ein paar Frauen und Männer, Genoss:innen sollten uns begleiten und so wollten wir die Beamten hinauswerfen. Wir haben ihnen zugerufen: ‚Ihr müsst jetzt gehen. Und wenn ihr nicht von selbst geht, dann werfen wir euch hinaus.‘ Die Staatskräfte haben uns einige Punkte überlassen. Das Gebäude, in dem sich heute Kongra-Star befindet, war zuvor die Zentrale des Geheimdienstes. Sie wollten es nicht freiwillig verlassen. Aber das Gerichtsgebäude haben sie schnell geräumt.

Auch bei den Sicherheitskräften kam es zu Auseinandersetzungen, dort wurden Freund:innen verletzt. Damals gab es viele verletzte Freund:innen. Aber außer Heval Bawer ist niemand gefallen. Ja, die politischen Institutionen haben drei Tage Widerstand geleistet und die militärischen zwei Tage lang. Heval Bawer kam am ersten Tag ums Leben. Nachts kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Gruppe um Heval Bawer und dem Regime. Spät nachts sind die Genoss:innen dorthin und haben angegriffen. Einige Genoss:innen wollten den Mörder töten, sie haben den Ort umstellt und gefordert, dass der Mörder heraus kommt. Bei der Auseinandersetzung wurden einige Soldaten getötet, aber es ist nicht klar, ob Bawers Mörder unter ihnen war.

Ich habe damals viele Tage geweint. Ich wollte nicht, dass Bawer sich an den Kämpfen beteiligt und stirbt. Es hat sich so angefühlt, als hätte ich meinen eigenen Sohn verloren.“

Bawer Maku (Vahîd Mihemedpur) ist am 21. Juli 2012 in Dêrik gefallen.

Auf die Frage, ob Limah Kontakt zu Angehörigen von Şehîd Bawer hat, sagt sie: „Wir hatten einmal die Gelegenheit, mit der Familie zu sprechen. Wir hatten gehofft, dass sie nach Rojava kommen können, denn viele Dinge von ihm sind noch hier. Sein Hemd, seine Weste waren bei mir zuhause. Wir haben vieles über ihn aufgeschrieben. 2019 waren die Freund:innen vom Verband der Gefallenenfamilien hier und ich habe ihnen alles übergeben. Aber am Anfang war es sehr schwer, denn in seinen Sachen hing noch sein Geruch.“

In Limah Abdullahs Wohnung hängen Bilder von Bawer Maku. Der Verband der Gefallenen stellt ein offizielles Dokument über den Tod der Gefallenen aus, das der Familie übergeben wird. Dieses Dokument wurde an Limah übergeben, denn die südkurdische Regierung hat es bisher verhindert, dass die Eltern von Bawer nach Rojava kommen konnten. In einem goldenen Rahmen hängt sein Bild in Limahs Haus.